Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerruf eines Lebensversicherungsvertrages: Richtlinienkonformität des Policenmodells; widersprüchliches Verhalten durch Beanspruchung der Rückgewähr von Prämien
Normenkette
VVG § 5a Abs. 1 S. 1, § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 2; BGB § 150 Abs. 2, § 242; EWGRL 619/90 Art. 15 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Cottbus (Urteil vom 04.04.2013; Aktenzeichen 6 O 118/12) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das am 4.4.2013 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des LG Cottbus - 6 O 118/12 - wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Klägerin zur Last.
III. Das Berufungsurteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Als Sicherheit genügt die schriftliche unbedingte, unbefristete, unwiderrufliche und selbstschuldnerische Bürgschaft eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts.
IV. Die Revision wird - beschränkt auf das klägerische Hauptbegehren - zugelassen.
Gründe
I. Die im Jahre 1948 geborene Klägerin, von Beruf Polizeibeamtin, fordert von der Beklagten, einem Lebensversicherer, der ehemals als C. Lebensversicherung AG firmierte, primär in der Hauptsache die Rückgewähr ihrer Prämien, die sie bis einschließlich 30.6.2009 auf eine im Rahmen des sog. Policenmodells gem. § 5a VVG a.F. laut Versicherungsschein vom 13.11.1995 (Kopie Anlage K1/GA I 19 f.) per 1.12.1995 zu den Allgemeinen Bedingungen für die Kapital-Lebensversicherung (Kopie im Anlagenkonvolut B3/GA I 74, 80 ff.), nachfolgend abgekürzt als ABKL zitiert, abgeschlossene Kapital-Lebensversicherung mit DM 500 ( EUR 255,65) Monatsbeitrag entrichtet hat ( EUR 41.670,95), sowie die Herausgabe behaupteter Nutzungen in Gestalt von Zinsen für das überlassene Kapital ( EUR 35.076,09 [Berechnung in der Anlage K5/GA I 25 ff.]), vermindert um auf den Rückkaufswert bereits vorgerichtlich ausgezahlte EUR 40.324 (Anspruchsberechnung LGU 4). Ein durch die Anspruchsgegnerin in Ablichtung vorgelegtes - einseitiges - Policenbegleitschreiben vom 13.11.1995 (Anlage B 2/GA I 73), das an die Anspruchstellerin adressiert und dessen Zugang zwischen den Parteien streitig ist, enthält im unteren Drittel - unmittelbar über der Grußformel und zwei faksimilierten Unterschriften - einen fettgedruckten Absatz mit einer Widerspruchsbelehrung, die folgenden Wortlaut hat:
"Sie haben das Recht, dem Versicherungsvertrag innerhalb von 14 Tagen schriftlich zu widersprechen. Die Frist beginnt mit dem Zugang dieses Schreibens, mit dem sie die für Ihren Versicherungsvertrag geltenden Bedingungen und die dazugehörige Verbraucherinformation - soweit ihnen diese nicht bereits bei Antragstellung ausgehändigt worden ist - erhalten. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs."
Die Klägerin beruft sich in erster Linie darauf, dass ihre Geldleistung rechtsgrundlos erfolgt sei, da sie dem Zustandekommen des Versicherungsgeschäftes durch vorgerichtliche Anwaltsschreiben vom 22.10.2009 (Kopie Anlage K3/GA I 22) und 5.10.2011 (Kopie Anlage K4/GA I 23) rechtswirksam widersprochen habe. Für den Fall, dass der Vertrag doch - wie durch die Beklagte mit deren Schreiben vom 28.10.2009 (Kopie Anlage B9/GA I 97 f.) angenommen - infolge der subsidiär erklärten Kündigung beendet worden sein sollte, fordert die Anspruchstellerin hilfsweise die Zahlung von EUR 1.630,86 als Spitzenbetrag auf den Rückkaufswert. Zur näheren Darstellung des Sachverhaltes und der erstinstanzlichen Prozessgeschichte wird gem. § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (LGU 2 ff.).
Vom LG Cottbus, das in der Vorinstanz erkannt hat, ist die Klage abgewiesen worden. Zur Begründung hat die Zivilkammer ausgeführt: Der Klägerin stünden keine weitergehenden Zahlungsforderungen zu. Ihr Widerspruchsrecht sei im Oktober 2009, als sie es erstmals ausgeübt habe, jedenfalls nach § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. längst erloschen gewesen; die erste Prämienzahlung stamme aus dem Dezember 1995. Die Höchstfrist von einem Jahr sei - mit der vorherrschenden Auffassung in der Judikatur - auch unter EU-rechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden. Welche Konsequenzen eine unterbliebene Verbraucherinformation haben solle, lasse sich den einschlägigen Richtlinien nicht entnehmen. Ohnedies könnte die Klägerin aus etwaigen Verstößen dagegen keine unmittelbaren Ansprüche herleiten. Denn das nationale Recht bliebe selbst in einer solchen Konstellation gültig und dessen richtlinienkonforme Interpretation dürfe nicht gegen den eindeutigen Wortlaut der betreffenden Norm erfolgen. Für eine Rechtsfortbildung durch teleologische Reduktion fehle es an einer verdeckten Regelungslücke. Es gebe keine planwidrige Unvollständigkeit, weil der Gesetzgebe...