Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindesunterhalt: Möglicher Wegfall der Unterhaltsverpflichtung des barunterhaltspflichtigen Elternteils bei mehr als doppelt so hohem Einkommen des betreuenden Elternteils
Leitsatz (amtlich)
Ist das Einkommen des betreuenden Elternteils mehr als doppelt so hoch wie das des an sich barunterhaltspflichtigen Elternteils, kann die Unterhaltsverpflichtung des Letztgenannten im Hinblick auf § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB ganz entfallen. Besteht ein erhebliches finanzielles Ungleichgewicht zwischen den Einkünften der beiden Elternteile, ist das Einkommen des betreuenden Elternteils aber noch nicht doppelt so hoch wie dasjenige des an sich barunterhaltspflichtigen Elternteils, so ist von einer anteiligen Barunterhaltspflicht beider Elternteile auszugehen. Der Haftungsanteil jedes Elternteils errechnet sich nach Abzug des angemessenen Selbstbehalts.
Normenkette
BGB § 1606 Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
AG Eisenhüttenstadt (Urteil vom 04.04.2005; Aktenzeichen 7 F 382/01) |
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des AG Eisenhüttenstadt vom 4.4.2005 unter Zurückweisung seines weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und neu gefasst.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen monatlichen Kindesunterhalt
- vom 1.1. bis zum 31.12.2002 i.H.v. 76 EUR und
- vom 1.1.2004 bis zum 5.4.2005 i.H.v. 52 EUR
zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Klägerin zu 86 % und dem Beklagten zu 14 % zur Last.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden der Klägerin zu 92 % und dem Beklagten zu 8 % auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.091,85 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien, Vater und Tochter, streiten über Kindesunterhalt für die Zeit vom 1.4.2001 bis zum 5.4.2005.
Die am 6.4.1987 geborene Klägerin, die Schülerin ist, stammt aus der geschiedenen Ehe des Beklagten mit ihrer Mutter, in deren Haushalt sie bis heute lebt. Der Beklagte arbeitet als Zimmermann. Zurzeit ist er in den Niederlanden angestellt. Die Mutter der Klägerin ist vollschichtig bei der Firma EKO Stahl in Eisenhüttenstadt beschäftigt.
In dem vorliegenden, im August 2001 mit einem Antrag auf Unterhaltsfestsetzung eingeleiteten Verfahren hat die Klägerin rückständigen und laufenden Kindesunterhalt ab 4/2001 verlangt.
Das AG hat den Beklagten für die Zeit vom 1.4.2001 bis zum 5.4.2005 (dem Tag vor Eintritt der Volljährigkeit der Klägerin) zur Zahlung von Unterhaltsbeträgen in wechselnder Höhe verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Beklagten, der keinen Kindesunterhalt leisten will. Zur Begründung macht er insb. geltend, das AG habe sein Einkommen falsch ermittelt und zu hoch angesetzt. Auf den notwendigen Selbstbehalt eines gesteigert unterhaltspflichtigen Elternteils könne er nicht verwiesen werden, denn das anrechenbare Einkommen der Mutter der Klägerin sei doppelt so hoch wie seines. Diese sei daher ohne Beeinträchtigung ihres eigenen angemessenen Selbstbehalts in der Lage, auch den Barunterhaltsbedarf für die von ihr betreute Tochter in voller Höhe zu decken.
Der Beklagte beantragt, unter teilweiser Abänderung des Urteils des AG Eisenhüttenstadt vom 4.4.2005 (7 F 382/01) die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Berufung.
Im Übrigen wird auf die rechtlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO sowie auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
II. Die Berufung des Beklagten hat zu einem großen Teil Erfolg.
Der Beklagte ist in dem in der Berufungsinstanz nur noch im Streit stehenden Unterhaltszeitraum vom 1.4.2001 bis zum 4.5.2005 nur zeitweise und nur teilweise verpflichtet, gem. §§ 1601 ff. BGB zum Barunterhalt der Klägerin beizutragen. Für den Rest muss gem. § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB die Mutter aufkommen.
1. Die Einkommensverhältnisse auf Seite des Beklagten im Unterhaltszeitraum stellen sich wie folgt dar:
2001
a) Ausweislich seiner Einzellohnabrechnungen hat der Beklagte im Kalenderjahr 2001 ein Gesamtnettoeinkommen von umgerechnet 15.856,46 EUR erzielt.
b) In diesem Betrag sind Auslösungen bzw. Verpflegungskostenzuschüsse von insgesamt 738,71 DM = 377,70 EUR enthalten. Diese sind nach Anmerkung 3 der Brandenburgischen Unterhaltsleitlinien 1999 und 2001 in der Regel nur i.H.v. einem Drittel anrechenbares Einkommen. Folglich müssen zwei Drittel, also 251,80 EUR, in Abzug gebracht werden.
Für den Abzug eines zusätzlichen Verpflegungskostenaufwands, wie ihn der Beklagten geltend macht, ist demgegenüber kein Raum. Hierzu fehlt ein schlüssiger Sachvortrag des Beklagten.
c) Einkommensmindernd zu berücksichtigen sind die vom Beklagten gel...