Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterbringung: Antrag der Kindeseltern wegen Selbstverletzung (Ritzen), Alkoholkonsums und Schuleschwänzens durch einen Minderjährigen
Leitsatz (redaktionell)
Liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Gefährdung anderer oder eine erhebliche Selbstgefährdung durch einen Minderjährigen vor, ist dessen Unterbringung gemäß § 1631b BGB nicht zulässig. Die Zufügung von Verletzungen (Ritzen) und der Konsum alkoholischer Getränke in großer Menge reicht insoweit nicht aus, wenn diesen Problemen durch öffentliche Hilfen begegnet werden kann.
Normenkette
BGB § 1631b; FamFG § 49 Abs. 1, § 111 Nr. 2, § 151 Nr. 6 FamFG; BGB § 1361b; FamFG §§ 57-58, 167 Abs. 1
Tenor
Die Beschwerde wird auf Kosten der Mutter zurückgewiesen.
Der Beschwerdewert wird auf 1.500 EUR festgesetzt. Der Wert des erstinstanzlichen Verfahrens wird unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses ebenfalls auf 1.500 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Ob die Beschwerde der Mutter zulässig ist, kann dahin stehen (vgl. dazu BGH NJW-RR 2006, 1346, 1347, Tz. 4; Prütting/Helms/Abramenko, FamFG, § 68 Rz. 16). Denn die Beschwerde ist, was nachfolgend unter II. ausgeführt wird, jedenfalls unbegründet.
Bei der von den Eltern angeregten Unterbringung des minderjährigen Kindes gem. § 1631b BGB handelt es sich um eine Kindschaftssache, § 151 Nr. 6 FamFG, und damit eine Familiensache, § 111 Nr. 2 FamFG. Ob mit Rücksicht darauf entsprechende Entscheidungen im Verfahren der einstweiligen Anordnung nach § 57 S. 1 FamFG unanfechtbar sind, weil die Unterbringung Minderjähriger in den Katalog der anfechtbaren Familiensachen in § 57 S. 2 FamFG nicht aufgenommen worden ist (so OLG Koblenz NJW 2010, 880 mit Anmerkung Bruns, FamFR 2010, 100), oder ob mit Rücksicht auf den möglichen erheblichen Grundrechtseingriff gem. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG die Beschwerde gem. § 58 Abs. 1 FamFG ebenso wie im Verfahren der Unterbringung Volljähriger gegeben sein muss, zumal die entsprechenden Verfahren nach § 167 Abs. 1 FamFG ohnehin grundsätzlich gleich zu behandeln seien (so OLG Celle NJW 2010, 1678 und OLG Celle, BeckRS 2010, 07953, jeweils m.w.N.) und insoweit ein Versehen des Gesetzgebers vorliege (vgl. Ernst, FamFR 2010, 173), bedarf keiner Entscheidung, da das Rechtsmittel unbegründet ist.
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung liegen nicht vor. Eine vorläufige Maßnahme kann nicht getroffen werden, da dies nach den für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften nicht gerechtfertigt ist, so dass es auf die Frage, ob ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht, nicht ankommt, § 49 Abs. 1 FamFG.
Die Mutter verfolgt mit der Beschwerde das erstinstanzliche Begehren beider Elternteile weiter, eine Genehmigung des Familiengerichts für eine mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung des Kindes zu erreichen. Eine solche Unterbringung ist gem. § 1631b S. 2 BGB nur zulässig, wenn sie zum Wohl des Kindes, insbesondere zur Abwendung einer erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung, erforderlich ist und der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch andere öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.
Dass die Minderjährige andere Personen gefährden könnte, machen die Eltern selbst nicht geltend. Hinreichende Anhaltspunkte für eine erhebliche Selbstgefährdung bestehen ebenfalls nicht. Der allgemeine Hinweis in der Beschwerdeschrift, die Minderjährige habe sich bereits seit geraumer Zeit Verletzungen zugefügt (Ritzen), und regelmäßig unkontrolliert alkoholische Getränke in großen Mengen konsumiert, reicht insoweit nicht aus. Die Verfahrensbeiständin hat, wie sich ihren ausführlichen Stellungnahmen in erster und zweiter Instanz entnehmen lässt, mehrfach längere Gespräche mit der Minderjährigen geführt und Anzeichen auf eine erhebliche Selbstgefährdung nicht wahrgenommen. Nach der Stellungnahme vom 20.8.2010 hat die Verfahrensbeiständin mit der Minderjährigen sehr offen darüber gesprochen, ob sie Suizidgedanken habe. Dies habe die Minderjährige zu verschiedenen Gelegenheiten verneint und geäußert, am Leben zu hängen; das einzige, was ihr Probleme bereite, seien ihre Eltern. Diese Äußerung ist glaubhaft, zumal sich aus den Berichten der Verfahrensbeiständin ebenfalls ergibt, dass die Minderjährige enge Bindungen nicht nur an ihren Freund, sondern auch an einen weiteren Freundeskreis hat.
Auch im Übrigen ist eine Unterbringung nicht zum Wohl des Kindes erforderlich. Soweit die Eltern - ohnehin nur pauschal - bei Einleitung des Verfahrens auf Probleme wie "Schulschwänzen" und Alkoholkonsum hinweisen, ist dem zunächst durch öffentliche Hilfen zu begegnen. Entsprechend ist die Minderjährige mit Zustimmung der Eltern vom Jugendamt in Obhut genommen und in eine Jugendhilfeeinrichtung gebracht worden.
Die offensichtlich bestehenden Probleme der Minderjährigen im Umgang mit ihren Eltern rechtfertigten eine mit Freiheitsentzug verbundene Unterbrin...