Leitsatz (amtlich)
Setzt das Gericht eine Frist zur Äußerung, so muss es diese Frist abwarten, bevor es entscheidet. Beantragt der Beteiligte, dem die Frist gesetzt worden ist, vor der Entscheidung eine Fristverlängerung, so ist zunächst dieser Antrag zu bescheiden. Die vorherige Entscheidung über die Fristverlängerung soll es dem Beteiligten ermöglichen, bei Ablehnung der Fristverlängerung zumindest dasjenige vorzutragen, was er noch innerhalb der gesetzten Frist vorbringen kann.
Die Abhilfebefugnis des iudex a quo dient der Selbstkontrolle des erstinstanzlichen Gerichts und damit zugleich der Verkürzung des Verfahrens und der Entlastung der Beschwerdegerichte. Das Abhilfeverfahren erfüllt darüber hinaus eine Filterfunktion. Das Beschwerdegericht soll nur mit solchen Entscheidungen befasst werden, an denen das untere Gericht auch unter Berücksichtigung der mit der Beschwerde vorgebrachten neuen Argumente, Tatsachen und Beweismittel festhält.
Verfahrensgang
AG Neuruppin (Aktenzeichen 55 F 231/16) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Schuldners wird der Beschluß des Amtsgerichts Neuruppin vom 25. Oktober 2017 aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Neuruppin zurückverwiesen.
Gründe
Die Beschwerde des Schuldners führt zur Aufhebung des Nichtabhilfebeschlusses und zur Zurückverweisung der Sache, damit das Amtsgericht erneut über die Abhilfe entscheiden kann.
Das Amtsgericht hat den Anspruch des Schuldners auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 I GG, 52 III VerfBbg) verletzt, indem es über die Abhilfe entschieden hat, ohne zuvor den Antrag des Schuldners abzulehnen, die ihm gesetzte Äußerungsfrist (Bl. 20 OV II) zu verlängern (Bl. 24 OV II). Setzt das Gericht eine Frist zur Äußerung - hier zur Replik auf die Beschwerdeerwiderung -, so muß es diese Frist abwarten, bevor es entscheidet. Beantragt der Beteiligte, dem die Frist gesetzt worden ist, vor der Entscheidung eine Fristverlängerung, so ist zunächst dieser Antrag zu bescheiden. Die vorherige Entscheidung über die Fristverlängerung soll es dem Beteiligten ermöglichen, bei Ablehnung der Fristverlängerung zumindest dasjenige vorzutragen, was er noch innerhalb der gesetzten Frist vorbringen kann (BVerfGK 14, 122, 130 f.).
Die Entscheidung, der Beschwerde nicht abzuhelfen, beruht auf der Gehörsverletzung.
Eine Entscheidung beruht - mit der Folge der Verletzung des Art. 103 I GG - nur dann auf einem Gehörsverstoß, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, daß die unterbliebene Berücksichtigung des Vorbringens zu einer für den übergangenen Beteiligten günstigeren Beurteilung geführt hätte (vgl. BVerfGE 89, 381, 392 f.).
Ein dem Schuldner günstiger Verfahrensausgang kann hier nicht ausgeschlossen werden. Es ist nicht von vornherein undenkbar, daß es dem Schuldner gelungen wäre, die Erwiderung der Gläubigerin zu den Wegeverhältnissen in G. zu erschüttern und die unausweichliche Notwendigkeit, bestimmte Wege zu benutzen, ohne ausweichen oder umkehren zu können, überzeugend darzulegen.
Die Gehörsverletzung führt zur Aufhebung der Nichtabhilfeentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.
Der Senat könnte den Verfahrensfehler, unter dem das Abhilfeverfahren leidet, selbst beheben, indem er die Angaben des Antragstellers prüft, um sodann in der Sache zu entscheiden. Er wählt indes die Aufhebung und Zurückverweisung zur erneuten, verfassungsgemäßen Durchführung des Abhilfeverfahrens in der Ausgangsinstanz (vgl. Zöller-Heßler, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 572 Rdnr. 4). Eine Eilbedürftigkeit, die für eine schnelle Entscheidung über den Vollstreckungsantrag ohne erneutes Abhilfeverfahren sprechen würde, ist nicht ersichtlich. In dieser Lage drängt die Schwere des Verfahrensfehlers zur Zurückverweisung.
Das Amtsgericht hat mit seinem Vorgehen das Abhilfeverfahren seines Sinns und Zwecks vollständig beraubt. Die Abhilfebefugnis des iudex a quo (§§ 87 IV FamFG, 572 I 1 HS. 1 ZPO) dient der Selbstkontrolle des erstinstanzlichen Gerichts und damit zugleich der Verkürzung des Verfahrens und der Entlastung der Beschwerdegerichte. Das Abhilfeverfahren erfüllt darüber hinaus eine Filterfunktion. Das Beschwerdegericht soll nur mit solchen Entscheidungen befaßt werden, an denen das untere Gericht auch unter Berücksichtigung der mit der Beschwerde vorgebrachten neuen Argumente, Tatsachen und Beweismittel (§ 571 I, II 1 ZPO) festhält (Musielak/Voit-Ball, ZPO, 13. Aufl. 2016, § 572 Rdnr. 1). Hilft das Amtsgericht nicht ab, ohne den selbst nachgefragten und vom Beschwerdeführer angekündigten Vortrag abzuwarten, so übergeht es nicht nur den Beschwerdeführer und dessen Argumente als von vornherein und unbesehen gleichgültig, sondern es überbürdet zugleich die Sachentscheidung vorschnell dem Beschwerdegericht. Die Zurückverweisung in diesem und in etwaigen ähnlichen Fällen soll sicherstellen, daß Gehörsverletzungen im Abhilfeverfahren nicht mit dem Anreiz versehen werden könnten, das Amtsgericht könne für sich folgenlos "kurzen Prozeß" machen und den Aufwand der Korrektur dieses Fehlers ...