Entscheidungsstichwort (Thema)
Übertragung der alleinigen Entscheidungsbefugnis über den Wechsel der Kindertagesstätte bei gemeinsamer elterlicher Sorge. Kindeswohl als Orientierung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Entscheidung darüber, ob, ab welchem Alter und für wie lange das Kind eine Kindertagesstätte besuchen soll, ist eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung gem. § 1628 S. 1 BGB.
2. Die Entscheidung über den bloßen Wechsel der Kindertagesstätte erfüllt für sich alleine noch nicht die Voraussetzungen des § 1628 S. 1 BGB.
Normenkette
BGB § 1628 S. 1, § 1687 Abs. 1 Sätze 1, 3, § 1697a
Verfahrensgang
AG Neuruppin (Aktenzeichen 52 F 251/07) |
Tenor
Der Antrag der Antragstellerin vom 27.8.2007 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Durchführung der befristeten Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist zurückzuweisen, da die Voraussetzungen der §§ 114 f., 119 Abs. 1 ZPO derzeit nicht gegeben sind.
Die gem. § 621e ZPO zulässige befristete Beschwerde bleibt in der Sache nach derzeitigem Stand ohne Erfolg. Soweit die beteiligten Eltern über den Wechsel ihres gemeinsamen Kindes Lucy, geboren am 10.5.2003, in eine andere als die besuchte Kindertagesstätte streiten, hat das AG im Ergebnis zutreffend die von der Antragsstellerin begehrte alleinige Entscheidungsbefugnis (§ 1628 BGB) versagt.
1. Leben Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt, so kann derjenige Elternteil, bei dem das Kind seinen tatsächlichen Aufenthalt hat, in Angelegenheiten des täglichen Lebens sorgerechtliche Entscheidungen allein treffen. Handelt es sich dagegen um Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, so ist das gegenseitige Einvernehmen der Eltern erforderlich (§ 1687 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 BGB). Bei Streitigkeiten, die Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung betreffen, und in denen sich die Eltern nicht einigen können, ist auf Antrag eines Elternteils die Entscheidungsbefugnis darüber gem. § 1628 Satz 1 BGB durch das FamG einem Elternteil allein zu übertragen.
2. Es bestehen bereits Bedenken, ob im vorliegenden Fall die Voraussetzungen des § 1628 Satz 1 BGB überhaupt erfüllt sind, d.h., ob es sich um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für die gemeinsame Tochter L handelt. Mit dieser Frage hat sich das AG in dem angefochtenen Beschluss nicht - nicht einmal ansatzweise - auseinandergesetzt.
Nach der Legaldefinition des § 1687 Abs. 1 Satz 3 BGB sind Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens in der Regel solche, die häufig vorkommen und die keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben. Im Umkehrschluss dazu sind Angelegenheit von erheblicher Bedeutung alle diejenigen, die nicht diesen Anforderungen entsprechen. Eine klare begriffliche Abgrenzung ist nicht möglich, schon wegen der Vielschichtigkeit des kindlichen Lebens wird in der Regel nur anhand der Berücksichtigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalles die Abgrenzung getroffen werden können.
Im Allgemeinen sind danach Entscheidungen, die die kindliche Entwicklung auf Dauer bestimmen dürften, von erheblicher Bedeutung für das Kind. Derartige erhebliche Bedeutung haben in der Regel Entscheidungen darüber, in welchen Betreuungseinrichtungen sich das Kind künftig aufhält, z.B. zu welcher Schule es geht, ob es ein Heim oder ein Internat besucht, welche Ausbildungsstelle es antritt (vgl. nur Palandt/Diederichsen, BGB, 66. Aufl.,
§ 1687, Rz. 7). Gemessen hieran wird im Allgemeinen auch die Entscheidung darüber, ob, ab welchem Alter und für wie lange das Kind eine Kindertagesstätte besuchen soll, als wesentlich für die weitere kindliche Entwicklung anzusehen sein. Dies folgt schon im Allgemeinen aus dem Umstand, dass es sich dabei für das Kind um einen regelmäßig gravierenden Einschnitt in seinem zukünftigen Tagesablauf handeln wird. Die im Wesentlichen auf seine Familie, insbesondere die Elternteile ausgerichtete Sichtweise des jungen Kindes verändert sich zumindest teilweise, wird es in eine Kindereinrichtung verbracht. Auch die Entscheidung über das Verbringen des Kindes in eine Kindereinrichtung stellt daher im Grundsatz eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung i.S.d. § 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB dar (OLG Brandenburg OLGReport Brandenburg 2004, 440).
Die vorangestellten Ausführungen zeigen, dass es sich um gravierende Eingriffe in die kindliche Entwicklung handeln muss. Bezweckt wird, dass die Eltern die Verantwortung nicht auf das FamG in Nebensächlichkeiten abwälzen können. Bei Angelegenheiten, die nicht von erheblicher Bedeutung sind, die also dem allgemeinen täglichen Leben zuzuweisen sind, verbleibt es dagegen bei der gemeinsamen Entscheidungsbefugnis der Elternteile. Allein dadurch, dass sich die Eltern über eine Angelegenheit für das Kind nicht einigen können, wird diese auch nicht ihrerseits zu einer erheblichen Angelegenheit i.S.d. § 1628 Satz 1 BGB (vgl. auch Palandt/Diederichsen, BGB, 66. Aufl. 2007, § 162...