Leitsatz (amtlich)
1. Zu Bestand und Inhalt von Verkehrssicherungspflichten in SB-Märkten.
2. Die Rechtsprechung zur Beschaffenheit des Fußbodens in Geschäftsräumen zum Schutz gegen Rutschgefahren ist auf Palettenhubwagen als Gefahrenquelle nur eingeschränkt übertragbar, da diese in der Regel gut sichtbar und aus dem Betrieb eines SB-Supermarktes kaum noch weg zu denken sind.
Normenkette
BGB § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 823 Abs. 1, § 831
Verfahrensgang
LG Frankfurt (Oder) (Urteil vom 29.05.2008; Aktenzeichen 17 O 171/07) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten zu 1. wird das am 29.5.2008 verkündete Grundurteil des LG Frankfurt/O., Az.: 17 O 171/07, abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt die Klägerin, die des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin mit Ausnahme der von der Beklagten zu 2. durch Vergleich vom 22.10.2008 übernommenen Kosten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Ansprüche der Klägerin auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen einer Verletzung, die die Klägerin im Geschäftslokal der Beklagten zu 1.bei einem Zusammenstoß mit einem von der Beklagten zu 2. gezogenen Palettenhubwagen erlitten hat. Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Grundurteil wird verwiesen.
Das LG hat die Beklagten durch Grundurteil zu Schadensersatz und Schmerzensgeld i.H.v. jeweils 2/3 verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Haftung der Beklagten zu 1. folge sowohl aus § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 und aus unerlaubter Handlung, die der Beklagten zu 2. aus § 823 Abs. 1 BGB. Mit dem Betreten des Geschäftslokals der Beklagten zu 1. habe die Klägerin zu dieser bereits in einem Rechtsverhältnis i.S.d. § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB gestanden. Die Haftung der Mitarbeiterin der Beklagten zu 1., der Beklagten zu 2., folge allein aus § 823 Abs. 1 BGB. In beiden Haftungsverhältnissen seien sowohl Schadensersatz wie auch Schmerzensgeldansprüche, § 253 Abs. 2 BGB anzuerkennen. Dabei sei jedoch ein Mitverschulden der Klägerin zu berücksichtigen. Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme zum genauen Hergang des Schadensfalles sei das Gericht der Überzeugung, dass sich der Unfall in der Weise zugetragen habe, dass die Beklagte zu 2. mit dem Hubwagen hinter der an der Kühltruhe befindlichen Klägerin vorbeigefahren sei. Sie habe diese nicht angefahren. Vielmehr habe die Klägerin nicht still gestanden und sei einen Schritt, maximal 1 ½ kleine Schritte zurückgetreten. Daraufhin sei sie über den noch nicht ganz vorbeigefahrenen Hubwagen gestolpert. Diese Einschätzung werde gestützt durch die informatorischen Angaben der Beklagten zu 2. in der mündlichen Verhandlung vom 3.8.2005 in dem seinerzeit zum Az.: 13 O 190/05 vor dem LG Frankfurt/O. geführten Rechtsstreit. Dieses Schadensereignis begründe eine Haftung der Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherungspflichtverletzung. Das Vorbeifahren an einem Kunden innerhalb eines Supermarktes mit einem Palettenhubwagen, der kaum beladen sei, stelle eine vermeidbare Gefährdung dar. Jedenfalls dann, wenn wie im Streitfall, der Hubwagen nur von einem einzelnen Mitarbeiter gezogen werde, dem zur Warnung lediglich die eigene Stimme zur Verfügung stehe, gelte dies. Grundsätzlich handele es sich bei den Gängen in einem Supermarkt um Verkaufsflächen, die dem Kunden für die Besorgung seiner Einkäufe vorbehalten seien, nicht jedoch während der Verkaufszeiten um Transportwege für die Vorhaltewirtschaft des Betreibers. Soweit dennoch während der Geschäftszeiten Warenbestände nachzufüllen seien, müsse dies in einer Art und Weise geschehen, die eine Gefährdung des Kunden ausschließe. Konkrete Schutzpflichten müssten nicht definiert werden. So könnte der Warennachschub etwa durch kleine personengebundene Sackkarren durchzuführen oder aber der zum Warennachschub eingesetzte Palettenhubwagen mit einem lauten Signalton auszustatten sein. Der Argumentation der Beklagten, wonach es üblich und sozial adäquat sei, während der Geschäftszeiten den Warennachschub mittels Hubwagen zu gewährleisten, sei nicht zu folgen. Es entspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, dass der Kunde im Supermarkt nicht dauernd erhöhte Achtsamkeit walten lasse, sondern aus verschiedenen Gründen abgelenkt sei. Die Vermeidung der durch den Warennachschub mittels Hubwagen eingetretenen Gefahrensituation sei dem Supermarktbetreiber ohne weiteres wirtschaftlich zumutbar. Dies ergebe ein Vergleich der Rechtsprechung zu Fällen, in denen ein Supermarktkunde über herumliegende Gegenstände oder über ausgelaufene Flüssigkeiten ausgerutscht sei. Dort werde vom Supermarktbetreiber verlangt, dass er engmaschige und daher auch personal- und kostenintensive Kontrollen durchführe, um etwa ausgelaufene Waren...