Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Neuruppin - Az. 6 O 264/21 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen vermeintlich unzulässiger Abschalteinrichtungen auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Kläger erwarb am 08.09.2017 bei der S. GmbH in O. einen gebrauchten VW Passat Variant 2.0 TDI Highline mit einem Kilometerstand von 13.500 km zu einem Kaufpreis von 36.500 EUR brutto. Die Erstzulassung datiert vom 17.01.2017.
Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten Motor des Typs EA 288 mit der Abgasnorm Euro 6 ausgerüstet. Der Motor verfügt zur Reduktion von Stickoxid-Emissionen und zur Einhaltung der Grenzwerte über eine geregelte Abgasrückführung (AGR) und einen SCR-Katalysator.
Das Fahrzeug ist von einem amtlichen Rückruf nicht betroffen.
Mit Anwaltsschreiben vom 02.10.2020 forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 16.10.2020 zur Zahlung von Schadenersatz Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs auf.
Der Kilometerstand des Fahrzeugs betrug zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 05.08.2021 67.369 km und am 23.01.2023 94.282 km.
Der Kläger hat behauptet, das Fahrzeug sei mit einer Software ausgestattet, die erkenne, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand zum Durchfahren des neuen europäischen Fahrzyklus (NEFZ) befinde (Fahrkurvenerkennung). Wenn das Fahrzeug den Prüfstand erkannt habe, reguliere die Software die Abgasrückführung und den SCR-Katalysator in anderer Weise als im normalen Straßenverkehr. Die Regelung der Abgasrückführung sei (u.a.) abhängig von der Außentemperatur ("Thermofenster"). Dabei werde die Abgasrückführungsrate außerhalb des Temperaturfensters von 20 bis 30 °C reduziert. Zudem werde nur auf dem Prüfstand ausreichend AdBlue für den SCR-Katalysator eingespritzt; im normalen Straßenverkehr dagegen werde deutlich weniger AdBlue eingespritzt, damit der kleindimensionierte AdBlue-Tank von den Kunden nicht zu häufig nachgefüllt werden müsse. Zusätzlich schalte die Software ab einer bestimmten Drehzahl die Abgasrückführung sowie den SCR-Katalysator ab bzw. reduziere dessen Leistung. Dies ergebe sich insbesondere aus der eigenen "Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien und Freigabeverfahren EA 288" der Beklagten vom 18.11.2015 sowie aus Präsentationsunterlagen zum EA 288 vom 02.10.2015. Ebenso ergebe sich aus diesen Unterlagen, dass die Beklagte eine von ihr als Umschaltstrategie 1 bezeichnete streckengesteuerte Manipulation einsetze, die nach Erkennen des Prüfstandes (der Fahrkurve) den SCR-Katalysator früher als im Realbetrieb zuschalte, nämlich schon bei Temperaturen unter 200 Grad Celsius und ebenfalls abweichend zum Realbetrieb die Abgasrückführungsrate nach dem Zuschalten des SCR-Katalysators nicht reduziere, sondern unverändert beibehalte. Der Sachverständige Dr. H. habe bei der Analyse der Motorsteuerung eines ähnlichen Fahrzeugs mit dem Motor EA 288 Kennfelder gefunden, die offensichtlich der Erkennung des NEFZ-Fahrzyklus dienten. Zudem hätten Messungen der Deutschen Umwelthilfe ergeben, dass die Fahrzeuge der Beklagten erhöhte Stickstoffwerte ausstießen.
Die in dem Fahrzeug verbauten Abschalteinrichtungen verstießen gegen die Abgasnorm (VO 715/2007 EG), insbesondere sei der Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 2 der VO nicht einschlägig. Der Vorstand der Beklagten habe diesen Verstoß bewusst aus Kostengründen in Kauf genommen, weil die Abgasgrenzwerte andernfalls nur mit höherem technischem und wirtschaftlichem Aufwand einzuhalten gewesen wären. Der Beklagten sei bekannt gewesen, dass die von ihr hergestellten Fahrzeuge und Motoren nicht die gesetzlichen Emissionswerte einhielten und daher die vorgenannten Abschaltvorrichtungen implementiert.
Der Kläger habe von den Abschalteinrichtungen keine Kenntnis gehabt und hätte das Fahrzeug andernfalls auch nicht gekauft, da wegen des Verstoßes gegen gesetzliche Anforderungen das Risiko des Entzugs der Betriebserlaubnis bestanden habe.
Erstinstanzlich hat der Kläger zuletzt beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 31.073,16 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, hilfsweise abzüglich einer in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Nutzungsentschädigung anhand des aktuellen Kilometerstandes, zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Volkswagen Passat mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ...,
2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeuges in Annahmeverzug befindet.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweis...