Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. keine Kostenübernahme des Einfrierens und Lagerns von männlichen Samen sowie vorsorglich gewonnener Eizellen
Orientierungssatz
Das Einfrieren und Lagern männlichen Samens auf unbestimmte Zeit ist ebenso wie die Kryokonservierung und Lagerung vorsorglich gewonnener Eizellen für die Wiederholung eines Versuchs der Befruchtung keine Leistung der Krankenversicherung (vgl BSG vom 26.6.1990 - 3 RK 19/89 = SozR 3-2200 § 182 Nr 3 und BSG vom 25.5.2000 - B 8 KN 3/99 KR R = BSGE 86, 174 = SozR 3-2500 § 27a Nr 1).
Normenkette
SGB 5 § 27 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1998-06-16, S. 2 Fassung: 1998-06-16, S. 4 Fassung: 1998-06-16, § 27a Abs. 1 Fassung: 1990-06-26
Verfahrensgang
Tatbestand
Bei dem 1975 geborenen, bei der beklagten Krankenkasse versicherten Kläger wurde der rechte Hoden entfernt. Während des stationären Krankenhausaufenthalts beantragte seine Ärztin für ihn bei der Beklagten im März 1999 sinngemäß die Übernahme der Kosten einer Kryokonservierung von Samenzellen sowie deren Einlagerung. Die Beklagte lehnte die "Kostenübernahme der Kryokonservierung" ab (Bescheid vom 18. März 1999) und wies den Widerspruch hiergegen zurück (Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 1999). Der Kläger hat "wegen Kostenübernahme für die Einlagerung von männlichen Samenzellen" Klage zum Sozialgericht (SG) erhoben, die Rechnung vom 7. Juni 1999 über insgesamt 932 DM vorgelegt und - ausweislich des Tatbestandes des SG-Urteils - beantragt, die ergangenen Bescheide aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die Kryokonservierung und die Einlagerung von männlichen Samenzellen zu übernehmen. Das SG hat die Klage durch Urteil vom 22. Mai 2000 abgewiesen, im Tenor sowie in den Entscheidungsgründen keine Entscheidung über die Zulassung der Berufung getroffen und seinem Urteil eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt, wonach das Urteil mit der Berufung angefochten werden könne. Der Kläger hat Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) hat hierauf zunächst in der Sache ermittelt, dem Kläger dann im Mai 2003 einen richterlichen Hinweis zur Unzulässigkeit der Berufung gegeben und die Berufung mit Urteil vom 24. November 2003 als unzulässig verworfen: Die Berufung sei nach § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) damaliger Fassung unzulässig, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 1.000 DM nicht übersteige. Das SG habe in seiner Rechtsmittelbelehrung fehlerhaft angenommen, die Berufung sei zulässig.
Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Darlegungsanforderungen. Danach muss, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde auf den Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG gestützt wird, der geltend gemachte "Verfahrensfehler bezeichnet" werden. Das ist hier nicht in der erforderlichen Weise geschehen.
1. Die Beschwerde rügt eine Verletzung des § 144 Abs 1 SGG. Das LSG habe § 144 Abs 1 Satz 2 SGG nicht beachtet. Es verkenne, dass es sich bei der Einlagerung kryokonservierten Samens um Kosten aus wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr handele. Der Kläger habe an das SG mitgeteilt, die Einlagerung sei letztlich zwei Jahre lang erfolgt (Hinweis auf Schriftsatz vom "28.8.2003"). Die nachträglich erstellte Rechnung weise für die Miete der Lagerung 204 DM pro Jahr aus. Vor dem SG sei noch nicht absehbar gewesen, wie lange die Einlagerung erfolgen müsste. Die Rechtsmittelbelehrung des SG sei zutreffend gewesen. Das LSG verkenne außerdem, dass es nach § 144 Abs 3 SGG an die Berufungszulassung gebunden sei. Es sei weder eine Umdeutung noch eine weiter gehende Prozesshandlung im Wege der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde erforderlich. Die Entscheidung beruhe auf diesen Verfahrensmängeln. Hätte das "SG" die Berufung zugelassen, hätte der gesamte Spruchkörper des LSG in der Sache entscheiden können und zu Gunsten des Klägers entschieden. Hieraus ergebe sich zugleich eine Verletzung des gesetzlichen Richters.
2. Die Beschwerde hat mit diesem Vorbringen nicht in der gebotenen Weise dargetan, dass bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung des SG ein die materielle Beschwer bestimmender Klageantrag auf Übernahme von Kosten in Höhe von (damals) mindestens 1.000 DM vorlag (§ 144 Abs 1 Nr 1 SGG aF) oder der Kläger die Feststellung der Kostenübernahmepflicht bezüglich einer wiederkehrenden oder laufenden Leistung geltend gemacht hatte. Für die Frage der Zulässigkeit der Berufung ist insoweit vom Gegenstand der Entscheidung des SG auszugehen, wie er sich nach dem Berufungsurteil darstellt (vgl BSG SozR 3-1500 § 158 Nr 1, SozR 3-1500 § 144 Nr 1 S 2) und wie er sich bei einem prozessual zulässigen Klageantrag ergeben hätte (vgl BSG SozR 5870 § 27 Nr 3). Demgemäß muss die Beschwerde darlegen, dass das LSG nach dem Stand der Dinge zwingend von der Statthaftigkeit der Berufung hätte ausgehen müssen. Hieran fehlt es. Die Beschwerde enthält keinen hinreichenden Vortrag dazu, dass der Kläger bereits vor dem SG die Erstattung von mehr als 1.000 DM beantragt hat bzw dass er dort mit hinreichender Deutlichkeit die Feststellung der Übernahme bzw Freistellung von Kosten laufender oder wiederkehrender Leistungen zum Streitgegenstand des Rechtsstreits gemacht hat.
Das LSG hat dem Prozessbevollmächtigten des Klägers im Mai 2003 den Hinweis gegeben, wonach die Berufung entgegen der Rechtsmittelbelehrung angesichts der Klageforderung von 932 DM gemäß § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG unzulässig sein dürfte. Der Kläger möge mitteilen, ob er seine Berufung als Nichtzulassungsbeschwerde betreiben wolle oder ob die Klageforderung ggf durch Klageerweiterung erhöht werden solle. Der anwaltlich vertretene Kläger hat hierauf mit Schriftsatz vom 16. Juni 2003 mitgeteilt, die Kosten der Einlagerung hätten ursprünglich 524 DM zuzüglich der Jahresmiete in Höhe von 408 DM betragen. Der Klageantrag sei "ursprünglich" auf einen Betrag von insgesamt 932 DM (476,52 €) gerichtet gewesen. Auf Grund des vergangenen Zeitraumes seit der Einlagerung (18. März 1999) seien auch die weiteren jährlichen Kosten von jeweils 408 DM zu berücksichtigen, sodass die "Klage um den Betrag von 1.224 DM (625,82 €) für die Jahre 2001 bis 2003 erweitert" werde. - Hieraus folgt, dass der Kläger selbst von einer Erweiterung seiner zunächst auf Erstattung/Übernahme von 932 DM gerichteten Klage erst während des Berufungsverfahrens, nicht bereits schon während des SG-Verfahrens ausgeht.
Soweit in der Beschwerdebegründung nunmehr vorgetragen wird, der Kläger habe "an das SG" mitgeteilt, dass die Einlagerung letztlich zwei Jahre lang erfolgte, kann sich die Beschwerde insoweit nicht auf den Schriftsatz vom 28. August 2003 berufen, denn dieser erging erst während des Berufungsverfahrens gegenüber dem LSG. Die Beschwerde legt mit ihrem Vorbringen auch nicht dar, dass bereits vor dem SG die Feststellung beantragt worden ist, die Beklagte habe eine laufende oder wiederkehrende Leistung erbringen bzw die Kosten für solche Leistungen zu erstatten oder ihn von den Kosten hiervon freizustellen. Zwar hat der Kläger vor dem SG insoweit mit der Klageschrift beantragt, die Beklagte zu verurteilen, "die Kosten zur Einlagerung von männlichen Samenzellen zu übernehmen". Hierzu hat er eine Rechnung vom 7. Juni 1999 über 932 DM beigefügt und ausgeführt, die Beklagte verweigere die Übernahme der Kosten. Hieraus ist nicht zu entnehmen, dass der Kläger bereits vor dem SG durch seinen Prozessbevollmächtigten die Dauer der Leistung konkretisiert oder weiter zu erwartende, über den Inhalt der Rechnung hinausgehende Kosten dargelegt hat.
3. Aber selbst wenn die Beschwerde hinreichend darlegen würde, dass es dem Kläger bereits vor dem SG um die Freistellung von den Kosten laufender oder wiederkehrender Leistungen ging, müsste die Beschwerde weiter darlegen, dass der angefochtene LSG-Beschluss auf dem Verfahrensmangel beruhen kann. Letzteres wäre der Fall, wenn zumindest die Möglichkeit bestünde, dass das LSG ohne den behaupteten Verfahrensverstoß zu einer Sachentscheidung, mit einem für den Kläger günstigen Ergebnis, hätte gelangen können (vgl BSG, Beschluss vom 30. Juni 1994 - 11 BAr 139/93, mwN). Hieran fehlt es. Die Beschwerde behauptet, das LSG wäre zu einem für den Kläger günstigen Ergebnis gekommen, wenn es die Berufung nicht als unzulässig verworfen hätte. Gründe hierfür werden nicht genannt. Insbesondere setzt sich die Beschwerde nicht mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auseinander. Dieses hat bereits zum Recht der Reichsversicherungsordnung (RVO) entschieden, dass das Einfrieren und Lagern männlichen Samens auf unbestimmte Zeit keine Leistung der Krankenversicherung ist (BSG SozR 3-2200 § 182 Nr 3; ebenso für die Kryokonservierung und Lagerung vorsorglich gewonnener Eizellen für die Wiederholung eines Versuchs der Befruchtung: BSG SozR 3-2500 § 27a Nr 1).
4. Soweit die Beschwerde geltend macht, das LSG sei an eine vom SG stillschweigend vorgenommene Berufungszulassung gebunden gewesen, legt sie den Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ebenfalls nicht dar. Die dazu zitierte Entscheidung des BSG in SozR 1500 § 150 Nr 29 deckt diese Aussage nicht. Der bloße Hinweis auf die vermeintliche Zulässigkeit der Berufung in der Rechtsmittelbelehrung stellt nach ständiger Rechtsprechung keine Berufungszulassung dar, die das LSG gemäß § 144 Abs 3 SGG binden könnte (BSGE 5, 92, 95; BSG SozR 3-1500 § 158 Nr 1 und 3).
5. Schließlich legt die Beschwerde auch nicht dar, dass es dem LSG verwehrt war, gemäß § 158 Abs 1 Satz 1 und 2 SGG über die unstatthafte Berufung durch Beschluss in der Besetzung ohne ehrenamtliche Richter (vgl § 12 Abs 1 Satz 2 SGG) zu entscheiden.
6. Der Senat hat vorliegend nicht darüber zu befinden, ob das LSG dem Kläger unter dem Gesichtspunkt gerichtlicher Fürsorgepflichten für eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des SG hätte Wiedereinsetzung in der vorigen Stand gewähren müssen (vgl hierzu zB BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 2004 - 1 BvR 1892/03, NJW 2004, 2887, mwN). Die Beschwerde macht dies nicht geltend.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen