Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung des rechtlichen Gehörs
Orientierungssatz
1. Im allgemeinen verletzt die Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Abwesenheit des Beteiligten und die darauf gründende Entscheidung das rechtliche Gehör, wenn das persönliche Erscheinen angeordnet war und sich der Beteiligte zu dem Termin begründet entschuldigt hat (vgl BSG vom 1.8.1978 7 RAr 42/77 = SozR 1500 § 62 Nr 8). Der Beteiligte kann aufgrund dieser Anordnung darauf vertrauen, daß das Gericht nicht ohne seine Anwesenheit im Termin entscheiden wird.
2. Hatte das SG in der Terminsmitteilung, mit der es das persönliche Erscheinen angeordnet hatte, auf § 126 SGG hingewiesen, war das Vertrauen des Klägers nicht in dieser Weise geschützt.
Normenkette
SGG § 160a Abs 2 S 3, § 160 Abs 2 Nr 1, §§ 62, 126
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 17.12.1987; Aktenzeichen L 16 Kr 56/86) |
Gründe
Der Kläger, der ab 5. Februar 1985 Krankengeld bezogen hat, begehrt Verurteilung der Beklagten, ihm das Krankengeld bereits ab 16. Januar 1985 zu gewähren. Das Sozialgericht (SG) Dortmund hat seine Klage abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen. Mit der Berufung hat der Kläger einen Verfahrensmangel des SG gerügt (§ 150 Nr 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-): Am Tag der Sitzung des SG habe er eine Autopanne gehabt und deshalb den Vertreter der Beklagten telefonisch gebeten, falls er den Ort der Sitzung - Altena - nicht rechtzeitig erreichen sollte, die Vertagung des Termins zu beantragen. Ebenso habe er eine Angestellte des Sozialamts im Sitzungsgebäude in Altena telefonisch gebeten, seine Entschuldigung und den Vertagungsantrag an das Gericht weiterzuleiten. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung als unzulässig verworfen und festgestellt, daß SG habe keine Kenntnis vom Vertagungswunsch des Klägers gehabt.
Der Kläger rügt mit der Nichtzulassungsbeschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie Verfahrensmängel.
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Wegen der vom Kläger bezeichneten materiellen Rechtsfrage hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Die Rechtsfrage ist im vorliegenden Fall nicht klärungsfähig. Über eine materielle Rechtsfrage könnte das Bundessozialgericht bei Zulassung der Revision nicht entscheiden, da die Berufung nicht zulässig ist. Eine Berufung ist nach § 144 Abs 1 Nr 2 SGG nicht zulässig bei Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen (3 Monaten), also nicht für den Anspruch des Klägers auf Gewährung von Krankengeld für die Zeit vom 16. Januar 1985 bis zum 5. Februar 1985.
Ungeachtet der Bestimmung des § 144 SGG ist die Zulässigkeit der Berufung gegeben, wenn ein wesentlicher Verfahrensmangel gerügt wird. Der Kläger rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil das SG trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens in Kenntnis seines dringenden Wunsches zur Teilnahme am Termin die mündliche Verhandlung ohne ihn durchgeführt und in der Sache entschieden habe. Diese Rüge greift nicht durch.
Zwar verletzt im allgemeinen die Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Abwesenheit des Beteiligten und die darauf gründende Entscheidung das rechtliche Gehör, wenn das persönliche Erscheinen angeordnet war und sich der Beteiligte zu dem Termin begründet entschuldigt hat (BSG SozR 1500 § 62 SGG Nr 8). Der Beteiligte kann aufgrund dieser Anordnung darauf vertrauen, daß das Gericht nicht ohne seine Anwesenheit im Termin entscheiden wird. Im vorliegenden Fall war das Vertrauen des Klägers aber nicht in dieser Weise geschützt. Das SG hatte in der Terminsmitteilung, mit der es das persönliche Erscheinen angeordnet hatte, auf § 126 SGG hingewiesen. Aufgrund dieses Hinweises hätte das SG auf Antrag des im Termin erschienenen Beklagten nach Lage der Akten entscheiden können. Ohne einen solchen Antrag konnte es aber auch aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden (Hennig/Danckwerts/König, Kommentar zum SGG § 126 Erl 4.2). Der Kläger mußte deshalb trotz der Anordnung des persönlichen Erscheinens mit der Durchführung der mündlichen Verhandlung und einer Entscheidung auch bei Nichterscheinen rechnen.
Einen Vertagungsantrag hatte der Kläger nicht gestellt. Dem Gericht ist über die Angestellte des Sozialamts und den Terminsvertreter der Beklagten lediglich eine Entschuldigung des Klägers für sein mögliches Fernbleiben übermittelt worden. Wenn der Kläger einen Vertagungsantrag anbringen wollte, dies aber ohne sein Verschulden nicht erreicht hat, so hat das jedenfalls nicht zu einem Verfahrensfehler des SG geführt. Der Kläger hat in der Beschwerdebegründung nicht behauptet, daß dem Gericht ein Vertagungsantrag vorgelegen habe.
Der Kläger rügt weiter, er habe in der Berufungsschrift zum Ausdruck gebracht, daß das SG den Arzt hätte darüber befragen müssen, warum die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zum 16. Januar 1985 nicht dem Beklagten vorgelegt worden sei. Zu einer solchen Beweiserhebung hat sich das SG aber nicht gedrängt fühlen müssen. Es kommt insoweit auf die materiell-rechtliche Auffassung des SG an. Das SG ist davon ausgegangen, daß grundsätzlich den Kläger die Verantwortung für den Zugang der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung traf und auch eine etwaige Versäumnis des Arztes zu Lasten des Klägers gehe. Danach war es unerheblich, aus welchem Grund die Bescheinigung nicht bei der Beklagten eingegangen war. Wozu der Arzt befragt werden sollte, hat der Kläger in seiner Beschwerdebegründung nicht angegeben. Es ist deshalb kein Verfahrensfehler des SG zu erkennen, daß es den Arzt nicht vernommen hat. Insbesondere konnte das SG nicht erkennen, daß der Arzt etwas zum Zugang der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei der Beklagten sagen könnte.
Aus diesen Gründen ist die Beschwerde zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen