Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Entziehung der elterlichen Sorge
Leitsatz (amtlich)
Die Folgenabwägung zur Prüfung einer einstweiligen Entziehung der elterlichen Sorge ist nicht von einem bestimmten Ausmaß der Aufklärung des Sachverhalts abhängig. Die Beurteilung, ob die mit dem Unterlassen der Anordnung verbundenen Nachteile schwerer wiegen als die Folgen einer sich schließlich als unnötig erweisenden Anordnung, ist schon dann möglich, wenn nur wenig Umstände bekannt sind oder wenn die Zuverlässigkeit des Mitgeteilten noch fraglich erscheint.
Allein die Unvollständigkeit oder die Unsicherheit der Tatsachengrundlage kann nur dann zur Beanstandung einer einstweiligen Anordnung führen, wenn so wenig oder so vage Anhaltspunkte ersichtlich sind oder wenn die Erkenntnisquellen so unzuverlässig sind, dass selbst eine Folgenabschätzung auf dieser Grundlage nicht möglich ist und ein Grundrechtseingriff deshalb nicht gerechtfertigt werden kann.
Eine einstweilig angeordnete Familientrennung scheitert nicht ohne weiteres daran, dass die bislang mögliche und vorgenommene Sachverhaltsaufklärung hinter derjenigen zurückbleibt, die im Verlaufe eines Hauptsacheverfahrens zu verlangen ist. Die Grundrechte sowohl der Eltern als auch des Kindes stehen einem schweren Eingriff auf unsicherer Tatsachengrundlage nur entgegen, wenn der zu erwartende Schaden gering sein wird und zudem in noch zeitlicher Ferne liegt.
Der Entwicklung eines jugendlichen Kindes, das sich aus Misstrauen und im Schutz- und Abwehrinteresse dem erzieherischen Einfluss Erwachsener vollständig verschließt und verweigert, droht schwerwiegender Schaden.
Normenkette
BGB § 1666; FamFG § 49 Abs. 1, § 157 Abs. 3; GG Art. 6 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Senftenberg (Aktenzeichen 33 F 104/18) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Senftenberg vom 18. Dezember 2018 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.500 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Antragsgegnerin wendet sich gegen die einstweilige Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts.
I. Der 2004 geborene Antragsteller hat beantragt, der Antragsgegnerin, seiner Mutter, das Aufenthaltsbestimmungsrecht einstweilen zu entziehen. Sie sei nicht damit einverstanden, dass er sich aus dem elterlichen Haushalt in S... in eine Einrichtung der Jugendhilfe in B... begeben habe. Er sei jetzt zum vierten Mal weggelaufen und wolle nicht zurückkehren, weil er vom Ehemann der Antragsgegnerin, mit dem er nicht verwandt sei, körperlich und psychisch misshandelt, beschimpft und beleidigt worden sei. Gegen die seit Jahren erlittenen Gewalttätigkeiten, von denen der Antragsgegner Ereignisse von Juni bis November 2018 geschildert hat, schreite die Antragsgegnerin nicht ein.
Das Amtsgericht hat den Antragsteller, die Antragsgegnerin und deren Ehemann persönlich angehört. Die Antragsgegnerin hat angegeben, der Antragsteller solle in einer Einrichtung untergebracht werden, die näher am Wohnort liege. Ihr Ehemann hat die Angaben des Antragstellers als erstunken und erlogen zurückgewiesen.
Der Verfahrensbeistand hat den Antrag unterstützt.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht der Antragsgegnerin das Aufenthaltsbestimmungsrecht einstweilen entzogen. Das Kindeswohl sei gefährdet, und die Antragsgegnerin sei nicht in der Lage, diese Gefahr abzuwenden.
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Antragsgegnerin gegen die Annahme einer Kindeswohlgefährdung. Ihr Ehemann habe sich um sie und um den Antragsteller gekümmert. Gewalt und Grausamkeit habe es nicht gegeben.
Wegen des weiteren Vortrages der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze und auf die Anlagen verwiesen.
Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung (§§ 51 II 2, 68 III 2 FamFG). Er sieht von erneuten Anhörungen des Kindes (§ 159 III 1 FamFG) und der Antragsgegnerin (§ 160 III FamFG) und von einer eigenen Vernehmung des Ehemannes der Antragsgegnerin ab. Weder die Gewährung rechtlichen Gehörs noch die Aufklärung des maßgeblichen Sachverhalts erfordern erneute Anhörungen. Es ist nicht ersichtlich, welche weiteren und besseren Erkenntnisse der Senat gewinnen könnte. Das Amtsgericht hat über die Anhörungen am 30. November 2018 ausführliche Protokolle aufgenommen (Bl. 23 ff.). Der Verfahrensbeistand hat über seine Gespräche mit dem Antragsteller, zuletzt am 23. Januar 2019, ausführlich berichtet (Bl. 26 f., 44 f.). Diese Anhörungen und schriftlichen Berichte vermitteln ein ausreichend verlässliches und vollständiges Bild, das jedenfalls die Beurteilung einer einstweiligen Anordnung zulässt. In dieser Lage spricht die Eilbedürftigkeit der Entscheidung über die einstweilige Anordnung gegen erneute Anhörungen.
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
Es ist erforderlich, der Antragsgegnerin das Aufenthaltsbestimmungsrecht durch einstweilige Anordnung zu entziehen, bevor im Hauptsacheverfahren nach umfassender Prüfung entschieden wird, ob der Sorgeentzug gerechtfertigt ist, um einer...