Rn 20

Sind die vorstehenden Voraussetzungen erfüllt, ist der Verwalter zur freihändigen Verwertung der Sache, d.h. zur Verwertung außerhalb der Vorschriften über die Zwangsvollstreckung (§§ 803 ff. ZPO) oder über den Pfandverkauf (§§ 12341240 BGB) befugt.[56] "Verwertung" meint die Realisierung des Substanzwertes, sei es durch Veräußerung des einzelnen Gegenstands oder Veräußerung im Verbund (zur Relevanz dieser Frage im Zusammenhang mit der Erlösverteilung siehe Rn. 61).[57] Er hat allerdings die Vorschriften der §§ 167, 168 zu beachten.

Der Verwalter kann sich gleichwohl für die Verwertung durch Zwangsvollstreckung[58] (§§ 803 ff. ZPO) oder durch Pfandverkauf[59] (§§ 12341240 BGB) entscheiden. Die praktische Bedeutung dieser Verwertungsarten ist allerdings gering,[60] da die so erzielten Erlöse im Regelfall deutlich unter den im freihändigen Verkauf erzielten liegen und auch der absonderungsberechtigte Gläubiger daher im Regelfall an einer freihändigen Verwertung interessiert ist. Deshalb kann die Verwertung durch Pfandverkauf oder durch Zwangsversteigerung auch nur dann den Vorwurf einer nicht optimalen Masseverwertung zu vermeiden helfen, wenn die freihändige Verwertung nicht offenkundig einen höheren Erlös erwarten lässt.[61]

 

Rn 21

Die für einen Pfandverkauf vorausgesetzte Pfandreife (vgl. § 1228 Abs. 2 BGB) wird im Insolvenzfall regelmäßig vorliegen. Im Übrigen ist der Verkauf nach § 1235 BGB im Wege öffentlicher Versteigerung zu bewirken, d.h. die Versteigerung hat durch einen für den Versteigerungsort bestellten Gerichtsvollzieher oder zu Versteigerungen befugten anderen Beamten oder öffentlich angestellten Versteigerer öffentlich zu erfolgen (vgl. Legaldefinition der öffentlichen Versteigerung in § 383 Abs. 3 Satz 1 BGB). Hat das Pfand einen Börsen- oder Marktpreis, ist nach Abs. 2 des § 1235 BGB ausnahmsweise freihändiger Verkauf zulässig (vgl. § 1221 BGB). Auch die sonstigen formalen Voraussetzungen des Pfandverkaufs hat der Insolvenzverwalter im Grundsatz einzuhalten. Er ist jedoch von einigen formalen Voraussetzungen befreit, die nach ihrem Sinn und Zweck in der Insolvenz funktionslos sind, z.B. die Pflicht, dem Sicherungsgeber Zeit und Ort der Versteigerung bekannt zu geben (§ 1237 Satz 2 BGB) oder ihm den Verkauf anzudrohen (§ 1234 BGB), wenn der Schuldner der Sicherungsgeber ist.[62]

 

Rn 22

Bei der Veräußerung von Sicherungseigentum ersetzt § 166 Abs. 1 die notwendige Ermächtigung des Sicherungsnehmers (zur Ermächtigungswirkung siehe bereits oben Rn. 2), die an sich erforderlich wäre, weil der Sicherungsnehmer Vollrechtsinhaber des Eigentums an dem Sicherungsgegenstand geworden ist und der Sicherungsgeber mithin an sich nicht (mehr) Berechtigter i.S.d. § 929 BGB ist.[63]

 

Rn 23

Hat der wegen sicherungsübereigneter Gegenstände zur abgesonderten Befriedigung berechtigte Gläubiger das Sicherungsgut vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Besitz genommen, aber erst nach der Eröffnung verwertet, hat er nach Auffassung des BGH in Höhe der wegen der Lieferung des Sicherungsgutes an ihn angefallenen Umsatzsteuerschuld der Masse aus dem Verwertungserlös einen Betrag in dieser Höhe in analoger Anwendung von § 13b Abs. 1 Nr. 2 UStG, § 170 Abs. 2, § 171 Abs. 2 Satz 3 InsO an die Masse abzuführen.[64]

 

Rn 24

Andere Sachen als Geld, Kostbarkeiten und Wertpapiere sind bei Pfändung durch den Gerichtsvollzieher nach § 808 Abs. 2 Satz 1 ZPO im Gewahrsam des Schuldners zu belassen, sofern nicht hierdurch die Befriedigung des Gläubigers gefährdet wird. Findet der Insolvenzverwalter solche gepfändeten Sachen bei Verfahrenseröffnung daher im Besitz des Schuldners vor, ist er auch insoweit nach § 166 Abs. 1 zur Verwertung berechtigt. Aus Sicht des Vollstreckungsrechts handelt es sich um eine andere Verwertungsart nach § 825 ZPO, wobei str. ist, ob der Antrag entbehrlich ist oder eine Einzelanordnung des Gerichtsvollziehers ergehen muss.[65]

 

Rn 25

Auf das Vorliegen der Voraussetzungen eines Selbsthilfeverkaufs nach den §§ 383, 385 BGB bzw. den §§ 373, 379, 388 HGB kommt es regelmäßig insoweit nicht zu erfüllen, als der Insolvenzverwalter ohnehin nach § 166 zur freihändigen Veräußerung berechtigt ist.[66]

[56] Uhlenbruck-Brinkmann, 13. Aufl. 2010, § 166 Rn. 9; MünchKomm-Lwowski/Tetzlaff, 2. Aufl. 2008, § 166 Rn. 30.
[57] BGH, Urt. v. 13. 7. 2006 – IX ZR 57/05 [Tz. 10], DB 2007, 1405 = NJW-RR 2007, 49 = NZI 2006, 587 = WM 2006, 1636 = ZInsO 2006, 938 = ZIP 2006, 1641; Uhlenbruck-Brinkmann, 13. Aufl. 2010, § 166 Rn. 9.
[58] MünchKomm-Lwowski/Tetzlaff, 2. Aufl. 2008, § 166 Rn. 34.
[59] Ausf. dazu MünchKomm-Lwowski/Tetzlaff, 2. Aufl. 2008, § 166 Rn. 31 ff.
[60] HambKomm-Büchler, 3. Aufl. 2009, § 166 Rn. 10.
[61] MünchKomm-Lwowski/Tetzlaff, 2. Aufl. 2008, § 166 Rn. 30.
[62] MünchKomm-Lwowski/Tetzlaff, 2. Aufl. 2008, § 166 Rn. 32 f.
[63] Uhlenbruck-Brinkmann, 13. Aufl. 2010, § 166 Rn. 9.
[64] BGH, Urt. v. 29. 3. 2007 – IX ZR 27/06 [Tz. 19], DB 2007, 1351 = NJW-RR 2007, 1207 = NZI 2007, 394 = WM 2007, 1129 = ZInsO 2007, 605 = ZIP 2007, 1...

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