Leitsatz (amtlich)
a) Der Eigentümer kann eine unterirdische Einwirkung auf sein Grundstück auch dann verbieten, wenn durch den Eingriff nur ein Dritter in seinem Nutzungsrecht an diesem Grundstück unmittelbar beeinträchtigt wird.
b) Die Widerlegung des Ausschließungsinteresses (§ 905 Satz 2 BGB) erstreckt sich nicht auf solche Gesichtspunkte, die zwar vorstellbar sind, auf die sich aber der Eigentümer selbst nicht beruft.
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Entscheidung vom 15.08.1979) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 15. August 1979 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beklagten sind Eigentümer der in der Gemarkung K., Flur 4, gelegenen Wegeparzelle Nr. 82. Es handelt sich um einen etwa vier Meter breiten Feldweg. Dieser Weg trennt zwei im Besitz des Klägers befindliche Teilflächen, und zwar die östlich angrenzende, ca. 3 700 qm große Fläche des Flurstücks 81 von der westlich angrenzenden, ca. 7 800 qm großen Fläche des Flurstücks 84. Der Kläger möchte zum Zwecke der Auskiesung seiner östlich des Weges befindlichen Fläche den Weg in einer Tiefe von 1,50 m durch zwei nebeneinander liegende Stahlbetonrohre mit einer lichten Weite von je 1,80 m untertunneln und dann mittels eines durch die Rohre laufenden Förderbandes den Kies zu seinem westlich des Weges gelegenen Betriebsgelände transportieren. Die Beklagten widersprechen einer solchen Untertunnelung, weil sie das Nutzungsrecht an dem Weg der Firma Kiesbaggerei K. GmbH & Co. KG übertragen hätten, die ihrerseits beabsichtige, den Weg für den Einsatz, von Kiestransportfahrzeugen herzurichten; eine Untertunnelung, so meinen sie, könne die vorgesehene Benutzung des Weges beeinträchtigen. Die Beklagten sind Mitgesellschafter und Geschäftsführer der Kiesbaggerei Kalkum; an dieser Firma war früher auch der Kläger beteiligt. In einem anderen Rechtsstreit verlangt die Kiesbaggerei K. vom Kläger die Übertragung des Auskiesungsrechts an seiner auf dem Flurstück 81 gelegenen Teilfläche.
Das Landgericht hat die Beklagten antragsgemäß verurteilt, die Untertunnelung zu dulden. Im Berufungsverfahren hat der Kläger hilfsweise die Feststellung begehrt, daß die Beklagten nicht berechtigt seien, ihm das Vorhaben zu verbieten. Das Oberlandesgericht hat die Klage nach Haupt- und Hilfsantrag abgewiesen.
Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter. Die Beklagten beantragen,
das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hält die Beklagten nicht für verpflichtet, die Untertunnelung ihres Weges zu dulden, weil dieser Weg demnächst für Schwertransporte hergerichtet werden solle und ein solcher Ausbau durch eine vorhandene Rohrunterführung behindert werden könnte.
Die Revision hat Erfolg.
II.
Nach § 905 Satz 2 BGB darf der Eigentümer Einwirkungen auf sein Grundstück dann nicht verbieten, wenn sie in solcher Höhe oder Tiefe vorgenommen werden, daß er an dem Verbot vernünftigerweise kein Interesse haben kann. Dabei ist auch ein sich etwa erst in der Zukunft ergebendes Interesse des Eigentümers in Betracht zu ziehen (Senatsurteil vom 15. Mai 1957, V ZR 143/56, NJW 1957, 1396), ohne daß es darauf ankommt, ob sich dieses Interesse des Eigentümers aus der unmittelbaren eigenen Nutzung des Grundstücks oder aus der Nutzung durch einen von ihm dazu berechtigten Dritten ergibt; denn zu einer ungehinderten Ausnutzung des Eigentums (§ 903 BGB) gehört auch die Möglichkeit, das Grundstück einem anderen zur ungestörten Benutzung zu überlassen. Wird mithin das Nutzungsrecht eines Dritten an dem Grundstück durch unterirdische Einwirkungen gestört, so wird hierdurch zugleich der Eigentümer in der Ausnutzung seines Eigentums betroffen (vgl. RG JW 1932, 45; H. Westermann, Sachenrecht, 5. Aufl. § 61 II 1). Insoweit ist das Berufungsgericht daher mit Recht davon ausgegangen, daß die Beklagten als Eigentümer zur Duldung des Eingriffes nur verpflichtet wären, wenn auch die Kiesbaggerei Kalkum in ihrem Nutzungsrecht an dem Weg nicht beeinträchtigt werden könnte.
Das Berufungsgericht unterstellt, daß die vom Kläger geplante Untertunnelung die Stabilität des Weges auch bei Einsatz schwererer Kraftfahrzeuge nicht gefährden würde. Darüber hinaus hat der Kläger, worauf die Revision zutreffend hinweist, unter Beweisantritt vorgetragen, die Rohrunterführung berücksichtige "die höchste Belastung, die für Straßen anzusetzen ist" (Schriftsatz vom 12. Juni 1979 = GA 230, 231). Hiernach ist revisionsrechtlich davon auszugehen, daß eine Untertunnelung, wie sie der Kläger beabsichtigt, auch den nach einem Ausbau des Weges möglichen Belastungen durch Schwertransporte standhalten würde. Gleichwohl verneint das Berufungsgericht eine Duldungspflicht der Beklagten, weil der Kläger nicht die Möglichkeit widerlegt habe, daß ein Ausbau des Weges durch die Unterführung behindert oder kostenmäßig erschwert werden könnte. Diese Erwägung beanstandet die Revision zu Recht.
Zwar haben die Beklagten im Berufungsverfahren auf die Absicht hingewiesen, den derzeit unbebauten Weg so herzurichten, daß er künftig für Schwertransporte geeignet sei; dieser Vortrag stand aber nur im Zusammenhang mit der Behauptung des Klägers, daß der Weg im jetzigen Zustand für den Einsatz schwerer Fahrzeuge ungeeignet sei und daß daher diesbezügliche Belastungen nicht in Betracht kämen. Die Beklagten haben indessen weder behauptet noch auch nur angedeutet, ein Ausbau des Weges könnte durch die Rohrunterführung beeinträchtigt werden. Eine derartige Beeinträchtigung mag denkbar sein; die nach § 905 Satz 2 BGB gebotene Widerlegung des Ausschließungsinteresses erstreckt sich jedoch nicht auf solche Gesichtspunkte, die nur vorstellbar sind, auf die sich der Eigentümer aber selbst nicht beruft (vgl. Soergel/Baur, BGB 11. Aufl. § 905 Rdn. 10; Meisner/Stern/Hodes, Nachbarrecht, 5. Aufl. § 1 II 3).
Demgemäß brauchte der Kläger nicht darzulegen und unter Beweis zu stellen, daß die beabsichtigte Untertunnelung einen späteren Ausbau des Weges nicht behindere oder kostenmäßig erschwere.
Soweit sich das Berufungsgericht verfahrensrechtlich für befugt gehalten haben sollte, die Entscheidung auf einen Sachverhalt zu stützen, den keine der Parteien behauptet hat und der sich auch nicht als Folge einer allgemeinen Erfahrung aufdrängt, verstieße das gegen § 286 ZPO (Senatsurteil vom 11. November 1977, V ZR 105/75, LM § 138 ZPO Nr. 15 = MDR 1978, 567; Urteil des VIII. Zivilsenats vom 19. Januar 1977, VIII ZR 42/75, LM § 1006 BGB Nr. 16 = MDR 1977, 661). Anhaltspunkte dafür, daß die vom Berufungsgericht angenommene Möglichkeit einer Beeinträchtigung künftiger Arbeiten zum Ausbau des Weges etwa auf einer allgemeinen Erfahrung beruhen könnte, sind nach Lage des vorliegenden Einzelfalles nicht ersichtlich.
Demnach kann das Berufungsurteil mit der darin gegebenen Begründung keinen Bestand haben.
Es erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig: Die Klage ist ihrer Art nach zutreffend auf Duldung gerichtet. Dafür sind die Beklagten ungeachtet des auf die Kiesbaggerei K. übertragenen Nutzungsrechts passiv legitimiert, da es im Rahmen der §§ 905, 1004 Abs. 2 BGB nur darauf ankommt, ob der Eigentümer des von dem unterirdischen Eingriff betroffenen Grundstücks zur Duldung verpflichtet ist. Eine andere, vorliegend nicht zu entscheidende Frage ist, ob die Kiesbaggerei K. als Besitzerin der Wegeparzelle auch ihrerseits die Untertunnelung hinnehmen muß (§§ 858, 862 BGB). Von Bedeutung ist hier auch nicht der Rechtsstreit zwischen der Kiesbaggerei Kalkum und dem Kläger über die Auskiesungsrechte an der von ihm erworbenen Teilfläche des Flurstücks 81; nur im Falle einer zu seinem Nachteil ergehenden rechtskräftigen Entscheidung könnte der vorliegenden Klage ein Rechtsschutzinteresse fehlen.
Die Sache ist daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Ihm bleibt auch die vom endgültigen Prozeßausgang abhängige Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens vorbehalten.
Fundstellen
Haufe-Index 3018800 |
NJW 1981, 573 |
NJW 1981, 573-574 (Volltext mit amtl. LS) |
MDR 1981, 394-395 (Volltext mit amtl. LS) |