Entscheidungsstichwort (Thema)

Energieversorgung Gera. Gaspreisverfahren

 

Tenor

1. Die von der Betroffenen mit Schreiben vom 27. November 2008 angebotenen Verpflichtungszusagen sind bindend.

2. Das Verfahren gegen die Betroffene wird nach Maßgabe des § 32 b Absatz 1 Satz 2 GWB eingestellt.

3. Die Gebühr für das Verfahren einschließlich der Entscheidung beträgt […] EUR.

 

Tatbestand

I.

1. Die Betroffene ist ein Energieversorgungsunternehmen, das in den Bereichen Strom-, Fernwärme und -kälte und Gasversorgung tätig ist. Der Umsatz betrug im Jahr 2007 ca. 139 Mio. Euro. Gesellschafter der Betroffenen sind die Stadtwerke Gera AG (50,1%) und die Electrabel Deutschland AG (49,9%). Die Betroffene hat im Jahr 2007 ca. […] Standardlastprofilkunden mit Erdgas im Versorgungsgebiet Gera beliefert. Die Betroffene ist Grundversorger i.S.d. § 36 Abs. 1 EnWG im Versorgungsgebiet Gera und über ihre 100%ige Tochtergesellschaft Geranetz mbH Eigentümerin des dortigen Gasverteilernetzes. [1]

2. Die im Zusammenhang mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Preismissbrauch im Bereich der Energieversorgung vom 22. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2965) zum Jahresanfang 2008 eingerichtete 10. Beschlussabteilung des Bundeskartellamtes hat Ende Februar 2008 ein Verfahren wegen des Verdachts des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch das Fordern überhöhter Gaspreise für die Belieferung von Standardlastprofilkunden mit Erdgas gegen die Betroffene auf der Basis von § 29 GWB sowie § 19 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 4 Nr. 2 GWB eingeleitet. Zuvor hatte das Bundeskartellamt bei der Landeskartellbehörde Thüringen die Abgabe der Sache beantragt. Dem Antrag hat die Landeskartellbehörde Thüringen mit Schreiben vom 3. März 2008 stattgegeben.

3. Nach ersten Ermittlungen zu den Erlösen, Tarifen, Netzentgelten und Konzessionsabgaben hat die Beschlussabteilung weitere Ermittlungen zu den Gasbezugskosten, zu den Wettbewerbsbedingungen, zur Tarif- und Kundenstruktur sowie sonstigen Faktoren vorgenommen.

4. Die Beschussabteilung hat die Ermittlungsergebnisse und das unten näher dargestellte Prüfkonzept mit der Betroffenen in einer Besprechung am 9. Juli 2008 sowie in weiteren Telefongesprächen erörtert.

5. Mit Schreiben vom 27. November 2008 hat die Betroffene Verpflichtungszusagen in Form von Gutschriften an die Kunden (einschließlich der Kunden, die wechseln) und einer Senkung der Preise ab 2009 gemäß § 32 b GWB angeboten.

6. Die Betroffene hat am 20. November 2008 Gelegenheit zur Stellungnahme zum entsprechenden Entscheidungsentwurf erhalten.

 

Entscheidungsgründe

II.

7. Die Verpflichtungszusagen sind geeignet, die der Betroffenen mitgeteilten vorläufigen Bedenken der Beschlussabteilung auszuräumen. Für das Jahr 2008 hat sich der Missbrauchsverdacht gegen die Betroffene insbesondere wegen der Senkung der Gaspreise zum 1. Januar 2008 und einer nicht vollständigen Weitergabe von Gasbezugskostensteigerungen zum 1. Oktober 2008 nicht erhärtet. Daher erklärt die Beschlussabteilung im Rahmen ihres Ermessens die Verpflichtungszusagen für bindend und stellt das Verfahren gegen die Betroffene vorbehaltlich ihrer in § 32 b Abs. 2 GWB enthaltenen Möglichkeiten ein.

8. Die vorläufige Auffassung der Beschlussabteilung beruhte auf den nachfolgend dargestellten Überlegungen, denen die Betroffene im Laufe des Verfahrens entgegen getreten ist. Insoweit bestehen zwischen Bundeskartellamt und der Betroffenen nach wie vor unterschiedliche Sach- und Rechtsauffassungen.

9. Das Bundeskartellamt ist für das Verfahren zuständig, weil die Landeskartellbehörde Thüringen das Verfahren auf Antrag des Bundeskartellamtes nach § 49 Abs. 3 GWB rechtmäßig an das Bundeskartellamt abgegeben hat. Bei der Abgabeentscheidung handelt es sich um einen verwaltungsinternen Akt ohne Außenwirkung, der nicht isoliert anfechtbar ist. [2]

10. Die Betroffene besitzt nach Auffassung der Beschlussabteilung in ihrem Versorgungsgebiet eine marktbeherrschende Stellung im Sinne des § 19 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 4 Nr. 2 GWB und im Sinne des § 29 GWB (als Anbieter von leitungsgebundenem Gas) bei der Belieferung von Standardlastprofilkunden mit Erdgas.

11. Sachlich relevant ist der Markt der Lieferung von Erdgas an Standardlastprofilkunden im Sinne des § 29 Gasnetzzugangsverordnung (vom 25. Juli 2005, BGBl. I S. 2210), d. h. nicht leistungsgemessenen Endkunden. Die Endkundenstufe umfasst sämtliche Nachfrager von Erdgas, die Erdgas zum eigenen Verbrauch nachfragen. Auf der Endkundenstufe bilden nicht leistungsgemessene Standardlastprofilkunden einerseits und leistungsgemessene Großkunden andererseits aufgrund der unterschiedlichen Nachfragevolumina, Konditionen und den damit einhergehenden Unterschieden in der Preisgestaltung jeweils eigenständige sachliche Märkte. [3] Während Standardlastprofilkunden regelmäßig im Rahmen von standardisierten Tarifverträgen aufgrund standardisierter Lastprofile beliefert werden, schließen leistungsgemessene Großkunden einen individuellen Liefervertrag mit dem Gaslieferanten ab und ihre Leist...

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