Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu Voraussetzungen eines beachtlichen Kindeswillens und zu dessen Folgen im Entscheidungsübertragungsverfahren - Maßstab für Kostenentscheidungen in hochstreitigen Kindschaftsverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Der Wille eines acht- bis neunjährigen Mädchens, der eine klare Zielorientierung aufweist, autonom gebildet ist, intensiv verfolgt wird und sich als zeitlich stabil erweist, ist beachtlich.
2. Im Rahmen einer Entscheidungsübertragung nach § 1628 BGB kann es dem Wohl des Kindes entsprechen, dessen Selbstwirksamkeitserlebnis zu stärken und dem Elternteil die Entscheidungsbefugnis zu übertragen, der den beachtlichen Kindeswunsch umzusetzen beabsichtigt.
3. In Kindschaftssachen können bei der Anordnung, außergerichtliche Kosten zu erstatten (§ 81 FamFG), besondere Zurückhaltung geboten und bei bereits erheblich eskalierten Elternstreit eine Kostenregelung mit geringstmöglichem eskalativen Charakter angebracht sein.
Verfahrensgang
AG Zossen (Aktenzeichen 6 F 445/14) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Zossen vom 23.11.2016 abgeändert.
Der Antragstellerin wird die alleinige Entscheidungsbefugnis zur Regelung der nachmittäglichen Betreuung der gemeinsamen Tochter ..., geboren ....2009 übertragen.
Die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen Beschwerdeführerin und Beschwerdegegner jeweils zu Hälfte. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Wert des Beschwerdeverfahrens: Bis 3 000 EUR
Gründe
Die Beschwerdeführerin erstrebt die alleinige Entscheidungsbefugnis für die nachmittägliche nachschulische Betreuung für ihre ...2009 geborene Tochter ..., die in ihrem Haushalt lebt und für die sie mit dem Beschwerdegegner die gemeinsame elterliche Sorge ausübt.
Die Eltern meldeten ihre Tochter nach deren Einschulung zur nachschulischen Betreuung im Hort "Juniorclub" an. Die Mutter hat einen Wechsel in den Hort "Zwiebelchen" erstrebt. Der Vater hat sich gegen einen Wechsel ausgesprochen.
Mit dem angefochtenen Beschluss, auf den der Senat wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist, hat das Amtsgericht den Antrag der Antragstellerin abgewiesen. Mangels durchgreifender Gründe für einen Hortwechsel entspreche eine Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis nicht am besten dem Kindeswohl.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Beschwerde verfolgt die Beschwerdeführerin ihr erstinstanzliches Übertragungsbegehren uneingeschränkt weiter. Das Amtsgericht habe die für einen Wechsel sprechenden Gesichtspunkte unter- und die Auswirkungen einer Entscheidungsübertragung auf den Elternkonflikt überbewertet.
Der Beschwerdegegner verteidigt den angefochtenen Beschluss.
Der Senat hat einen Verfahrensbeistand bestellt. Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist der Senat auf die Korrespondenz im Beschwerderechtszug. Er entscheidet, wie angekündigt (713), ohne mündliche Verhandlung, von der ein weiterer Erkenntnisgewinn nicht zu erwarten war. Es ist nicht ersichtlich, welche weiteren und besseren Erkenntnisse der Senat durch eine eigene Anhörung gewinnen könnte.
II. Die nach §§ 58 ff. FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat Erfolg.
Die Voraussetzungen einer Entscheidungsübertragung nach § 1628 BGB liegen vor, da die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern über die bedeutsame Frage der nachmittäglichen Betreuung ihres Kindes uneins sind.
Die Entscheidung hierüber ist der Antragstellerin übertragen. Entscheidungskriterium ist allein das Kindeswohl (vgl. Staudinger/Lore Maria Peschel-Gutzeit (2015) BGB § 1628, Rn. 43) und dies ist bei Entscheidungsbefugnis der Antragstellerin besser gewahrt als durch die Aufrechterhaltung des status quo. Bei der Mutter ist die Einbeziehung des sachlich begründeten Willens des inzwischen neunjährigen Mädchens sicher gewährleistet.
... hat, zuletzt gegenüber dem Verfahrensbeistand am 21.06.2018, ihre Präferenz für den Hort "Zwiebelchen" unmittelbar einleuchtend aus ihrem Wunsch hergeleitet, dort mit ihren liebsten Freunden, vor allem ihrer Freundin ..., zusammen sein zu wollen, auch wenn ihr Papa das nicht wolle, zumal sie wisse, dass sich dort auch größere Kinder aufhielten (vgl. 709r). Dieser Kindeswille ist beachtlich. Er weist eine klare Zielorientierung auf, nämlich eine präzise Vorstellungen darüber, was sein soll, warum und wie dies erreicht werden könne. Die bei ihr selbst liegenden Gründe weisen ihn als autonom aus. Er ist weiter gekennzeichnet durch eine hohe Intensität, nämlich ein Durchhaltevermögen bei Hindernissen und Widerständen, wie etwa denjenigen, die Ihr Vater insoweit aufbietet. ...s Wille deckt sich mit ihren Angaben gegenüber dem Amtsgericht im Termin am 20.07.2016 (482) und ist damit auch zeitlich außerordentlich stabil.
Soweit Sie gegenüber dem Verfahrensbeistand am 25.07.2018 erklärt hat, statt in eine Nachmittagsbetreuung lieber direkt nach Hause gehen und den Hort "Zwiebelchen" nicht mehr besuchen zu wollen, wenn...