Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässige Rechtsausübung. Rechtsmissbräuchlichkeit der Erhebung der Verjährungseinrede. Unterlassene Nachversicherung. Besonders treuwidriges Verhalten des Schuldners. Grundsatz von Treu und Glauben
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Rechtsfigur der unzulässigen Rechtsausübung wegen Rechtsmissbrauchs gilt auch im Bereich des Sozialversicherungsrechts.
2. Auch die Erhebung der Verjährungseinrede findet generell ihre Grenze im Grundsatz von Treu und Glauben und hierbei im Rechtsinstitut der unzulässigen Rechtsausübung wegen Rechtsmissbrauchs.
3. Der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung kann nur gegenüber einem groben Verstoß gegen Treu und Glauben durchgreifen; es müssen daher besondere Umstände vorliegen, um die Berufung auf die Verjährung im Einzelfall als unzulässige Rechtsausübung anzusehen.
4. Die Berufung auf die Verjährung wird dann als unzulässige Rechtsausübung angesehen, wenn der Verpflichtete den Berechtigten – sei es auch unabsichtlich – durch sein Verhalten von der rechtzeitigen Geltendmachung des Anspruchs abgehalten hat.
5. Dabei kommt eine Rechtsmissbräuchlichkeit der Erhebung der Verjährungseinrede nicht nur dann in Betracht, wenn der Schuldner sich mit der Berufung auf Verjährung zu eigenem positiven Tun in Widerspruch setzt; vielmehr kann sich die Rechtsmissbräuchlichkeit auch daraus ergeben, dass der Gläubiger von der rechtzeitigen verjährungsunterbrechenden Geltendmachung seines Anspruchs durch ein objektiv pflichtwidriges Unterlassen des Schuldners abgehalten worden ist.
6. Es würde der vom Gesetzgeber getroffenen Wertung widersprechen, bei einer fahrlässigen Pflichtverletzung ohne Hinzutreten ganz besonderer Umstände nach einem Zeitraum von mehr als 30 Jahren die Berufung auf die Verjährung zu verwehren.
7. Der Gläubiger muss nach Wegfall der Umstände, die ihn von der rechtzeitigen Geltendmachung seiner Ansprüche abgehalten und den Vorwurf einer unzulässigen Rechtsausübung seitens des Schuldners begründet haben, binnen einer angemessenen, nach Treu und Glauben zu bestimmenden Frist seinen Anspruch geltend machen, um der Verjährungseinrede mit dem Einwand unzulässiger Rechtsausübung begegnen zu können.
Normenkette
SGB IV § 25 Abs. 1 Sätze 1-2, § 1 S. 1 Nr. 4, § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, §§ 8, 181 Abs. 4, § 230 Abs. 1 Nrn. 1, 3, § 233 Abs. 1 S. 1; AVG § 2 Abs. 1 Nr. 7, § 9 Abs. 5, § 125 Abs. 1; SGB X § 31; BGB §§ 133, 157, 242; SGG § 202 S. 1; InsO § 179 Abs. 1-2, § 180 Abs. 2, § 185 S. 2; ZPO § 240 S. 1, § 250
Verfahrensgang
Tenor
Den Beteiligten und ihren Bevollmächtigten wird gestattet, sich während der mündlichen Verhandlung am 3. Februar 2022 jeweils an einem anderen Ort als im Sitzungssaal des Bundessozialgerichts aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen.
Beteiligte, die sich während der mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufhalten und dort Verfahrenshandlungen vornehmen möchten, haben dies bis spätestens am 2. Februar 2022 um 15 Uhr dem Gericht anzuzeigen und dabei den Ort sowie eine E-Mail-Adresse zur Übermittlung der Einwahldaten zu benennen.
Gründe
Nach § 110a Abs 1 SGG kann das Gericht den Beteiligten, ihren Bevollmächtigten und Beiständen auf Antrag oder von Amts wegen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen (Satz 1); für diesen Fall wird die mündliche Verhandlung zeitgleich in Bild und Ton an diese Orte und in das Sitzungszimmer übertragen (Satz 2). Der Senat macht von dieser Befugnis im Hinblick auf den derzeitigen Stand der COVID 19-Pandemie von Amts wegen Gebrauch.
Das Gericht überträgt die mündliche Verhandlung in Bild und Ton an die rechtzeitig benannten anderen Orte und in das Sitzungszimmer mittels
- Logitech Rally Plus Videokonferenzsystem und
- Cisco Webex Meetings Suite.
Die Einwahldaten (Meeting-Link) werden spätestens 15 Minuten vor Beginn des Termins an die angegebene E-Mail-Adresse übersandt.
Die Teilnahme der Beteiligten und Bevollmächtigten an dem anderen Ort setzt dort die Nutzung eines Internet-Browsers (bevorzugt Chrome oder Firefox) voraus.
Die Übertragung wird vom Gericht nicht aufgezeichnet (§ 110a Abs 3 Satz 1 SGG). Eine Aufzeichnung der Übertragung ist unzulässig.
Die Entscheidung ergeht ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter (§ 40 Satz 1 iVm § 33 Abs 1 Satz 2, § 12 Abs 1 Satz 2 SGG). Sie ist nach § 110a Abs 3 Satz 2 SGG unanfechtbar.
Düring Gasser Hannes
Fundstellen
Dokument-Index HI15052498 |