Verfahrensgang
OLG Hamm (Urteil vom 28.09.1967) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 28. September 1967 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin ist mit ihrem Fabrikbetrieb, einer Rohrzieherei, bei der Beklagten bis zu einem Betrag von 50.000 DM haftpflichtversichert. Am 12. Mai 1965 entstand in der Fabrikhalle ein Brand. Es hatten sich Benzindämpfe entzündet, als die Arbeiter D. und V. aus einem 200-l-Faß Benzin in eine Rohrentfettungsanlage schütteten und zu gleicher Zeit der Arbeiter T. auf einer 4–8 m entfernten Ziehbank mit einem Schweißgerät Rohre erwärmte. Das Feuer griff auf das benachbarte Gelände der Firma C.D. Wä. über und richtete dort einen Schaden von 148.499,50 DM an. Der Inhaber der Klägerin Z. und die Arbeiter D., V. und T. sind wegen fahrlässiger Brandstiftung zu Geldstrafen verurteilt worden.
Die M. Feuerversicherungsgesellschaft, bei der die Firma C.D. Wä. versichert ist, ersetzte dieser Firma den Brandschaden und nimmt im Regreßwege die Klägerin wegen eines Betrages von 100.000 DM in Anspruch. Die Beklagte hat das Verlangen der Klägerin, sie in Höhe der Versicherungssumme von 50. 000 DM von ihren Verbindlichkeiten gegenüber der N. Feuerversicherungsgesellschaft freizustellen, abgelehnt unter Bezugnahme auf die Sonderbedingung H 99 III Abs. 1 des Versicherungsvertrages, in der es heißt:
„Schäden, welche durch Explosion oder Brand solcher Stoffe entstehen, mit denen der Versicherungsnehmer oder seine Beauftragten bewußt nicht gemäß behördlicher Vorschrift umgegangen sind, sind nicht mitversichert.”
Die Beklagte ist der Ansicht, im Betriebe der Klägerin sei bewußt den Unfallverhütungsvorschriften zuwidergehandelt worden, indem man während des Ausschüttens des Benzins mit dem Schweißgerät gearbeitet habe.
Die Klägerin hat Klage auf Freistellung von der Verbindlichkeit gegenüber der M. Feuerversicherungsgesellschaft in Höhe von 50.000 DM erhoben. Sie hält die genannte Klausel über den Versicherungsausschluß nicht für anwendbar, Weder der Inhaber der Klägerin noch deren Arbeiter hätten bewußt behördliche Vorschriften mißachtet; der Inhaber der Klägerin habe Weisung erteilt, während des Auffüllens der Entfettungsanlage mit Benzin nicht mit dem Schweißbrenner zu arbeiten.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klagantrag auf Freistellung weiter.
Entscheidungsgründe
1. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß der Brand in dem Betriebe der Klägerin dadurch entstanden ist, daß sich Benzindämpfe entzündeten, als die Arbeiter D. und V. Benzin aus einem 200-l-Faß in die Rohrentfettungsanlage schütteten und zu gleicher Zeit der Arbeiter T. in der Nähe mit einem Schweißgerät arbeitete. Das Berufungsgericht meint, durch diese Tätigkeit sowie auch dadurch, daß der Inhaber der Klägerin sie duldete, sei bewußt gegen Bestimmungen der Unfallverhütungsvorschriften und gegen § 120 a Abs. 2–4 der Gewerbeordnung verstoßen worden. Deshalb greife die besondere Bedingung des zwischen den Parteien abgeschlossenen Haftpflichtversicherungsvertrages (Sonderbedingung H 99 III Abs. 1) ein, nach der Schäden nicht mitversichert sind, welche durch „Brand solcher Stoffe entstehen, mit denen der Versicherungsnehmer oder seine Beauftragten bewußt nicht gemäß behördlicher Vorschriften umgegangen sind,”
2. Soweit es bei den Ausführungen des Berufungsgerichts um die Auslegung der in Rede stehenden Versicherungsklausel geht, ist diese im Revisionsrechtszug nur daraufhin nachprüfbar, ob sie gegen Denkgesetze, anerkannte Auslegungsregeln oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt.
Danach kann die Annahme des Berufungsgerichts nicht beanstandet werden, die Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften seien als „behördliche Vorschriften” im Sinne der Versicherungsklausel anzusehen. Allerdings ist die Behördeneigenschaft der Berufsgenossenschaften streitige Nach Entscheidungen des Bundesgerichtshofs sind weder die Allgemeinen Ortskrankenkassen Behörden im Sinne des § 29 GBO noch die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und ihre Organe Behörden im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 3 FGG (BGHZ 25, 186; 40, 225). Dagegen ist in der Literatur überwiegend der Standpunkt vertreten worden, daß die Sozialversicherungsträger Behörden seien (vgl. May NJW 1957, 1922; Rasch VerwA 1959, 1, 24; Martens;NJW 1964, 852; Haueisen NJW 1964, 867; Wolff VerwR Bd. II 2. Aufl. § 76 I d 2; Jansen FGG 2. Aufl. Bd. I § 29 Rn 12.). Aber auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat anerkannt, daß den Berufsgenossenschaften und ihren. Organen nach ihrer Rechtsstellung, ihrem Aufgabenbereich und ihren Befugnissen die Behördeneigenschaft nach dem allgemeinen Behördenbegriff nicht abzusprechen ist. Sie hat den Behördencharakter nur im Rahmen der genannten Gesetzesvorschriften und nur deshalb verneint, weil er nach der Auffassung des Gesetzgebers nicht gegeben sei (BGHZ 25, 186, 196). Für die Auslegung der von den Parteien vereinbarten Versicherungsklausel braucht jedoch weniger hierauf abgestellt zu werden als vielmehr auf die Verkehrsanschauung und den Sinn und Zweck der Klausel. Hiernach erscheint es durchaus naheliegend und jedenfalls möglich, insoweit unter behördlichen Vorschriften alle Anordnungen öffentlichrechtlicher Körperschaften zu verstehen, die befugt sind, den Unternehmer bindende Vorschriften über die Betriebseinrichtungen und den Umgang mit Betriebsstoffen zu erlassen. Diese Voraussetzung ist aber gerade bei den Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften gegeben. Es steht auch nicht, wie die Revision meint, entgegen, daß die Unfallverhütungsvorschriften zum Schutz der Arbeiter erlassen worden sind und nicht, wie etwa feuerpolizeiliche Vorschriften, primär zum Zweck der Brandverhütung, Mit der Abrede, daß der Versicherungsschutz bei bewußtem Verstoß gegen behördliche Vorschriften entfällt, soll zweifellos eine besondere Qualifizierung des vorwerfbaren Verhaltens getroffen werden. Diese ist bei einem Verstoß gegen behördliche Vorschriften aber unabhängig davon anzunehmen, ob die Vorschriften in erster Linie gerade der Verhinderung des eingetretenen Schadens dienen sollen. Es muß vielmehr genügen, das es sich um Vorschriften handelt, die den Arbeiter vor Unfällen schützen wollen und dieserhalb Bestimmungen enthalten, die auch der Verhütung von Bränden dienen.
Dem Berufungsgericht kann jedoch nicht darin gefolgt werden, daß auch eine Verletzung des § 120 a der Gewerbeordnung die Anwendung der Versicherungsklausel zu rechtfertigen vermöchte. Eine solche Auslegung würde den Regeln der §§ 133, 157 BGB widersprechen. Die Vorschrift des § 120 a GewO verpflichtet die Gewerbeunternehmer, Arbeitsräume, Maschinen und Gerätschaften so einzurichten und den Betrieb so zu regeln, daß die Arbeiter gegen Gefahren für Leben und Gesundheit geschützt sind. Sie enthält nicht selbst Bestimmungen über den Umgang mit Betriebseinrichtungen und Betriebsstoffen. Nach der Versicherungsklausel muß der Schaden aber dadurch entstanden sein, daß ein Verstoß gegen behördliche Vorschriften gerade beim Umgang mit den Betriebsstoffen begangen wurde. Es kann also nur auf solche Vorschriften ankommen, die unmittelbar den Umgang mit den Betriebsstoffen regeln. Kommt der Unternehmer seiner allgemeinen Verpflichtung zur Einrichtung und Regelung eines gefahrlosen Betriebes nicht nach, so kann darin nicht schon ein vorschriftswidriger Umgang mit den Betriebsstoffen gesehen werden. Andernfalls würde die Ausschlußklausel sinnwidrig auf alle Fälle ausgeweitet werden, in denen der Schaden durch Anordnung und Durchführung geeigneter Vorsichtsmaßnahmen zu verhindern gewesen wäre. Damit würde der Versicherungsschutz praktisch weitgehend entwertet und der mit dem Versicherungsvertrag verfolgte Zweck nicht erreicht.
Mit den in Rede stehenden Arbeiten ist, wie das Berufungsgericht rechtsbedenkenfrei festgestellt hat, gegen die Unfallverhütungsvorschriften des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften, Abschn. I: Allgemeine Vorschriften, zuwidergehandelt worden. Von den im Berufungsurteil im einzelnen angeführten Vorschriften kann allerdings die des § 35 Abs. 2 Satz 1, nach der das Einfüllen von Benzin unter bestimmten Voraussetzungen nur in geschlossener oder ummantelter Apparatur vorgenommen werden darf, kaum zum Zuge kommen. Weder der im Strafverfahren tätig gewordene Sachverständige noch die Beklagte haben geltend gemacht, daß die Voraussetzungen dieser Vorschrift vorlägen. Auch das Berufungsgericht scheint das nicht angenommen zu haben.
Ob gegen die Vorschrift des § 38 Abs. 1 Nr. 5 verstoßen worden ist, ist nicht sicher. Nach dieser Vorschrift darf in Räumen, „in denen Stoffe lagern, die bereits bei gewöhnlicher Luftwärme flüchtig werden oder in denen explosible Gase, Dämpfe oder Staube sich in gefahrdrohender Menge entwickeln, ansammeln oder ausbreiten können (explosionsgefährdete Räume), … mit Maschinen und Werkzeugen, die zu Funkenbildung Anlaß geben, … nicht gearbeitet werden.” Gegen die Annahme, daß diese Vorschrift es schlechthin verbiete, in Fabrikhallen gleichzeitig – auch bei gehöriger Entfernung – mit Benzin zu arbeiten und Schweißgeräte zu betreiben, könnte es sprechen, daß die Betriebseinrichtung der Klägerin von den technischen Überwachungsbeamten nicht beanstandet worden ist, obwohl die Einrichtung den Beamten nicht verborgen geblieben sein konnte. Wenn die Beanstandung in Kenntnis des Vorhandenseins der Anlagen unterblieben ist, dann würde es nicht, wie das Berufungsgericht meint, noch darauf ankommen, ob der Inhaber der Klägerin die Beamten auf die Betriebseinrichtung hingewiesen hat und ob diese Gegenstand der Erörterung gewesen ist.
Auf jeden Fall war die Tätigkeit der Arbeiter, die den Brand ausgelöst hat, nach § 39 Abs. 1 der Unfallverhütungsvorschriften verboten, die folgenden Wortlaut hat:
„Bei Arbeiten mit leicht entzündlichen Flüssigkeiten und Stoffen, z. B. Benzin, Benzol, Äther, sowie beim Abfüllen und bei sonstigen Arbeiten an ihnen ist offenes Feuer, offenes Licht und Rauchen verboten; Werkzeuge, die zu Funkenbildung Anlaß geben, dürfen dabei nicht verwendet werden.”
3. Nach der vereinbarten Versicherungsklausel tritt die Leistungsfreiheit der Beklagten nicht schon bei einem objektiven Verstoß gegen behördliche Vorschriften – ein, sondern nur dann, wenn der Versicherungsnehmer oder seine Beauftragten bei ihrer Tätigkeit den Vorschriften bewußt zuwider gehandelt haben. Dagegen, daß das Berufungsgericht den Vorarbeiter D. der beim Einfüllen des Benzins mit tätig war, als „Beauftragten” im Sinne der Versicherungsklausel angesehen hat, bestehen keine rechtlichen Bedenken. Drüge war nach der Feststellung des Berufungsgerichts der in Vertretung des Betriebsinhabers weisungsberechtigte Aufseher. Darauf, ob er als Repräsentant anzusehen ist, kommt es nach der Fassung der Versicherungsklausel nicht an.
Das Berufungsgericht stellt fest, die Beteiligten hätten den Vorschriften bewußt zuwidergehandelt. Die dazu gegebene Begründung hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht nimmt. an, der Inhaber der Klägerin habe das Verbot gekannt, weil er selbst vorgebracht habe, er habe gleichzeitiges Schweißen und Benzineingießen nie geduldet und nie erlaubt. Das Berufungsgericht führt weiter aus, der Inhaber der Klägerin habe sich täglich über das Verbot hinweggesetzt, weil nach seinen eigenen Angaben von morgens 6 Uhr bis abends 22 Uhr in dem Raum geschweißt worden sei, in dem die mit Benzin gefüllte Entfettungsanlage gestanden habe, und weil nach den Aussagen der Zeugen T. und D. auch häufig Benzin in die Entfettungsanlage eingefüllt worden sei, während die ungeschützte Schweißflamme in Betrieb war. Diese Handhabung könne dem Inhaber der Klägerin nicht verborgen geblieben sein.
Aus diesen Ausführungen des Berufungsgerichts kann nur gefolgert werden, daß der Inhaber der Klägerin darum wußte, daß das Einfüllen von Benzin auch dann stattfand, wenn das Schweißgerät in Tätigkeit war. Eine solche Handhabung könnte aber ungefährlich sein, wenn ein genügend großer Abstand zwischen der Rohrentfettungsanlage und den Schweißgeräten eingehalten wurden Daß gleichzeitiges Einfüllen von Benzin und Schweißen nach den Unfallverhütungsvorschriften auch für diesen Fall verboten war, läßt sich, wie schon ausgeführt worden ist, nicht ohne weiteres sagen, wenn die Behauptung der Klägerin zutrifft, daß das Vorhandensein beider Anlagen in einem Raum von den Aufsichtsstellen nicht beanstandet worden ist. Zumindest würden dann erhebliche Zweifel gegen die Annahme bestehen, daß der Inhaber der Klägerin das Bewußtsein von der Zuwiderhandlung gegen ein behördliches Verbot hatte, wenn er das Benzineinfüllen bei gefahrlosem Abstand zu den Schweißgeräten zuließ oder duldete. Baß der Inhaber der Klägerin darum wußte oder damit rechnete, seine Leute würden das Schweißen auch bei einem nicht mehr gefahrlosen Abstand vornehmen, kann aus den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht gefolgert werden. Dagegen könnte sprechen, daß der Inhaber der Klägerin geäußert hat, der gesunde Menschenverstand hätte es seinen Leuten schon sagen müssen, daß sie bei nicht mehr gefahrlosem Abstand zwischen Rohrentfettungsanlage und Schweißbrenner diesen beim Einfüllen des Benzins ausschalten mußten.
Das Schild mit der Aufschrift; „Rauchen und offenes Feuer verboten”, das seit Jahren draußen an der Halle angebracht war, sagt nur etwas über die Feuergefährlichkeit der Arbeiten aus, die in der Halle vorgenommen wurden, aber es sagt nichts über das Bestehen bestimmter Unfallverhütungsvorschriften. Das Schild könnte vom Betriebsinhaber auf Grund der allgemeinen Verpflichtung des § 120 a GewO, die nötigen Vorsichtsmaßnahmen zum Schütze der Arbeiter zu treffen, angebracht worden sein. Daß es etwa einen Hinweis auf feuerpolizeiliche Vorschriften enthielte, die die Betätigung von Schweißbrennern in der Halle während des Einfüllens von Benzin untersagen, hat das Berufungsgericht nicht festgestellte
Auch bezüglich des Vorarbeiters Drüge ist eine Kenntnis der einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften nicht ausreichend festgestellt worden. Das Berufungsgericht will eine Kenntnis des D. daraus entnehmen, daß er als Zeuge bekundet hat, er habe gewußt, daß der Umgang mit Benzin in der Nähe eines offenen Feuers gefährlich und verboten sei. Damit hat er aber nur das Ergebnis allgemeinen Erfahrungswissens und sinngemäß den Inhalt des § 39 Abs. 1 der Unfallverhütungsvorschriften wiedergegeben. Wie seine weitere Aussage ergibt, war er jedoch ebenso wie der Zeuge T. der Überzeugung, daß bei dem fraglichen Geschehen ein ausreichend sicherer Abstand gewahrt worden sei. Ist ihm das nicht zu widerlegen, dann bestehen gegen die Feststellung einer bewußten Zuwiderhandlung Bedenken. Es erscheint vielmehr möglich, daß die Arbeiter gerade annahmen, mit der Einhaltung eines von ihnen für gefahrlos gehaltenen Abstandes den Vorschriften genügt zu haben, zumal § 39 Abs. 1 keinen bestimmten Abstand festlegt. Daß der Vorarbeiter D. und die anderen Arbeiter möglicherweise fahrlässig oder auch grobfahrlässig gehandelt haben, reicht für die Anwendung der Ausschlußklausel nicht aus.
Das Berufungsurteil mußte daher aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
Unterschriften
Dr. Hauß, Wüstenberg, Dr. Pfretzschner, Bundesrichter Dr. Bukow ist beurlaubt und an der Unterzeichnung verhindert Dr. Hauß, Dr. Buchholz
Fundstellen