Entscheidungsstichwort (Thema)

Einheitliche Anwendung der BRAGO bei Abrechnung der Anwaltsgebühren für das selbständige Beweisverfahren und das Hauptsacheverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ist dem Prozessbevollmächtigten für das selbständige Beweisverfahren vor dem 1.7.2004 ein unbedingter Auftrag erteilt worden, bemessen sich die von ihm verdienten Gebühren für das selbständige Beweisverfahren und das Hauptsacheverfahren einheitlich nach der BRAGO, auch wenn der Auftrag für die Hauptsache erst nach dem 1.7.2004 erteilt worden ist.

2. Der unbedingte Auftrag für das selbständige Beweisverfahren und derjenige für die Hauptsache sind Aufträge zur Erledigung derselben Angelegenheit, wenn der Gegenstand des Hauptprozesses und dessen Parteien identisch sind.

3. Die Anwendung von gespaltenem Gebührenrecht - Gebühren für das selbständige nach der BRAGO und Gebühren für das Hauptsacheverfahren nach dem RVG - führt in derartigen Fällen zu unbilligen Ergebnissen, weil der Rechtsanwalt danach mehr Gebühren verdienen würde als bei einheitlicher Anwendung von BRAGO oder RVG.

 

Normenkette

RVG § 61

 

Verfahrensgang

LG Potsdam (Beschluss vom 04.04.2006; Aktenzeichen 6 O 583/04)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des LG Potsdam vom 4.4.2006 - 6 O 583/04 - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die auf Grund des Beschlusses des LG Potsdam vom 8.7.2005 von der Klägerin an die Beklagte zu erstattenden Kosten werden auf 4.212,30 EUR (i.B.: viertausendzweihundertzwölf und 30/100 EUR) nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB ab dem 1.8.2005 festgesetzt.

Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Beschwerdewert beträgt 548,66 EUR.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin hat beim LG gegen die Beklagte und gegen sieben weitere Antragsgegner mit Schriftsatz vom 9.5.2001 das selbständiges Beweisverfahren 12 OH 8/01 eingeleitet, das Mitte des Jahres 2004 beendet war.

Die Klägerin hat mit am 3.12.2004 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz gegen die Beklagte Klage auf Zahlung von insgesamt 83.874,16 EUR erhoben, davon 76.266,48 DM = 38.994,43 EUR als Erlösausfallschaden. Die Klage hat sie im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 8.7.2005 zurückgenommen.

Das LG hat der Klägerin mit Beschluss vom gleichen Tage die Kosten des Rechtsstreits sowie die außergerichtlichen Kosten der Beklagten in dem Verfahren 12 OH 8/01 auferlegt. Mit Beschluss vom 22.7.2005 hat das LG in dem Verfahren 12 OH 8/01 den Streitwert auf 150.000 DM = 76.693,78 EUR festgesetzt und zur Begründung ausgeführt, zwar sei die Beklagte im vorliegenden Klageverfahren auf einen höheren Betrag verklagt worden, jedoch betreffe dieser Rechtsstreit nicht nur die Mangelhaftigkeit, sondern auch den Erlösausfall, der nicht Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens gewesen sei.

Die vorsteuererstattungsberechtigte Beklagte meldete 5.795,55 EUR zur Kostenfestsetzung an und vertrat die Auffassung, dass das selbständige Beweisverfahren nach der BRAGO, das Klageverfahren nach dem RVG abzurechnen sei. Von der Verfahrensgebühr gem. RVG hat sie eine BRAGO-Prozessgebühr nach einem Streitwert von 44.879,72 EUR abgesetzt.

Der Rechtspfleger des LG hat die von der Klägerin an die Beklagte zu erstattenden Kosten auf 4.760,96 EUR (4.483,06 EUR zzgl. Reisekosten i.H.v. 277,90 EUR) festgesetzt. Dabei hat er für das selbständige Beweisverfahren eine 10/10 Beweisgebühr nach BRAGO und für das Klageverfahren eine 1,3 Verfahrensgebühr nach RVG unter Anrechnung einer 10/10 Prozessgebühr nach BRAGO nach einem Streitwert von 76.693,78 EUR und eine 1,2 Terminsgebühr nach RVG angesetzt.

Gegen diesen Beschluss, der ihr am 4.4.2006 zugestellt worden ist, wendet sich die Klägerin mit ihrer am 10.4.2006 bei Gericht eingegangenen sofortigen Beschwerde, mit der sie geltend macht, dass die Abrechnung insgesamt nach BRAGO zu erfolgen habe.

Der zuständige Rechtspfleger hat mit Verfügung vom 11.4.2006 dem Rechtsbehelf nicht abgeholfen und ihn dem Brandenburgischen OLG zur Entscheidung vorgelegt.

II. Die sofortige Beschwerde ist gem. den §§ 11 Abs. 1 RPflG, 104 Abs. 3, 567 Abs. 1 und 2, 569 Abs. 1 ZPO zulässig.

Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Zu Unrecht hat das LG die von der Klägerin an die Beklagte zu erstattenden anwaltlichen Gebühren für das selbständige Beweisverfahren nach der BRAGO und diejenigen für das Hauptsacheverfahren nach dem RVG ermittelt. Die anwaltlichen Gebühren der Beklagtenvertreter sind insgesamt nach der BRAGO abzurechnen.

Nach § 61 Abs. 1 Satz 1 RVG findet die BRAGO weiter Anwendung, wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit i.S.v. § 15 RVG vor dem 1.7.2004 erteilt worden ist. Einen solchen Auftrag hat hier die Beklagte vor dem 1.7.2004 erteilt.

Zwar ist den Beklagtenvertretern nur für das selbständige Beweisverfahren ein unbedingter Auftrag vor dem 1.7.2004 erteilt worden. Einen unbedingten Auftrag für das nachfolgende Klageverfahren...

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