Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachprüfungsverfahren wegen „Lieferung von Blutzuckermessprodukten”
Nachgehend
Tenor
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag nach § 115 Abs. 3 GWB wird zurückgewiesen.
3. Sämtliche weitergehenden, vom Zwischenbeschluss der Vergabekammer in gleicher Sache vom 4. Januar 2012 nicht erfassten auf Akteneinsicht gerichteten Anträge der Beteiligten werden abgelehnt.
4. Die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen) sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen trägt die Antragstellerin.
5. Die Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin und die beiden Beigeladenen war notwendig.
Tatbestand
A.
Die Beteiligten streiten unter dem Gesichtspunkt der vergaberechtlich unzulässigen Direktvergabe ohne vorherige Ausschreibung (§ 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB) über ein Vertragskonglomerat zwischen der Antragsgegnerin (Ag) [einer gesetzlichen Krankenkasse], der Beigeladenen zu 1) (Bg zu 1) und der Beigeladenen zu 2) (Bg zu 2), welches vertragliche Grundlage der Beschaffung von – seitens der Bg zu 2) zu liefernden – Blutzuckermessprodukten zugunsten der an Diabetes mellitus leidenden und bei der Ag versicherten Menschen ist; der geschätzte Auftragswert beläuft sich nach dem Vortrag der Beteiligten auf ca. … jährlich.
Neben der Bg zu 2) ist auch die Antragstellerin (ASt) Herstellerin von Produkten zur medizinischen Diagnostik und vertreibt unter anderem Blutzuckermessgeräte samt zugehöriger Teststreifen; diese sind in Kombination als „Blutzuckermesssystem” sowie einzeln in Apotheken oder Sanitätshäusern erhältlich; Blutzuckermessprodukte sind grundsätzlich rezeptfrei erhältlich. Patienten mit Diabetes mellitus werden sie in aller Regel ärztlich verordnet und die Kosten von den gesetzlichen Krankenkassen getragen. Die Ag ist eine gesetzliche Krankenkasse mit einer nicht unerheblichen Anzahl an gesetzlich Versicherten, die an Diabetes mellitus leiden (über … Versicherte).
Am 1. Juli 2011 schloss die Ag mit der Bg zu 1), einer Anbieterin von Managementdienstleistungen im Gesundheitswesen, einen „Vertrag zur integrierten Versorgung von insulinpflichtigen Patienten mit Diabetes mellitus nach §§ 140a ff. SGB V” (IV-Vertrag). Vorrangiges Ziel ist laut IV-Vertrag die „Verbesserung der Compliance der an Diabetes mellitus erkrankten Versicherten” der Ag unter gleichzeitiger „Aktivierung von Wirtschaftlichkeitsreserven”. Dies soll durch eine „zentrale Koordinierung von integrierten Behandlungs- und Versorgungsabläufen” auf der Basis eines zwischen den Vertragspartnern abgestimmten „Versorgungskonzepts bei der Blutzuckerselbstmessung” erreicht werden. Gemäß § 1 Abs. 4 des IV-Vertrages wird die „Verpflichtung zu einer wirksamen und ausreichenden Versorgung der Versicherten” der Ag statuiert. Ein förmliches Vergabeverfahren gemäß §§ 97 ff. GWB führte die Ag in Bezug auf den Abschluss des IV-Vertrags nicht durch.
Die Bg zu 1) darf sich laut IV-Vertrag zur „ziel- und qualitätsorientierten Vertragserfüllung” eines nichtärztlichen Kooperationspartners bedienen. Im Rahmen eines nichtförmlichen Auswahlverfahrens trat sie vor diesem Hintergrund an die Bg zu 2) heran, die mit den Produkten der ASt qualitativ und preislich vergleichbare Blutzuckermessprodukte herstellt. Die Bg zu 1) und die Bg zu 2) schlossen am 11./13. Juli 2011 – also wenige Tage nach Abschluss des IV-Vertrages – einen „Kooperationsvertrag zur Verbesserung der Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung von Versicherten mit Diabetes mellitus der … (Kooperationsvertrag). Die Vertragsparteien regelten darin die Abgabe von Blutzuckermesssystemen und Teststreifen durch die Bg zu 2) an die Bg zu 1) und ihre „Kooperationspartner” (gemeint sind Ärzte und Patienten). Ein förmliches Vergabeverfahren im Sinne der §§ 97 ff. GWB fand auch bezüglich des Kooperationsvertrags nicht statt.
Die ASt erfuhr nach eigenem Bekunden am 7. September 2011 vom Abschluss des Kooperationsvertrags zwischen der Bg zu 1) und der Bg zu 2). Noch am gleichen Tag setzte sie die Bg zu 2) schriftlich darüber in Kenntnis, dass sie darin einen vergaberechtlichen Verstoß erkenne.
Am 7. Oktober 2011 stellte die ASt bei der Vergabekammer des Bundes einen entsprechenden Antrag auf Nachprüfung mit dem Begehren, den Kooperationsvertrag für unwirksam zu erklären, weitere Abrufe aus ihm zu untersagen und die Ag zur europaweiten Ausschreibung zu verpflichten; zugleich stellte sie einen Antrag auf Akteneinsicht.
Parallel hierzu ist die ASt vor den ordentlichen Gerichten gegen die Bg zu 1) vorgegangen. So hat sie vor dem Landgericht … (Az …) am 20. September 2011 eine einstweilige Verfügung gegen die Bg zu 1) gemäß §§ 935, 940, 937 ZPO, §§ 3, 4 Nr. 1 und 11 UWG iVm. § 34 Abs. 1 und Abs. 5 der Berufsordnung der Ärztekammer … erwirkt, durch die der Bg zu 1) im Zusammenhang mit den geschlossenen Vereinbarungen unter anderem untersagt...