Dr. Jürgen Blersch, Prof. Dr. Eberhard von Olshausen
Rn 13
Nach Prüfung der Erfolgsaussichten hat der Verwalter entsprechend seinem pflichtgemäßen Ermessen auch die Möglichkeit, die Aufnahme des Rechtsstreits abzulehnen. Auch hierfür hat er bei Vorliegen der Voraussetzungen die Zustimmung der Gläubigergremien nach § 160 Abs. 2 Nr. 3 einzuholen. Die Erklärung bedarf keiner besonderen Form und ist nicht gegenüber dem Prozessgericht, sondern gegenüber dem Prozessgegner oder dem Schuldner abzugeben.
Die Ablehnung der Aufnahme des Rechtsstreits bedeutet notwendig zugleich die Freigabe (zu diesem Begriff § 35 Rn. 104 ff.) des bislang insolvenzbefangenen Gegenstands aus der Masse. Denn § 85 Abs. 2 gewährt dem Insolvenzschuldner die Prozessführungsbefugnis ersichtlich nur deshalb zurück, weil der Streitgegenstand nach Ablehnung der Verfahrensaufnahme seitens des Verwalters wieder zum massefreien Vermögen gehört. Ergibt die Auslegung, dass der Verwalter die Aufnahme des Rechtsstreits zwar ablehnen, den betreffenden Gegenstand aber nicht freigeben will, so liegt auch keine wirksame Ablehnung der Aufnahme vor. Umgekehrt schließt die Freigabe eines zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenstands regelmäßig die Ablehnung der Aufnahme eines über diesen Gegenstand anhängigen Prozesses in sich.
Nach einer Mindermeinung in der Literatur ist eine Freigabe in der Insolvenz einer juristischen Person oder einer Personengesellschaft ausgeschlossen, weil hier zu den Aufgaben des Insolvenzverwalters nicht nur die Vermögensverwertung und Gläubigerbefriedigung, sondern, falls eine Sanierung nicht möglich ist, auch die Vollabwicklung der Personenvereinigung gehöre und es deshalb ein insolvenzfreies Vermögen, in das ein Vermögensgegenstand freigegeben werden könnte, nicht gebe. Aus der Unmöglichkeit einer Freigabe wird von Vertretern der Mindermeinung – in sich konsequent – gefolgert, dass der Verwalter auch die Aufnahme eines anhängigen Aktivrechtsstreits nicht ablehnen könne ("teleologische Reduktion" des § 85 Abs. 2). Der Mindermeinung ist nicht zu folgen, weil § 85 Abs. 2 ebenso wie § 32 Abs. 3 Satz 1 mit Recht nicht danach unterscheidet, ob der Insolvenzschuldner eine natürliche Person oder eine Personenvereinigung ist (vgl. § 35 Rn. 110; ferner § 80 Rn. 7, je m.w.N.). So hat inzwischen auch der BGH entschieden und dabei zu Recht ausgesprochen, dass bei einem Widerspruch zwischen den Zielen der Vollabwicklung durch den Verwalter und der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung das letztgenannte Ziel unbedingten Vorrang habe und deshalb der Verwalter nicht zur Fortführung eines ihm aussichtslos erscheinenden Prozesses, sei es auch nur zwecks Klagerücknahme oder Klageverzichts, gezwungen werden dürfe. Für einen im Konfliktfall bestehenden Vorrang der Gläubigerinteressen vor dem Ziel einer Vollabwicklung der Personenvereinigung durch den Verwalter spricht auch die Begründung, die der Rechtsausschuss für die Streichung der Abwicklung aus dem Zielkatalog des § 1 gegeben hat: Die Vorschrift sei redaktionell gestrafft und dadurch auf "ihre wesentlichen Elemente" zurückgeführt worden.
Streitig ist die Rechtslage und die Kostentragung in dem Fall, dass der Insolvenzverwalter zwar zunächst den Rechtsstreit aufnimmt, den streitbefangenen Gegenstand im weiteren Verlauf des Rechtsstreits dann aber doch aus der Masse freigibt. Die Rechtsprechung nimmt hier einen gesetzlichen Parteiwechsel, also einen automatischen Eintritt des Insolvenzschuldners in den Rechtsstreit an, beantwortet die Frage, wer bzw. welches Vermögen für die Verfahrenskosten haftet, aber unterschiedlich. Das insolvenzrechtliche Schrifttum wendet dagegen überwiegend § 265 Abs. 2 ZPO analog an, meint also, dass der Insolvenzverwalter den Rechtsstreit als Prozessstandschafter für den Insolvenzschuldner fortzuführen und die Masse im Falle des Unterliegens des Verwalters die Verfahrenskosten als Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 1) zu tragen habe. Von einer "Veräußerung" oder "Abtretung" i.S. des § 265 ZPO unterscheidet sich der hier vorliegende Wechsel der Prozessführungsbefugnis vom Insolvenzverwalter zum Insolvenzschuldner indes dadurch, dass der Insolvenzschuldner schon nach § 80 Abs. 1 an die bisher eingetretene Prozesslage (Geständnis, Präklusion wegen Verspätung, Ergebnis einer bereits durchgeführten Beweisaufnahme, Verzicht etc.) gebunden ist, so dass es insoweit des durch § 265 Abs. 2 ZPO gewährten Schutzes für den Prozessgegner nicht bedarf. Das Interesse des Prozessgegners, nicht nach längerem, aber schließlich als aussichtslos erkanntem Prozessieren des Verwalters mittels Freigabe des Streitgegenstandes das klägliche insolvenzfreie Vermögen des Insolvenzschuldners statt der Insolvenzmasse als Haftungsfonds für einen etwaigen Kostenerstattungsanspruch aufgedrängt zu bekommen, lässt sich durch analoge Anwendung des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO befriedigen: Für die bis zur Freigabe entstandenen Kosten haftet die Insolvenzmasse, für die danach entstandenen Kosten das insolvenzfreie Vermögen ...