Rn 18
§ 125 Abs. 1 Satz 1 erleichtert die Anforderungen, die an die soziale Rechtfertigung einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung (§ 1 Abs. 2 Alt. 3 KSchG) zu stellen sind, unter zwei Gesichtspunkten: Die Betriebsbedingtheit der Kündigung wird vermutet (§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) und die Nachprüfbarkeit der Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) eingeschränkt (§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2). Auf außerordentliche Kündigungen findet § 125 selbst dann keine Anwendung, wenn der gekündigte Arbeitnehmer in dem Interessenausgleich namentlich aufgeführt ist.
4.1 Vermutung der Betriebsbedingtheit der ordentlichen Kündigung
Rn 19
Nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 wird vermutet, dass die ordentliche Kündigung der in der Namensliste bezeichneten Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung in diesem Betrieb oder einer Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen entgegenstehen, bedingt ist. Der Insolvenzverwalter muss im Kündigungsschutzprozess zunächst nur vortragen, dass der Kläger in der Namensliste als einer der Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis beendet werden soll, aufgeführt ist. Weitere Ausführungen können im Rahmen der im Kündigungsschutzverfahren geltenden abgestuften Darlegungs- und Beweislast je nach Reaktion des Arbeitnehmers erforderlich werden.
4.1.1 Wegfall des Beschäftigungsbedarfs/fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Unternehmen
Rn 20
Die Vermutung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 erstreckt sich auf alle Voraussetzungen der Betriebsbedingtheit der Kündigung, d.h. sowohl auf den Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses als auch auf das Fehlen von anderweitigen Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten auf freien Arbeitsplätzen im Unternehmen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich die Betriebspartner bei den Verhandlungen über den Interessenausgleich mit Beschäftigungsmöglichkeiten in anderen Betrieben befasst haben, wovon nach der Rechtsprechung auch ohne ausdrückliche Erwähnung im Interessenausgleich regelmäßig auszugehen ist. Dass bzw. ob eine Betriebsstilllegung bei Zugang der Kündigung bereits greifbare Formen angenommen hatte, wird von der Vermutungswirkung ebenfalls erfasst. Die Privilegierung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 gilt dabei auch für etwaige im Hinblick auf eine behördliche Zustimmung (z.B. § 168 SGB X) ausgesprochene Folgekündigungen. Allerdings unterliegt die unternehmerische Entscheidung des Insolvenzverwalters auch im Rahmen von § 125 noch einer Missbrauchskontrolle, die Verstöße gegen gesetzliche und tarifliche Normen sowie Diskriminierung und Umgehungsfälle verhindern soll.
4.1.2 Betriebs(teil-)übergang
Rn 21
Im Falle eines der Betriebsänderung vorangehenden oder nachfolgenden Betriebs(teil-)übergangs erstreckt sich die Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 gemäß § 128 Abs. 2 auch darauf, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht wegen des Betriebsübergangs (§ 613a Abs. 4 BGB) erfolgt.
4.2 Eingeschränkte Sozialauswahl
Rn 22
§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ergänzt und modifiziert § 1 Abs. 3, 5 KSchG. Für die Auslegung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO gelten daher die gleichen Grundsätze wie für § 1 Abs. 3 KSchG, etwa dass die revisionsgerichtliche Prüfung begrenzt ist, weil die Anwendung unbestimmter Rechtsbegriff in erster Linie Aufgabe des Tatrichters ist.
4.2.1 Allgemeines
Rn 23
Im Einzelnen schränkt § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 sowohl die zu berücksichtigenden Sozialdaten als auch die gerichtliche Prüfungsdichte ein.
4.2.1.1 Unterschiede zu § 1 Abs. 3 KSchG
Rn 24
Dem Insolvenzverwalter und dem Betriebsrat eröffnet § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 weitergehende Möglichkeiten bei der Sozialauswahl als dies nach § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG außerhalb der Insolvenz der Fall ist. Die wesentlichen Unterschiede sind, dass zum einen mit dem Interessenausgleich auch angestrebt werden kann, eine ausgewogene Personalstruktur nicht nur zu erhalten, sondern erst zu schaffen. Zum anderen muss eine Schwerbehinderung der Arbeitnehmer im Rahmen der Sozialauswahl nicht als eigenständiges Kriterium berücksichtigt werden (§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2). Gleichwohl darf die Schwerbehinderung nicht zum tragenden Grund der Kündigungsentscheidung gemacht werden. Denn mit Blick auf die auch im Rahmen von § 125 erfolgende gerichtliche Missbrauchskontrolle ist die Kündigung trotz namentlicher Bezeichnung des schwerbehinderten Arbeitnehmers im Interessenausgleich unwirksam, wenn er beweisen kann, dass die Kündigungsentscheidung getroffen wurde, um sich den Belastungen zu entziehen, welche aus den besonderen Rechten schwerbehinderter Menschen folgen.