Leitsatz (amtlich)
1.
Ein Kraftfahrer, der ein Müllfahrzeug passieren will, muss entweder einen Mindestabstand von 2 m einhalten oder Schrittgeschwindigkeit fahren. Dies wird dem Umstand gerecht, dass ein Kraftfahrer damit rechnen muss, dass sich ein Müllwerker während der Verrichtung seiner Arbeit, auf die er ein besonderes Augenmerk lenkt, verkehrwidrig im Verkehrsraum verhält.
2.
Wer aussteigt, hat gem. § 14 Abs. 1 StVO den Verkehr vorher mit äußerster Sorgfalt zu beobachten und sich danach einzurichten. Dabei muss der Fahrer beim Öffnen der linken Wagentür nicht nur den von hinten herannahenden Verkehr beobachten, sondern auch auf den Gegenverkehr achten. Der Umstand, dass der Fahrer aus einem Müllfahrzeug als Fahrzeug mit Sonderrechten aussteigt, reduziert seine Sorgfaltspflichten aus § 14 Abs. 1 StVO grundsätzlich nicht. Dieser Umstand führt lediglich zur Verpflichtung des herannahenden Verkehrs zu besonderer Aufmerksamkeit.
3.
Bei der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge ist von einer hälftigen Schadensteilung auszugehen.
4.
Bei mehreren Frakturen im linken Mittelfuß, die operiert werden, einer stationären Behandlung von 9 Tagen, Ruhigstellung von Fuß und Bein für drei Wochen und einer knapp viermonatigen krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit erscheint unter Berücksichtigung eines hälftigen Mitverursachungsanteils ein Schmerzensgeld von 1.000,00 EUR ausreichend.
Normenkette
StVG § 7 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 1; PflVG § 3; StVO § 3 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
LG Potsdam (Entscheidung vom 16.10.2008; Aktenzeichen 3 O 166/07) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten wird das am 16. Oktober 2008 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Potsdam, Az.: 3 O 166/07, teilweise abgeändert.
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger
1.
251,40 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.07.2007 zu zahlen,
2.
ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.05.2007 zu zahlen sowie
3.
155,30 EUR vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung und die weitergehende Anschlussberufung werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger 75% und die Beklagten 25% zu tragen.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 80% und die Beklagten 20% zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kl. war am 04.04.2007 mit einem Müllfahrzeug unterwegs und beabsichtigte, abgestellte Müllsäcke einzusammeln. Er fuhr mit eingeschalteter orangefarbener Rundumleuchte. An der späteren Unfallstelle hielt der Kläger das Müllfahrzeug am rechten Fahrbahnrand an und ließ die von hinten überholenden bzw. an seinem Fahrzeug vorbeifahrenden Fahrzeuge passieren. Er stieg aus dem Fahrzeug aus. Der Bekl. zu 1. fuhr mit seinem bei der Bekl. zu 2. haftpflichtversicherten Fahrzeug aus der Gegenrichtung kommend an dem Müllfahrzeug vorbei und fuhr dabei über den linken Fuß des Kl.
Der Kl. erlitt mehrere Frakturen im linken Mittelfuß. Er wurde operiert und war bis zum 13.04.2007 in stationärer Behandlung. Fuß und Bein wurden drei Wochen ruhiggestellt, der Kl. war bis zum 31.07.2007 arbeitsunfähig krankgeschrieben.
Mit der Klage macht der Kl. die Differenz zwischen Bruttogehalt und Krankengeld, eine Kostenpauschale sowie Zuzahlungen bei Ärzten geltend. Ferner verlangt er Schmerzensgeld in Höhe von 3.000,00 EUR und die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
Das LG hat der Klage auf der Grundlage eines Verursachungsanteils des Kl. von 65% nur teilweise stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung des Kl. sowie die Anschlussberufung der Bekl. hatten teilweise Erfolg.
Entscheidungsgründe
Die jeweils zulässige Berufung und Anschlussberufung haben in der Sache nur zum Teil Erfolg.
Die Klage ist im erkannten Umfang begründet. Dem Kläger stehen insoweit Ansprüche aus §§ 7 Abs. 1, 17, 18 StVG, 823 Abs. 1 BGB, 3 PflVG zu.
1.
Zu Recht ist das Landgericht von einer Pflichtverletzung seitens des Beklagten zu 1. ausgegangen. Er ist entgegen §§ 1 Abs. 2, 3 Abs. 1 StVO mit zu geringem Seitenabstand an dem Müllfahrzeug vorbeigefahren, ohne dabei Schrittgeschwindigkeit einzuhalten. Die entsprechenden Feststellungen des Landgerichts hierzu sind nicht zu beanstanden. Ein Kraftfahrer, der ein Müllfahrzeug passieren will, muss entweder einen Mindestabstand von 2 m einhalten oder Schrittgeschwindigkeit fahren (OLG Hamm, NJW-RR 1988, 866; LG Münster, ZfS 2002, 422). Dies wird dem Umstand gerecht, dass ein Kraftfahrer damit rechnen muss, dass sich ein Müllwerker während der Verrichtung seiner Arbeit, auf die er ein besonderes Augenmerk lenkt, verkehrwidrig im Verkehrsraum verhält. Aufgrund der eingeschalteten Rund-umbeleuchtung war für den Beklagten zu 1. auch erkennbar, dass sich das Fahrzeug im Arbeitseinsatz befand. ...