Verfahrensgang
OLG Celle (Urteil vom 12.10.1994) |
LG Stade (Urteil vom 26.11.1993) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 12. Oktober 1994 geändert.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 8. Zivilkammer – Kammer für Handelssachen – des Landgerichts Stade vom 26. November 1993 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelzüge.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin verlangt Zahlung des Kaufpreises für Lieferungen an die Beklagte. Die Beklagte rechnet mit Schadensersatzansprüchen wegen Nichtausführung ihrer Bestellungen vom 2. und 3. September 1991 auf.
Die Klägerin stellt Babyartikel aus Gummi und Plastik her. Sie stand seit Mitte 1990 in Geschäftsbeziehungen mit der Beklagten, die die Produkte der Klägerin nach Polen exportierte. Die Lieferungen erfolgten jeweils auf der Grundlage der Lieferungs- und Zahlungsbedingungen der Klägerin. Eine Auftragsbestätigung der Klägerin erfolgte in der Regel erst mit oder nach der Ausführung der Bestellung der Beklagten.
Am 2. und 3. September 1991 bestellte die Beklagte bei der Klägerin per Fax Waren im Gesamtwert von 827.800 DM, lieferbar in sechs gleichen Teilmengen am 8. und 22. Oktober, 5. und 19. November und 2. und 12. Dezember 1991.
Am 6. September 1991 sandte die Klägerin der Beklagten ein Fax mit folgendem Inhalt:
„…
im Anschluß an die Gespräche mit den verschiedenen Abteilungen unseres Hauses, bestätigen wir Ihnen, daß Lieferungen an Ihre Firma, die den Saldo des bei uns geführten Kontos über DM 150.000,– hinaus ansteigen lassen, nur dann erfolgen können, wenn der darüberhinausgehende Betrag durch die selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Bank garantiert wird.
Diese Regelung gilt insbesondere für die drei z. Zt. plazierten und abrufbereiten Aufträge in Höhe von insgesamt DM 193.508,27, die unverzüglich dann zur Auslieferung gelangen, wenn die oben genannten Bedingungen Ihrerseits erfüllt sind.
Diese Erklärung ersetzt nicht die Vereinbarung über die Zahlungsbedingungen. … Die Erklärung ist vielmehr gedacht für den Fall, daß der Umfang der Lieferungen so groß wird, daß der Saldo auch der fälligen Rechnungen den Betrag von DM 150.000,– übersteigt.”
Nachdem die Klägerin am 4. November 1991 der Beklagten mitgeteilt hatte, daß sie künftig unmittelbar an eine in Polen ansässige Vertriebsfirma liefern werde, forderte die Beklagte die Klägerin mit Anwaltsschreiben vom 11. November 1991 auf, die für 8. Oktober, 22. Oktober und 5. November 1991 bestellten Teillieferungen bis spätestens 18. November 1991 auszuführen. Zugleich erklärte sie, nach fruchtlosem Fristablauf werde sie die Vertragserfüllung ablehnen und Schadensersatz wegen Nichterfüllung geltend machen. Hierauf antwortete die Klägerin mit Schreiben vom 13. November 1991, die Aufträge vom September seien von ihr nicht, zumindest nicht vorbehaltlos angenommen worden, da die Beklagte die am 6. September 1991 vereinbarte selbstschuldnerische Bankbürgschaft bisher nicht gestellt habe, obwohl eine Gesamtforderung von derzeit 204.376,23 DM aufgelaufen sei. Das Schreiben schloß mit folgenden Sätzen:
„Daß diese Aufträge nicht angenommen worden sind, weiß Ihre Mandantin (die Beklagte) spätestens seit dem 06.09.91. Im Gegensatz dazu hält es Ihre Mandantin bis heute nicht einmal für nötig, die entsprechend der Vereinbarung vom 06.09.91 vorzulegende Bürgschaft über den DM 150.000,00 übersteigenden Saldo vorzulegen.”
Die Bestellungen der Beklagten vom 2. und 3. September 1991 wurden in der Folgezeit nicht ausgeführt, eine Bankbürgschaft wurde von der Beklagten weder vorgelegt noch angeboten.
Gegenüber der nach Grund und Höhe unstreitigen Klageforderung in Höhe von 188.792,43 DM rechnet die Beklagte mit Schadensersatzansprüchen in Höhe von insgesamt 202.836 DM wegen Nichtausführung ihrer Bestellungen vom 2. und 3. September 1991 auf; wegen des die Klageforderung übersteigenden Teils ihrer Forderung verlangt sie mit der Widerklage Zahlung von jetzt noch 10.438,57 DM.
Das Landgericht hat der Klage – von einer geringfügigen Zuvielforderung abgesehen – stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache gemäß § 539 ZPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Mit ihrer Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils, und zwar im Wege des Versäumnisurteils, weil die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten gewesen ist.
Entscheidungsgründe
I. Da die ordnungsgemäß geladene Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, war auf Antrag der Klägerin durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Auf der Säumnis beruht die Entscheidung indessen nicht.
II. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Das landgerichtliche Urteil leide an einem wesentlichen Verfahrensmangel, was zur Zurückverweisung führe. Bei seiner Entscheidung, daß ein Schadensersatzanspruch der Beklagten aus § 326 BGB jedenfalls an der fehlenden In-Verzug-Setzung und außerdem am Fehlen einer Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung scheitere, habe das Landgericht nämlich das Schreiben der Beklagten vom 11. November 1991 übersehen. Darin habe die Beklagte der Klägerin eine Frist zur Ausführung der Bestellungen vom 2. und 3. September 1991, verbunden mit einer Ablehnungsandrohung, gesetzt. Es sei davon auszugehen, daß zwischen den Parteien ein Vertrag auf der Grundlage der Großbestellung vom September 1991 zustande gekommen sei. Da die Liefertermine kalendermäßig bestimmt gewesen seien, sei die Klägerin ohne weitere Mahnung in Verzug geraten. Die Annahme der Bestellung habe auch nicht unter dem Vorbehalt einer Bürgschaftsstellung durch die Beklagte gestanden; nach dem Bestätigungsschreiben der Klägerin sei nämlich nur die Ausführung der Bestellung von der Stellung einer Bürgschaft abhängig gewesen. Da die Klägerin ihrerseits zum damaligen Zeitpunkt jegliche Leistungsverpflichtung in Abrede gestellt habe, sei die Beklagte auch nicht gehalten gewesen, sich vor der Erklärung der grundsätzlichen Leistungsbereitschaft der Klägerin eine Bürgschaft zu besorgen, was ihr weitere Kosten verursacht hätte.
III. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, daß zwischen den Parteien aufgrund der Bestellungen der Beklagten vom 2. und 3. September 1991 ein Vertrag zustande gekommen ist. Nach der von den Parteien praktizierten Übung und den zugrundeliegenden Lieferungs- und Zahlungsbedingungen der Klägerin bedurfte es hierfür keiner ausdrücklichen Auftragsbestätigung; vielmehr hätte die Klägerin gemäß Nr. 1 ihrer Lieferungs- und Zahlungsbedingungen binnen zehn Tagen nach Auftragseingang widersprechen müssen, wenn sie die Bestellung nicht annehmen wollte. Das hat sie unstreitig nicht getan. Allerdings haben die Parteien am 6. September 1991 ergänzend vereinbart, daß Lieferungen künftig nur gegen Stellung einer selbstschuldnerischen Bankbürgschaft erfolgen, soweit die offenen Forderungen der Klägerin – einschließlich der jeweiligen Lieferung – den Betrag von 150.000 DM übersteigen würden. Auch insoweit ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, daß die Klägerin nicht die Annahme der Bestellung, sondern nur ihre Ausführung von der Stellung einer Bankbürgschaft abhängig gemacht hat.
2. Ein Verzug der Klägerin ist jedoch nicht gegeben.
Der Verkäufer kommt mit der vereinbarten Lieferung nicht in Verzug, solange der Käufer die ihm obliegende Vorleistung nicht erbringt (Senatsurteil vom 13. März 1963 – VIII ZR 212/61 = WM 1963, 476, 477) oder zumindest anbietet (BGH, Urteil vom 26. Oktober 1965 – V ZR 87/63 = WM 1966, 126 unter 2). Aufgrund der von ihr unstreitig eingegangenen Verpflichtung eine Bankbürgschaft beizubringen, sobald aufgrund ihrer Bestellungen eine Kaufpreisforderung im Betrag von mehr als 150.000 DM entstanden ist, ist die Beklagte vorleistungspflichtig geworden.
Anders wäre dies nur, wenn die Klägerin die Erbringung ihrer Leistung eindeutig und endgültig verweigert hätte, weil dies die Vorleistungspflicht der Beklagten hätte entfallen lassen (z.B. BGHZ 88, 91, 96; 88, 240, 247 f). Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts trifft es indessen nicht zu, daß die Klägerin zum damaligen Zeitpunkt jegliche Lieferungsverpflichtung verneint hat. Die Annahme einer derartigen endgültigen Leistungsverweigerung setzt voraus, daß die Erklärung des Schuldners erkennbar sein „letztes Wort” darstellt, mit einer Änderung seiner Haltung also nicht mehr zu rechnen ist. Dies ist hier nicht der Fall. Die Mitteilung der Klägerin vom 4. November 1991, künftig eine in Polen ansässige Vertriebsfirma unmittelbar zu beliefern, ist nicht als endgültige Verweigerung der am 2. und 3. September 1991 bestellten Lieferungen zu verstehen. In ihrem Schreiben vom 13. November 1991 hat die Klägerin sowohl zu Beginn als auch im Schlußsatz auf die fehlende Bürgschaft verwiesen und erkennbar hiermit ihre Ablehnung der Lieferungen begründet. Dieser Einwand war berechtigt, weil die Voraussetzungen für die Stellung einer Bankbürgschaft seit der Vereinbarung vom 6. September 1991, insbesondere auch noch im November 1991 unstreitig erfüllt waren, mag die Klägerin daneben auch andere Ziele – die Lösung ihrer Geschäftsbeziehungen zur Beklagten – verfolgt haben. Die kalendermäßig bestimmten Lieferfristen waren daher entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts für sich allein nicht geeignet, Lieferverzug der Klägerin zu begründen (vgl. Palandt/Heinrichs, 55. Aufl., § 326 Rdnrn. 10 und 11).
Auch der Hinweis des Berufungsurteils auf die mit der Bürgschaftsgestellung verbundenen Kosten greift nicht durch. Im Zeitpunkt des Schriftwechsels vom 11./13. November 1991 beliefen sich die offenen Forderungen der Klägerin unstreitig auf 204.736,23 DM. Durch die bis zum 5. November 1991 vorgesehenen drei Teillieferungen wären nochmals rund 414.000 DM hinzugekommen. Angesichts des damit verbundenen wirtschaftlichen Risikos war die Klägerin aufgrund der Vereinbarung vom 6. September 1991 zur Leistung nur nach vorheriger Stellung der Bürgschaft verpflichtet. War sie aber mit der ihr obliegenden Leistung nicht in Verzug geraten, so stehen der Beklagten Schadensersatzansprüche nach § 326 Abs. 1 Satz 3 BGB nicht zu. Die im Wege der Aufrechnung geltend gemachten Gegenforderungen sind daher unbegründet.
IV. Die Sache ist zur Endentscheidung reif. Gemäß § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO hat der Senat daher in der Sache selbst entschieden. Dabei bedarf es keiner Vertiefung, wann das Revisionsgericht bei einer kassatorischen Entscheidung des Berufungsgerichts zu einer Sachentscheidung befugt ist (vgl. einerseits Urteil des II. Senats vom 1. Juli 1991 – II ZR 180/90 = NJW-RR 1991, 1312, 1313, andererseits Urteile des VIII. Senats vom 1. Dezember 1993 – VIII ZR 243/92 und des XII. Senats vom 21. Oktober 1992 – XII ZR 125/91 = BGHR ZPO § 539 Revision 1 und 2). Jedenfalls dann, wenn die im Rahmen des § 539 ZPO anzustellende Prüfung ergibt, daß die materiell-rechtliche Untersuchung der Beziehungen der Parteien zu einem endgültigen und abschließenden Ergebnis führt, kann dem Revisionsgericht schon aus Gründen der Prozeßökonomie eine eigene Sachentscheidung indessen nicht verwehrt sein (Senatsurteil vom 29. September 1993 – VIII ZR 107/93 = BGHR ZPO § 565 Abs. 3 Nr. 1 Sachentscheidung 1). Denn auch das Berufungsgericht könnte nach Zurückverweisung der Sache bei zutreffender rechtlicher Würdigung zu keinem anderen rechtlichen Ergebnis gelangen. So verhält es sich hier. Das unterscheidet den vorliegenden Sachverhalt von den Fallgestaltungen, in denen dem Revisionsgericht eine abschließende Sachentscheidung wegen der möglichen und gebotenen weiteren Sachaufklärung nicht möglich ist (vgl. Urteil des VIII. Senats vom 1. Dezember 1993 – VIII ZR 243/92 = BGHR ZPO § 539 Revision 2 = WM 1994, 706, 708) oder wo das Revisionsgericht eine eigene materiell-rechtliche Stellungnahme nicht zu treffen brauchte und nicht getroffen hat (Urteil des XII. Senats vom 21. Oktober 1992 – XII ZR 125/91 = BGHR ZPO § 539 Revision 1).
Unterschriften
Wolf, Dr. Paulusch, Dr. Hübsch, Dr. Beyer, Ball
Fundstellen