Entscheidungsstichwort (Thema)
Ansprüche bei Beeinträchtigung von Nießbrauch und Wohnungsrecht
Leitsatz (amtlich)
1. Zum Anspruch des Nießbrauchers und Wohnungsrechtsinhabers gegen den Grundstückseigentümer auf Räumung und Herausgabe des Wohngrundstücks und auf Zahlung von Nutzungsentschädigung.
2. Zur gesamtschuldnerischen Verpflichtung von Mitbesitzern zur Räumung und Herausgabe eines Wohngrundstücks.
3. Auf Herausgabe und Räumung sowie auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung haftet nur der Besitzer des Wohngrundstücks, nicht aber der Besitzdiener.
4. Zur Einordnung von minderjährigen und gerade erst volljährig gewordenen Kindern als Besitzdiener ihrer Eltern auf die Sachherrschaft über die Räume der gemeinsam genutzten Wohnung.
Normenkette
BGB §§ 421, 431, 854-855, 985 ff., §§ 1004, 1027, 1036, 1065, 1090, 1093
Verfahrensgang
LG Potsdam (Urteil vom 23.03.2005; Aktenzeichen 6 O 60/04) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das am 23.3.2005 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des LG Potsdam (6 O 60/04) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
II. Die Beklagten zu 1) und 2) werden als Gesamtschuldner verurteilt, das Grundstück ... Straße 12 in W., bestehend aus den Flurstücken 265 (2.684 m2) und 266 (1.311 m2) der Flur 6, nebst dort aufstehendem Wohngebäude und Scheune zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.
1. Die Beklagten zu 1) und 2) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 8.453 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 1.617 EUR seit dem 23.7.2004, aus weiteren 2.646 EUR seit dem 31.12.2004, aus weiteren 294 EUR seit dem 1.1.2005, aus weiteren 294 EUR seit dem 1.2.2005 und aus weiteren 3.602 EUR seit dem 4.8.2006 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 3) und 4) in beiden Instanzen hat die Klägerin zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) und 2) in erster Instanz haben diese zu ¾ und die Klägerin zu ¼ zu tragen; die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) und 2) in zweiter Instanz haben diese zu 4/5 und die Klägerin zu 1/5 zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in erster Instanz und die Gerichtskosten in erster Instanz werden zu ⅜ den Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldnern und zu ⅝ der Klägerin auferlegt. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in zweiter Instanz: und die Gerichtskosten in zweiter Instanz werden zu 4/10 den Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldnern und zu 6/10 der Klägerin auferlegt.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 11/10 des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagten nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten. Die Beklagten zu 1) und 2) dürfen die Zwangsvollstreckung der Klägerin hinsichtlich der Räumung und Herausgabe des Grundstücks durch Sicherheitsleistung i.H.v. 6.000 EUR und hinsichtlich der Zahlungs- und Kostenerstattungsforderungen der Klägerin durch Sicherheitsleistung i.H.v. 11/10 des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Klägerin nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Mit der Klage begehrt die Klägerin von den Beklagten - Sohn (Beklagter zu 1.), Schwiegertochter (Beklagte zu 2.) und Enkel (Beklagte zu 3. und 4.) - die Räumung und Herausgabe eines Wohngrundstücks sowie die Zahlung von Nutzungsentgelt.
Die Klägerin und ihr 2001 verstorbener Ehemann waren seit 1974 eingetragene Eigentümer des im Grundbuch von B. auf Bl. ... verzeichneten Grundbesitzes (Hof, Hofgrundstück und Ackerland) mit einer Gesamtfläche von 95.685 m2. Auf einem der zu dem Grundbesitz gehörenden Flurstücke, damals Flurstück 180 (Hoffläche), befinden sich ein 1950 erbautes Wohnhaus und ein 1975 errichteter Verandaanbau. Die Klägerin bezog das Wohnhaus nebst Verandaanbau 1975 mit ihrem Ehemann und ihren beiden Söhnen, R.K. und dem Beklagten zu 1.
Durch notariellen "Schenkungsvertrag" vom 3.12.1990 übertrugen die Klägerin und ihr Ehemann den gesamten Grundbesitz auf R.K. Dieser räumte der Klägerin und deren Ehemann gem. § 4 des Vertrages "an dem Hof, dem Hofgrundstück und dem Ackerland ein lebenslanges unentgeltliches Nutzungs- und für das Haus ein Wohnrecht" ein. Diese Regelung wurde später durch eine notariell beurkundete Erklärung vom 25.2.1993 dahin ergänzt, dass das Wohnrecht am gesamten Gebäude und das Nutzungsrecht an dem gesamten Grundstück als Nießbrauch den Schenkern als Gesamtberechtigten gem. § 428 BGB eingeräumt wurde.
Im August 1993 wurde R.K. als Eigentümer des Grundbesitzes im Grundbuch eingetragen. Zugleich erfolgte in Abteilung II lfd. Nr. 2 und 3 die Eintragung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit (Wohnungsrecht) für das Flurstück 180 und eines gleichrangigen Nießbrauchs auf Lebenszeit für den gesamten Grundbesitz zugunsten des Klägerin...