Entscheidungsstichwort (Thema)
Verkehrssicherungspflicht im Hinblick auf Rand- und Seitenstreifen
Leitsatz (amtlich)
1. Rand- und Seitenstreifen dienen nicht der Aufnahme des fließenden Verkehrs und müssen daher auch nicht entsprechend der Fahrbahn ausgebaut sein.
2. Ein Kraftfahrer kann grundsätzlich damit rechnen, dass er gefahrlos auf den Rand- bzw. Seitenstreifen ausweichen kann. Dies gilt jedoch nur für ein vorsichtiges Befahren mit einer der Situation entsprechend angepassten Geschwindigkeit, nicht aber für ein zügiges Befahren mit einer Geschwindigkeit, die nur die Fahrbahn selbst zulässt.
Normenkette
BGB § 839; GG Art. 34; BbgStrG § 2 Abs. 2 Ziff. 1, § 9 Abs. 1 Abs. 4 S. 3, § 10 Abs. 1; StVO § 2 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
LG Cottbus (Aktenzeichen 3 O 177/00) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird unter Abänderung des am 1.12.2000 verkündeten Urteils des LG Cottbus – 3 O 177/00 – die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Wert der Beschwer der Klägerin: 7.704,55 DM
Gründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist in vollem Umfang begründet. Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Schadensersatz aus Art. 34 GG i.V.m. §§ 839 BGB, 9 Abs. 1, 4 S. 3, 10 Abs. 1 BbgStrG zu.
Eine Verpflichtung zur Verkehrssicherung im Hinblick auf den Randstreifen besteht nicht in dem vom LG angenommenen Umfang. Zwar gehören Seiten- und Randstreifen gem. § 2 Abs. 2 Ziff. 1 BbgStrG zu den öffentlichen Straßen, wenn auch nicht zur Fahrbahn (§ 2 Abs. 1 S. 2 StVO). Deshalb gilt zunächst der Grundsatz, dass ein Verkehrsteilnehmer den Zustand einer Straße so hinnehmen muss, wie sie sich ihm darbietet. Der Verkehrssicherungspflichtige ist lediglich verpflichtet, in geeigneter und objektiv zumutbarer Weise alle Gefahren auszuräumen und erforderlichenfalls vor ihnen zu warnen, die für einen sorgfältigen Benutzer nicht erkennbar sind und auf die er sich nicht einzurichten vermag (vgl. nur: BGH v. 13.7.1989 – III ZR 122/88, BGHZ 108, 273 f. = MDR 1989, 1084; v. 4.4.1995 – VI ZR 327/93, VersR 1995, 812; st. Rspr. des erkennenden Senats, zuletzt Urt. v. 1.2.2000 – 2 U 37/99; v. 21.3.2000 – 2 U 57/99; v. 23.1.2001 – 2 U 28/00; v. 22.5.2001 – 2 U 38/00). Gefährlich sind solche Stellen, an denen wegen der nicht ohne weiteres oder nicht rechtzeitig erkennbaren Beschaffenheit der Straße die Möglichkeit eines Unfalles auch dann nahe liegt, wenn der jeweilige Straßenbenutzer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt walten lässt (OLG Brandenburg OLGReport Brandenburg v. 16.5.1995 – 2 U 114/94, 1995, 172). Der Seitenstreifen neben einer Fahrbahn hat verkehrstechnisch den Zweck, die volle Ausnutzung der Fahrbahnbreite zu ermöglichen, den Lichtraum zwischen Fahrbahnrand und Leiteinrichtung freizuhalten und ggf. von der Fahrbahn abirrende Fahrzeuge zu sichern. Allgemein dienen Seitenstreifen jedoch nicht der Aufnahme des fließenden Verkehrs und müssen daher auch nicht entsprechend der Fahrbahn selbst ausgebaut sein (Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl., § 2 StVO Rz. 25). Zwar kann ein Kraftfahrer im Hinblick auf die Funktion des Seitenstreifens auch zur Sicherung von Fahrzeugen, die von der Fahrbahn seitlich abkommen grundsätzlich damit rechnen, dass er mit seinem Fahrzeug gefahrlos hierhin ausweichen kann, doch gilt dies nur für ein vorsichtiges Befahren mit einer der Situation entsprechend angepassten geringen Geschwindigkeit, nicht aber für ein zügiges Befahren mit einer Geschwindigkeit, die nur die Fahrbahn selbst zulässt (BGH NJW 1957, 1396; VersR 1962, 574 [576]; VersR 1969, 280 [281]; OLG Karlsruhe VersR 1978, 573 [574]; OLG Brandenburg v. 22.5.2001 – 2 U 38/00). Bei einem erkennbar unbefestigten oder mit Hindernissen versehenen Seitenstreifen und bei i.Ü. für den Begegnungsverkehr ausreichend breiter Straße kann ein Kraftfahrer allerdings schon nicht mehr ohne weiteres davon ausgehen, den Seitenstreifen, und sei es auch nur vorsichtig und langsam, gefahrlos an jeder Stelle nutzen zu können (BGH VersR 1962, 574 [576]; VersR 1969, 280 [281]. Nach st. Rspr. des Senats muss vor unvermuteten Gefahren, die von einem Bankett ausgehen, gewarnt werden, es sei denn, dass sich die Gefahr schon aus der äußeren Beschaffenheit des Banketts ergibt oder aus Anlage, Breite und Verlauf der Straße zu erkennen ist. Dabei spielt auch die Verkehrsbedeutung eine Rolle und die Tatsache, inwieweit aufgrund besonderer Umstände mit dem Befahren des Banketts seitens des Verkehrssicherungspflichtigen gerechnet werden muss (OLG Brandenburg v. 9.4.1996 – 2 U 147/95; v. 4.6.1996 – 2 U 147/95, v. 16.6.1998 – 2 U 226/97).
Im vorliegenden Fall gab es keinen Anlass für die verkehrssicherungspflichtige Beklagte, davon auszugehen, dass gerade an der Schadensstelle für Verkehrsteilnehmer die Notwendigkeit bestehen könnte, den Seitenstreifen für ein Ausweichen zu nutzen. Es handelt sich um eine innerörtliche Straße, die in dem fraglichen Abschnitt völlig gerade verläuft, die eine ausrei...