Rn 46
Die Wirkung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 entfällt, wenn die Vermutung widerlegt wird oder sich die Sachlage nach Abschluss des Interessenausgleichs wesentlich ändert. Der eingeschränkte gerichtliche Prüfungsmaßstab nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 greift nur im Falle einer wesentlichen nachträglichen Änderung der Sachlage.
5.1 Widerlegung der Vermutung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
Rn 47
§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO stellt eine gesetzliche Vermutung dar, die im Kündigungsschutzprozess zur Beweislastumkehr führt, aber gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 292 ZPO widerlegbar ist. Um die Vermutung zu widerlegen, muss der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess der Vermutung widersprechende Tatsachen darlegen und notfalls beweisen. Es genügt nicht, dass er die Vermutung erschüttert, er muss vielmehr das Gegenteil der vermuteten Tatsachen darlegen und beweisen. Verbleibende Zweifel gehen zu Lasten des Arbeitnehmers.
Rn 48
Widerlegt ist die Vermutung etwa, wenn der Arbeitnehmer beweist, dass der nach dem Interessenausgleich in Betracht kommende betriebliche Grund in Wirklichkeit nicht besteht, etwa dass keine Betriebsstillegung, sondern ein Betriebsübergang erfolgt ist. Der bloße Verweis auf angeblich bestehende Verkaufsabsichten genügt hierfür indes regelmäßig nicht. Ferner ist die Vermutung widerlegt, wenn dem Arbeitnehmer der Beweis gelingt, dass sein Arbeitsplatz nicht weggefallen ist, sondern die von ihm erledigten Aufgaben nach wie vor anfallen. Hingegen reicht es für eine Widerlegung nicht aus, dass der Interessenausgleich eine Klausel enthält, nach dem der Insolvenzverwalter in begrenztem Umfang Leiharbeitnehmer einsetzen darf.
5.2 Wesentliche Änderung der Sachlage
Rn 49
Die Vermutung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und die Einschränkung des Prüfungsumfangs nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 gelten nach § 125 Abs. 1 Satz 2 nicht, wenn sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Eine wesentliche Änderung der Sachlage liegt nur vor, wenn im Kündigungszeitpunkt von einem Wegfall der Geschäftsgrundlage auszugehen ist, wenn also beide Betriebsparteien oder eine von ihnen den Interessenausgleich in Kenntnis der späteren Änderung nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten.
Rn 50
Eine wesentliche Änderung liegt vor, wenn sich die im Interessenausgleich vorgesehene Zahl der zur Kündigung vorgesehenen Arbeitnehmer zwischen dem Abschluss des Interessenausgleichs und dem Kündigungszeitpunkt erheblich verringert hat. Hierfür genügt es aber nicht, dass der Interessenausgleich den Abbau von 153 Arbeitsplätzen vorsieht, nur 134 betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen werden und die 19 anderen Arbeitnehmer, die in der Namensliste erwähnt sind, aufgrund von Eigenkündigungen oder Aufhebungsverträgen ausgeschieden sind. Denn in diesem Fall sind genauso viele Arbeitsplätze wie beabsichtigt abgebaut worden.
Rn 51
Aus demselben Grund liegt keine wesentliche Änderung der Sachlage vor, wenn in der Namensliste angegebenen Arbeitnehmern deshalb nicht gekündigt wird, weil sie noch vor Ausspruch der Kündigung aufgrund eines dreiseitigen Vertrags in eine Transfergesellschaft wechseln. Denn hierdurch wird der bei Abschluss des Interessenausgleichs beabsichtigte Arbeitsplatzabbau gerade verwirklicht, sodass sich die Sachlage nicht geändert hat.