Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam - Einzelrichterin - vom 16. Dezember 2022 zum Aktenzeichen 4 O 343/20 aufgehoben, soweit es die Klage gegen die Beklagte betrifft.
2. Die gegen die Beklagte gerichtete Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
3. Die Beklagte ist verpflichtet, die Klägerin von denjenigen künftigen immateriellen und materiellen Schäden aufgrund des Unfalls vom 23. Januar 2017 an der Nordwestseite des Platzes E. in P., genauer: Ostseite der F.-Straße, an der Bushaltestelle (Busspur aus Richtung Bahnhof) freizustellen, die nicht von den untenstehenden Anträgen zu 1 und 2 der Klägerin erfasst sind, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
4. Für das Betragsverfahren wird die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Landgericht Potsdam zurückverwiesen.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 27.569,20 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt Schmerzensgeld und Schadensersatz nach einem Glatteisunfall im Bereich der vergleichsweise stark frequentierten Straßenbahn- und Bushaltestelle Platz E. West im Zentrum P.'s. Nach mittlerweile rechtskräftiger Abweisung ihrer Klage gegen den Verkehrsbetrieb steht nur noch die Haftung der Stadt - als jetzt alleinige Beklagte - in Rede.
Am 23. Januar 2017 warnte der Deutsche Wetterdienst um 06:30 Uhr vor Dauerfrost und vereinzelt strengem Frost. Örtlich bestehe Glättegefahr wegen überfrierendem Nebel, Schneegriesel und gefrierendem Sprühregen; örtliches Glatteis sei wenig wahrscheinlich. Um 10:30 Uhr wiederholte er diese Einschätzung. Um 14:30 Uhr und um 17:30 Uhr warnte er vor Glättegefahr; örtliches Glatteis wurde nicht mehr ausgeschlossen. Um 17:59 Uhr gab er eine amtliche Warnung vor Glätte durch überfrierende Nässe sowie geringfügigen Schneefall aus, um 21:09 Uhr sowie 22:29 Uhr eine amtliche Warnung vor Glatteis aufgrund von gefrierendem Regen oder Sprühregen. In der Stunde vor 21 Uhr wurde an einer zwei Kilometer von der Haltestelle entfernten Wetterstation - als einzigem Niederschlag des Tages - 0,1 mm Niederschlag gemessen; die Lufttemperatur betrug durchgehend zwischen -4,9 und -2,4 °C. Nach den "Augenbeobachtungen" des DWD fielen den ganzen Tag über immer wieder Schneegriesel und Schneeflocken sowie ab 20:12 Uhr leichter Sprühregen mit Glatteisbildung.
Die Klägerin stieg ihrem Vortrag zufolge gegen 21:45 Uhr an der Haltestelle aus der Straßenbahn und ging zur dortigen Bushaltestelle über die Straße. Die Straßenbahnplattform sei ebenso problemlos zu nutzen gewesen wie die Busspur zu überqueren. Der Bürgersteig an der Bushaltestelle sei dagegen so glatt gewesen, dass sie nach zwei bis drei Schritten ausgerutscht und gestürzt sei. Sie habe sich mit einer Oberarmkopffraktur rechts eine schwere Schulterverletzung zugezogen, die operativ versorgt habe werden müssen und noch immer mit Schmerzen verbunden sei. Ihr sei ein mit 4.140 EUR zu bemessender Haushaltsführungsschaden entstanden, da sie fünf Monate lang nicht zur Haushaltsführung in der Lage gewesen sei. Ihren verletzungsbedingten Verdienstausfall beziffert sie mit 4.382,40 EUR. An weiteren materiellen Schäden macht sie gesamt 4.021,80 EUR geltend, sowie eine Unfallpauschale von 25 EUR.
Das Landgericht hat die Klage durch Urteil vom 16. Dezember 2022 abgewiesen, auf dessen tatsächlichen Feststellungen im Übrigen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird. Zur Begründung heißt es, zwar stehe nach der Beweisaufnahme fest, dass die Klägerin wie von ihr angegeben zu Fall gekommen sei und sich die behaupteten Verletzungen zugezogen habe. Auch sei die Beklagte als Stadt verkehrssicherungspflichtig für die Sturzstelle auf dem Bürgersteig ungeachtet der Einschränkung in der Straßenreinigungssatzung, nach der Haltestellen nicht zu den Gehwegen im Sinne der Satzung zähle. Die Klägerin habe aber nicht nachgewiesen, dass die Unterlassung gebotener Maßnahmen zur Umsetzung der Verkehrssicherungspflicht zu dem Sturz geführt habe. Der Anscheinsbeweis spreche nur dann für die Unfallursächlichkeit der Verletzung der Pflicht, wenn der Sturz nicht erst längere Zeit nach dem Ende der Streupflicht eingetreten ist. Die Streupflicht ende nach der maßgeblichen Satzung um 20 Uhr. Dass zu diesem Zeitpunkt schon zu streuen gewesen wäre, ergebe sich aus den Wetterdaten nicht. Erst 21:09 Uhr habe es eine Warnung vor Glatteis gegeben. Auch an einem Verkehrsschwerpunkt sei dem Sicherungspflichtigen eine gewisse Reaktionszeit zuzubilligen. Ohnehin könne vom Pflichtigen nicht sinnloses Tätigwerden verlangt werden, insbesondere kein Abstumpfen während andauerndem überfrierendem Nieselregen.
Das am 16. Dezember 2022 verkündete Urteil ist der Klägerin am 30. Dezember 2022 zugestellt worden. Sie hat am 16. Januar 2023 Berufung erhoben und diese am 13. Februar 2023 begründet.
Die...