Verfahrensgang

AG Brandenburg (Entscheidung vom 15.01.2020; Aktenzeichen 25 a Ds 78/19)

 

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel - Strafrichter - vom 15. Januar 2020 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Brandenburg an der Havel hat den Angeklagten mit Urteil vom 15. Januar 2020 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.

Bereits vor dieser Verurteilung war der Angeklagte umfangreich vorbestraft. Zuletzt hatte das Amtsgericht Tiergarten ihn am 21. Februar 2017, rechtskräftig seit dem 6. April 2018 (265 Js 322/15, 294 Ls 7/15), wegen unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Abfällen, wegen Betruges und wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in drei Fällen unter Einbeziehung von zwei voraufgegangenen Entscheidungen zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt; die Bewährungszeit wurde auf fünf Jahre festgesetzt.

Überdies weisen das Bundeszentralregister und das Fahreignungsregister zahlreiche den Angeklagten betreffende Eintragungen auf.

Mit Anwaltsschriftsatz vom 16. Januar 2020, eingegangen bei Gericht am selben Tag, hat der Angeklagte gegen die amtsgerichtliche Entscheidung vom 15. Januar 2020 "Berufung" eingelegt. Nach förmlicher Zustellung des mit Gründen versehenen schriftlichen Urteils am 25. Januar 2020 hat der Angeklagte mit der bei Gericht am 4. Februar 2020 eingegangenen anwaltlichen Begründungsschrift erklärt, dass das Rechtsmittel als (Sprung-) Revision fortgeführt werden soll; er hat das Rechtsmittel mit Anträgen versehen und begründet. Der Angeklagte rügt die Verletzung materiellen Rechts und macht darüber hinaus den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO geltend.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat in ihrer Stellungnahme vom 6. März 2020 die Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel beantragt.

II.

Der Senat folgt dem Antrag des Angeklagten und der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg.

1. Die (Sprung-) Revision ist gem. § 335 StPO statthaft und gem. §§ 341, 344, 345 StPO frist- und formgerecht bei Gericht angebracht worden. Der Zulässigkeit der Revision steht nicht entgegen, dass der Revisionsführer zunächst "Berufung" gegen das Urteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 15. Januar 2020 eingelegt hat. Der Rechtsmittelführer braucht erst nach Zustellung des Urteils und innerhalb der dadurch in Lauf gesetzten Revisionsbegründungsfrist die Wahl treffen, ob das eingelegte Rechtsmittel eine Berufung oder Revision sein soll. Denn erst nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe und des Hauptverhandlungsprotokolls ist der Beschwerdeführer in der Lage, über Art und Reichweite seines Rechtmittels zu entscheiden. Nach der Berufungseinlegung ist innerhalb der Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 StPO) der Übergang zur Revision zulässig (vgl. BGHSt 40, 395, 398 m.w.N.), wobei der Übergang klar und eindeutig gegenüber dem Amtsgericht erklärt werden muss (vgl. OLG Celle MDR 1960, 159). Dies ist mit dem Anwaltsschriftsatz vom 4. Februar 2020 geschehen.

2. Die Revision hat in der Sache - vorläufigen - Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel.

a) Bereits die vom Revisionsführer erhobene Verfahrensrüge der Verletzung des § 140 Abs. 2 StPO StPO greift durch, der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO ist einschlägig.

Hierzu führt die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 6. März 2020 aus:

"Soweit der Angeklagte die formelle Rüge des § 338 Nr. 5 i.V.m. § 140 Abs. 2 StPO erhebt und geltend macht, er sei in der Hauptverhandlung trotz des Vorliegens eines Falles der notwendigen Verteidigung nicht anwaltlich vertreten gewesen, führt dies zur Aufhebung des Urteils.

Zwar entspricht die vom Angeklagten erhobene Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 5 StPO nicht den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Allerdings ist das Revisionsgericht nicht gehindert, bei der Prüfung einer Verfahrensrüge - wie hier § 338 Nr. 5, § 140 Abs. 2 StPO - bei zugleich erhobener (zulässiger) Sachrüge den Urteilsinhalt ergänzend zu berücksichtigen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 344 Rdn. 20). Unter Heranziehung des Urteilsinhalts, insbesondere der dort aufgeführten Vorstrafen des Angeklagten, verfügt das Revisionsgericht über die Tatsachen, die zur Prüfung der Frage erforderlich sind, ob dem Angeklagten ein Pflichtverteidiger hätte beigeordnet werden müssen.

Aus den so zu berücksichtigenden Feststellungen im Urteil ergibt sich, da...

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