Entscheidungsstichwort (Thema)
Vaterschaftsanfechtung bei gemeinsamer elterlicher Sorge
Leitsatz (amtlich)
Der Umstand, den wahren Vater des Kindes festzustellen, gehört zu den erheblichen Angelegenheit i.S.d. § 1628 Satz 1 BGB.
Normenkette
BGB § 1628
Verfahrensgang
AG Cottbus (Beschluss vom 04.07.2007; Aktenzeichen 53 F 252/06) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Dem Antragsteller wird für die erste Instanz ratenfreie Prozesskostenhilfe mit Wirkung vom 2.11.2006 unter Beiordnung von Rechtsanwalt CW in Berlin zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwaltes bewilligt.
Gründe
I. Der Antragsteller und die Antragsgegnerin sind miteinander verheiratet; das Scheidungsverfahren ist mittlerweile rechtshängig. Während ihrer Ehe ist das betroffene Kind BR am 4.4.1995 geboren worden, für das die Parteien gemeinsam sorgeberechtigt sind. Insoweit besteht zwischen den Parteien kein Streit darüber, dass nicht der Antragsteller, vielmehr der langjährige Lebenspartner der Antragsgegnerin der biologische Vater des Kindes ist.
Der Antragsteller begehrt die Übertragung der Entscheidungsbefugnis gem. § 1628 BGB hinsichtlich der Durchführung einer Klage auf Anfechtung seiner Vaterschaft zu dem Kind. Das AG hat dem Antragsteller die begehrte Prozesskostenhilfe für das beabsichtigte Verfahren nach § 1628 BGB versagt. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers.
II. Die gem. § 127 Abs. 2 ZPO statthafte und in zulässiger Weise eingelegte sofortige Beschwerde hat Erfolg. Nach derzeitigem Stand kann dem Antragsteller nicht die Erfolgsaussicht für sein Begehren versagt werden, § 114 ZPO.
1. Die Übertragung einer einzelnen sorgerechtlichen Angelegenheit gem. § 1628 Satz 1 BGB setzt voraus, dass eine Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung betroffen ist. Davon abzugrenzen sind Angelegenheiten des täglichen Lebens. Nach der Legaldefinition des § 1687 Abs. 1 Satz 3 BGB sind Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens in der Regel solche, die häufig vorkommen und die keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben. Im Umkehrschluss dazu sind Angelegenheit von erheblicher Bedeutung alle diejenigen, die nicht diesen Anforderungen entsprechen. Eine klare begriffliche Abgrenzung ist nicht möglich, schon wegen der Vielschichtigkeit des kindlichen Lebens wird in der Regel nur anhand der Berücksichtigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalles die Abgrenzung getroffen werden können.
Im Allgemeinen sind danach Entscheidungen, die die kindliche Entwicklung auf Dauer bestimmen dürften, von erheblicher Bedeutung für das Kind. Derartige erhebliche Bedeutung haben z.B. Entscheidungen darüber, in welchen Betreuungseinrichtungen sich das Kind künftig aufhält, z.B. ob (und ab welchem Alter) es eine Kindertagesstätte (OLG Brandenburg OLGReport Brandenburg 2004, 440) besucht, zu welcher Schule es geht, ob ein Internat besucht wird, welche Ausbildungsstelle es antritt (vgl. nur Palandt/Diederichsen, BGB, 66. Aufl., § 1687, Rz. 7). Die vorangestellten Ausführungen zeigen, dass es sich um gravierende Eingriffe in die kindliche Entwicklung handeln muss. Bezweckt wird, dass die Eltern die Verantwortung nicht auf das FamG in Nebensächlichkeiten abwälzen können. Bei Angelegenheiten, die nicht von erheblicher Bedeutung sind, die also dem allgemeinen täglichen Leben zuzuweisen sind, verbleibt es dagegen bei der gemeinsamen Entscheidungsbefugnis der Elternteile. Allein dadurch, dass sich die Eltern über eine Angelegenheit für das Kind nicht einigen können, wird diese auch nicht ihrerseits zu einer erheblichen Angelegenheit i.S.d. § 1628 Satz 1 BGB (vgl. auch Palandt/Diederichsen, BGB, 66. Aufl. 2007, § 1628, Rz. 3).
2. Der Umstand, den wahren Vater des Kindes festzustellen, ist von überragender Bedeutung für das Kind, wie überhaupt das Wissen darüber, wer seine Eltern sind, für jeden Menschen einen vielfach existenziellen Umstand darstellt. Verfahren, die die Vorschriften über die Vaterschaft gem. §§ 1592 ff. BGB betreffen, stellen daher solche von besonderer Bedeutung i.S.d. § 1628 BGB dar. Dies betrifft sowohl Vaterschaftsanfechtungs- als auch Vaterschaftsfeststellungsverfahren.
Weshalb das AG diese erhebliche Bedeutung letztendlich verneint hat, kann den Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht entnommen werden. Zwar ist dem AG darin zuzustimmen, dass die erhebliche Bedeutung nicht allein daraus folgen kann, dass die Kindeseltern über den streitigen Punkt nicht einig sind (vgl. bereits zuvor). Mit der weiteren Frage, ob das hier angestrengte Verfahren (Anfechtung der Vaterschaft zum Antragsteller) ein solches von erheblicher Bedeutung für das betroffene Kind ist, hat sich das AG aber nicht einmal ansatzweise auseinandergesetzt. Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass jedenfalls hinsichtlich der Vaterschaftsanfechtung die Kindeseltern auch tatsächlich im Streit sind; die Kindesmutter verweigert bislang ihre Mitwirkung am gerichtlichen Verfahren. Nur auf gerichtlichem Wege lässt ...