Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindesschutzverfahren: Entziehung der elterlichen Sorge bei lebenslanger Haft

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei zuverlässiger Entscheidungsgrundlage bedarf es auch in Kindschaftssachen keines Sachverständigengutachtens (vgl. Hammer in: Prütting/Helms, FamFG, 5. Aufl. 2020, § 163 FamFG, Rn. 5 m.w.N.).

2. Hat der sorgeberechtigte Vater seine minderjährigen Kinder durch die Ermordung ihrer Mutter traumatisiert, so kann auch bei seiner lebenslangen Haft die Entziehung seiner elterlichen Sorge als Kindesschutzmaßnahme nach § 1666 BGB erforderlich sein, wenn die bloße Anordnung ihres Ruhens (§ 1674 BGB) und ihr damit einhergehender - lediglich in der Ausübung eingeschränkter - Fortbestand die Traumaverarbeitung beeinträchtigt.

 

Verfahrensgang

AG Neuruppin (Aktenzeichen 52 F 135/17)

 

Tenor

I. Die Beschwerde des Kindesvaters gegen den Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 21.02.2019 wird zurückgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten der Beschwerde zu tragen.

Wert des Beschwerdeverfahrens: 3 000 EUR

II. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.

 

Gründe

1. Der beschwerdeführende Vater wendet sich gegen die Entziehung der elterlichen Sorge für seine in 2005 und 2006 geborenen Söhne und seine 2015 geborene Tochter.

Er hat die Mutter seiner Kinder unter einem Vorwand am 29.04.2016 von Brandenburg nach München gelockt und dort getötet. Das Landgericht München I hat ihn mit Urteil vom 27.07.2017 des Mordes schuldig gesprochen und zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Zuvor hatte ihm das Amtsgericht München die elterliche Sorge für einen 2009 geborenen bis dahin bei ihm lebenden Sohn entzogen.

Mit dem angefochtenen Beschluss, auf den der Senat wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist, hat das Amtsgericht dem Vater die elterliche Sorge für die eingangs genannten Kinder entzogen und Vormundschaft angeordnet. Das Kindeswohl sei durch eine fortwirkende Traumatisierung der Kinder gefährdet, in deren Ansehung dem beachtlichen Wunsch der Jungen, den Vater in keiner Weise an ihrem Leben teilhaben lassen, Geltung zu verschaffen sei, wobei die bloße Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge nicht ausreiche.

Mit seiner hiergegen gerichteten Beschwerde erstrebt der Vater die Aufhebung der Entziehung und die Feststellung des Ruhens seiner elterlichen Sorge. Das Gericht habe seine Entscheidung ohne Einholung eines Sachverständigen getroffen und allein die vorliegende Tat begründe keine Kindeswohlgefährdung, zumal er einer Fremdunterbringung zustimme.

Vormund, Verfahrensbeistand und Jugendamt verteidigen den angefochtenen Beschluss.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist der Senat auf die Korrespondenz im Beschwerderechtszug. Er entscheidet ohne mündliche Verhandlung, § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG. Die Berichte und Schreiben des Jugendamtes, des Vormunds und des Verfahrensbeistandes vermitteln mit den Terminsprotokollen der Amtsgerichte München, Straubing und Neuruppin ein ausreichend verlässliches und vollständiges Bild der Beteiligten. Es ist nicht ersichtlich, welche weiteren besseren Erkenntnisse der Senat durch eine eigene Anhörung gewinnen könnte, die, wie der Vormund ausführt, in Ansehung der Kinder zudem einherginge mit der Gefahr einer nochmaligen Retraumatisierung.

2. Die nach § 58 ff FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Beschwerdeführers bleibt ohne Erfolg.

Das Amtsgericht hat die Voraussetzungen des § 1666 BGB zutreffend bejaht.

Die Einholung eines Sachverständigengutachtens war entbehrlich, da die Ermittlungsergebnisse des Amtsgerichts mit den umfangreichen Berichten des Vormunds und des Verfahrensbeistandes nach den Anhörungen eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage boten (vgl. Hammer in: Prütting/Helms, FamFG, 5. Aufl. 2020, § 163 FamFG, Rn. 5 m.w.N.).

Eine Kindeswohlgefährdung liegt vor in Gestalt einer greifbar drohenden Störung einer noch andauernden notwendigen Traumaverarbeitung. Die Kinder sind mehrfach traumatisiert durch den Verlust der Mutter, die Tat ihres Vaters und dessen Verantwortlichkeit für den Verlust ihrer Mutter als deren Mörder. Sie befinden sich in Therapie. Ihr Wunsch nach größtmöglichem Abstand zum Täter ist unmittelbar einleuchtend und entspricht allgemein- und gerichtsbekannt einer natürlichen Traumaverarbeitung bei Ermordung nächster Verwandter, hier erst recht bei der eigenen Mutter als ihrer Hauptbezugsperson. Dementsprechend weist auch der dahingehende Wille der Kinder, soweit sie sich ihrem Alter entsprechend geäußert haben, eine klare Zielorientierung auf, ist offenkundig autonom gebildet, wird intensiv verfolgt und ist zeitlich stabil.

Die Entziehung der elterlichen Sorge des Vaters ist geeignet, den Notwendigkeiten der Traumaverarbeitung bei allen Kindern und dem beachtlichen Willen Jungen nach größtmöglichem Abstand zu ihrem Vater als Täter Rechnung zu tragen.

Die Entziehung der elterlichen ...

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