Verfahrensgang

AG Potsdam (Entscheidung vom 19.10.2009; Aktenzeichen 77 OWi 394/09)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 19. Oktober 2009 wird zugelassen.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 19. Oktober 2009 mit den zugehörigen Feststelllungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens, an das Amtsgerichts Potsdam zurückverwiesen.

 

Gründe

I. Das Amtsgericht Potsdam hat mit Urteil vom 19. Oktober 2009 gegen den Betroffenen in dessen Abwesenheit wegen fahrlässigen Nichteinhaltens des erforderlichen Sicherheitsabstandes von 50 m bei einer gefahrenen Geschwindigkeit von 50 km/h gem. §§ 4 Abs. 3, 49 StVO, 24 StVG, Ziff. 15 BKat eine Geldbuße von 80,00 € festgesetzt.

Die Beweiswürdigung stützt sich vor allem auf die gem. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO iVm. 46 Abs. 1 OWiG Bezug genommenen Fotos aus einer Videoaufzeichnung und auf die Vernehmung des Polizeibeamten H.... Hinsichtlich der Videoaufnahmen wird die Aussage des Zeugen H... in dem überaus knappen Urteil wie folgt wiedergegeben: "Es sei richtig, dass die Videoaufzeichnung die ganze Zeit durchlaufe; auf den Videoaufnahmen seien Kennzeichen und die Fahrer der Fahrzeuge nicht erkennbar; erst wenn ein Anhaltspunkt für einen konkreten Verkehrsverstoß vorliege, würden davon Fotos gefertigt; erst diese Fotos seien zur Identifizierung der Fahrzeuge bzw. Fahrer geeignet; dies seien die Bilder in der Akte" (Bl. 2 UA). Die Bußgeldrichterin kommt auf Grund dieser Angaben zu dem Ergebnis, dass "der Fall des Bunderverfassungsgerichts [...] dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar [ist], denn zwar wurde auch hier eine verdachtsunabhängige Videoaufzeichnung durchgeführt; diese war aber zur Identifizierung potenzieller Verkehrssünder weder gedacht noch geeignet; anhand der Qualität der Videoaufzeichnung sind weder Nummernschilder noch gar Fahrer der Fahrzeuge erkennbar, geschweige denn sicher identifizierbar. Eine solche Identifikation ist ausschließlich an Hand der gefertigten Fotos möglich und diese wurden nur bei konkretem Verdacht einer Ordnungswidrigkeit gefertigt."

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde.

II. 1. Die Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 80 Abs. 1, 2 OWiG statthaft und entsprechend den §§ 80 Abs. 3 OWiG, 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht angebracht worden.

2. Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde hat in der Sache (vorläufigen) Erfolg; die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen.

a) Soweit der Betroffene die Verfahrensrüge erhebt, ist er damit im Zulassungsverfahren gem. § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG ausgeschlossen.

b) Die Rechtsbeschwerde ist jedoch zur Fortbildung des materiellen Rechts, nämlich zur Frage, ob die nicht anlassbezogene Videoüberwachung auf einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage beruht bzw. ob die Entscheidung des Amtsgerichts Potsdam den Betroffenen in seinen Grundrechten verletzt, zuzulassen.

3. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht Potsdam zurückzuverweisen. Eine Entscheidung der aufgeworfenen Rechtsfrage ist dem Senat gegenwärtig nicht möglich. Die Urteilsgründe sind hierzu unzureichend.

Zwar unterliegen die Gründe des Urteils im Ordnungswidrigkeitenverfahren keinen hohen Anforderungen. Gleichwohl müssen sie so beschaffen sein, dass sie dem Rechtsbeschwerdegericht eine rechtliche Überprüfung auf die Sachrüge hin ermöglichen. Dies gilt auch für die Beweiswürdigung des Tatrichters, weil das Rechtsbeschwerdegericht nur so in den Stand gesetzt wird, diese auf Widersprüche, Unklarheiten, Lücken oder Verstöße gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze hin zu überprüfen (Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 6. Januar 2010 - 1 Ss 291/09, zit. nach juris; KK-Senge, OWiG, 6. Aufl. 2008, § 71 Rdnr. 106 ff.; Göhler, OWiG, 15. Auf. 2009, § 71 Rdnr. 42 ff., jeweils m.w.N.).

Auch angesichts dieser reduzierten Anforderungen an die Urteilsgründe erweisen sich die Urteilsfeststellungen zur Videoüberwachung bzw. Abstandsmessung im vorliegenden Fall teilweise als nicht nachvollziehbar, teilweise sogar als widersprüchlich bzw. fehlerhaft.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt die Anfertigung von Lichtbildern anlässlich einer Geschwindigkeits- bzw. Abstandsmessung ebenso wie eine entsprechende Videoaufzeichnung einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar, weil und sofern hierdurch zur Datenerhebung sowohl das Kennzeichen des Kraftfahrzeugs als auch die Person des Fahrzeugführers identifiziert werden können (vgl. zur Videoüberwachung BVerfG NJW 2009, 3293 m.w.N.). Eine zulässige Beschränkung dieses Grundrechtsschutzes erfordert eine gesetzliche E...

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