Verfahrensgang

LG Potsdam (Entscheidung vom 16.11.2010; Aktenzeichen 26 Ns 101/10)

AG Brandenburg (Aktenzeichen 23 Ds 57/10)

 

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 6. kleinen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 16. November 2010 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Potsdam zurückverwiesen.

 

Gründe

I. Das Amtsgerichts Brandenburg an der Havel verurteilte den Angeklagten am 29. April 2010 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen zu je 5,00 €.

Auf die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft Potsdam hat die 6. kleine Strafkammer des Landgerichts Potsdam am 16. November 2010 das Urteil dahingehend abgeändert, dass gegen den Angeklagten eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten verhängt wurde, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten hat die Kammer verworfen.

Gegen das Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er eine geringere Bestrafung anstrebt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen.

II. Das zulässige Rechtsmittel hat (vorläufig) Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch, dieser begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Die Strafzumessung ist zwar grundsätzlich Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, gemäß § 46 Abs. 2 StGB diejenigen Umstände gegeneinander abzuwägen, die für und gegen den Täter sprechen. Dabei kommen namentlich die Beweggründe und Ziele des Täters, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie dessen Nachtatverhalten in Betracht. Aus den Urteilsgründen, die als Einheit und im Gesamtzusammenhang gesehen und beurteilt werden müssen, muss sich danach ergeben, dass der Tatrichter die im konkreten Fall in Betracht kommenden Zumessungstatsachen festgestellt, zutreffend abgewogen und umfassend gewürdigt hat und damit zu einer der Vorbewertung durch den Strafrahmen entsprechenden Strafe gekommen ist (vgl. BGHSt 8, 210; KG VRs 34, 433 m. w. N.). Allerdings brauchen nur die bestimmenden (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) Zumessungserwägungen dargelegt zu werden (vgl. BGHSt 24, 268; NStZ 1990, 334), eine erschöpfende Darstellung aller im Katalog des § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB genannten Umstände ist weder erforderlich noch möglich (vgl. BGH NJW 1976, 2220; 1979, 2621; StV 1993, 72, ständige Rechtsprechung); deren Nichtberücksichtigung begründet die Revision nur, wenn die Nachprüfung nach dem Sachverhalt nahe lag (vgl. BGH MDR 1970, 899; OLG Hamburg NJW 1972, 265). Das Revisionsgericht hat demzufolge die instanzgerichtliche Rechtsfolgenentscheidung bis zur Grenze des noch Vertretbaren hinzunehmen, die sich indes als rechtsfehlerhaft und damit der Aufhebung unterliegend erweisen muss, wenn der Tatrichter rechtlich anerkannte Strafzwecke außer acht gelassen hat, nach den Feststellungen erkennbar wesentliche be- bzw. entlastende Strafzumessungserwägungen nicht berücksichtigt hat oder wenn sich die Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (vgl. BGHSt 29, 320; 34, 349; NJW 1990, 846; NJW 1995, 2234; NStZ RR 1996, 116, 133).

Nach den amtsrichterlichen Feststellungen, die aufgrund wirksamer Berufungsbeschränkung in Rechtskraft erwachsen sind, befuhr der Angeklagte, ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein, am 31. Oktober 2009 gegen 7.15 Uhr mit dem PKW VW, amtliches Kennzeichen ... die ... Straße in B..., um von einem Parkplatz ca. 150 m über die Straße zu einem anderen Parkplatz zu fahren. Hiernach handelt es sich im Vergleich zu den typischer Weise durch § 21 StVG zu ahndenden Fällen in Anbetracht der überaus kurzen Fahrstrecke um eine Tat mit Bagatellcharakter. Umstände, die geeignet sein könnten, der Tat den Bagatellcharakter zu nehmen, wie gegebenenfalls eine konkrete Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, sind nicht ersichtlich.

Zwar schließt das verfassungsrechtlich verankerte Übermaßverbot die Verhängung von Freiheitsstrafen auch bei geringfügigen Straftaten oder Bagatelldelikten nicht generell aus. Auch geringfügige, nur sehr geringe Schäden verursachende oder aus sonstigen Gründen Bagatellcharakter aufweisende Straftaten können unter außergewöhnlichen Umständen die Verurteilung zu einer (auch unbedingten) Freiheitsstrafe nach sich ziehen (vgl. OLG Braunschweig NStZ-RR 2002, 75; OLG Celle NStZ-RR 2004, 142; OLG Stuttgart NStZ 2007, 37). Allerdings bedarf die Verhängung einer das Mindestmaß überschreitenden Freiheitsstra...

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