Verfahrensgang
SG Hildesheim (Entscheidung vom 03.04.2017; Aktenzeichen S 7 VE 15/15) |
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 26.02.2020; Aktenzeichen L 10 VE 29/17) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 26. Februar 2020 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin begehrt in der Hauptsache die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) iVm den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Sie sei in ihrer Kindheit am 25.12.2007 bei einem Brand in einem Zimmer, in dem sie sich zusammen mit ihrer Schwester aufgehalten habe, schwer verletzt worden. Infolge dessen befinde sie sich fortlaufend in ärztlicher Behandlung und habe sich bereits zahlreichen Operationen unterziehen müssen. Das LSG hat den geltend gemachten Anspruch verneint. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Schwester der Klägerin einen "vorsätzlichen" Angriff ausgeführt habe. Ein bestimmter Geschehensablauf könne nicht festgestellt werden, und es erscheine grundsätzlich zweifelhaft, ob ein dreieinhalb-jähriges Kind insoweit überhaupt vorsätzlich handeln könne. Jedenfalls sei die Schwester der Klägerin bereits im maßgeblichen Zeitpunkt geistig behindert gewesen. Die geistige Behinderung der Schwester der Klägerin wirke sich auf die Fähigkeit aus, Gefahren zu erkennen (Urteil vom 26.2.2020).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie macht als Zulassungsgrund die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend und rügt eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht.
II
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der hierfür erforderlichen Weise dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss daher, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl Senatsbeschlüsse vom 31.1.2018 - B 9 V 63/17 B - juris RdNr 6 und vom 30.11.2017 - B 9 V 35/17 B - juris RdNr 4). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht gerecht.
Die Klägerin trägt vor, die Entscheidung des LSG werfe "eine Rechtsfrage grundsätzlicher Art auf, … ob auch Kleinkinder wissen können, was verboten ist und was schwerwiegende Folgen haben kann und ihr Handeln als tätlicher Angriff anzusehen ist". Zwar sei diese Rechtsfrage höchstrichterlich im Ansatz geklärt, jedoch im vorliegenden Einzelfall fehlerhaft angewendet worden.
Mit dieser Frage hat die Klägerin - anders als notwendig - bereits keine abstrakt-generelle Rechtsfrage iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG bezeichnet, weil sich die Fragestellung zum einen ersichtlich auf ihren Einzelfall bezieht, weshalb ihr von vornherein keine Breitenwirkung zukommen kann (vgl hierzu und zu den weiteren Darlegungsanforderungen an eine Grundsatzrüge Senatsbeschluss vom 31.1.2018 - B 9 V 63/17 B - juris RdNr 6; Senatsbeschluss vom 30.11.2017 - B 9 V 35/17 B - juris RdNr 4). Zum anderen zielt die Fragestellung auf die Klärung und Bewertung von Tatsachen ab und beinhaltet im Kern letztlich Fragen der Beweiswürdigung und der Sachaufklärung. Die Zulassung der Revision kann gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 2 SGG aber nicht mit der Behauptung verlangt werden, das LSG habe gegen den Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung verstoßen. Dies gilt nicht nur für den Fall, dass die Beschwerde ausdrücklich eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG geltend macht, sondern auch dann, wenn sie ihre Angriffe gegen die Beweiswürdigung des LSG in das Gewand einer Grundsatzrüge zu kleiden versucht. Ein Beschwerdeführer kann die gesetzlichen Beschränkungen der Verfahrensrüge in § 160 Abs 2 Nr 3 SGG - soweit sie reichen - nicht dadurch erfolgreich umgehen, dass er die Rügen in Fragen von grundsätzlicher Bedeutung kleidet (vgl BSG Beschluss vom 28.2.2018 - B 1 KR 65/17 B - juris RdNr 5). Die Klägerin zeigt nicht auf, dass es hier um eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung geht, bei der die gesetzlichen Beschränkungen der Verfahrensrügen nicht greifen.
Schließlich unterzieht sich die Klägerin nicht der notwendigen Mühe, sich mit der Rechtsprechung des BSG zum Begriff des "tätlichen Angriffs" iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG und hier insbesondere mit der vom LSG in seinem angefochtenen Urteil benannten Entscheidung des BSG vom 8.11.2007 (B9/9a VG 3/06 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 11) auseinanderzusetzen und versäumt es demzufolge auch auf dieser Grundlage zu prüfen, ob sich aus dieser bereits ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragestellung ergeben. Ist dies aber der Fall, gilt eine Rechtsfrage als höchstrichterlich geklärt (vgl stRspr; zB Senatsbeschluss vom 22.3.2018 - B 9 SB 78/17 B - juris RdNr 12 mwN). Tatsächlich führt die Beschwerde selbst aus, dass sich das Berufungsgericht richtigerweise auf die benannte Entscheidung des BSG bezogen habe und hält die vermeintlich aufgeworfene Rechtsfrage "im Ansatz" für höchstrichterlich geklärt jedoch für fehlerhaft angewendet. Damit wendet sich die Klägerin im Kern gegen die inhaltliche Unrichtigkeit des Urteils. Hierauf kann jedoch die Nichtzulassungsbeschwerde auch im Rahmen einer Grundsatzrüge nicht zulässig gestützt werden (vgl stRspr; zB Senatsbeschluss vom 24.4.2019 - B 9 V 2/19 B - juris RdNr 5 mwN).
2. Soweit die Klägerin unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des BSG rügt, es könne nicht nachvollzogen werden, weshalb keine weiteren Ermittlungen trotz Aufforderung von Amts wegen erfolgt seien und damit sinngemäß eine fehlerhafte Sachaufklärung (§ 103 SGG) des LSG geltend machen will, erfüllt ihr Vorbringen nicht die notwendigen Darlegungsanforderungen einer Sachaufklärungsrüge (s hierzu allgemein Senatsbeschluss vom 21.12.2017 - B 9 SB 70/17 B - juris RdNr 3). Auf den Verfahrensmangel einer unterlassenen Sachaufklärung (§ 103 SGG) kann sich die Klägerin schon deshalb nicht mit Erfolg berufen, weil sie keinen vor dem LSG bis zuletzt in der mündlichen Verhandlung aufrechterhaltenen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag benannt hat, den das Berufungsgericht übergangen haben könnte (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 3 SGG). Die Rüge der fehlerhaften Würdigung des Sachverhalts durch das Berufungsgericht geht nicht über eine im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtliche Subsumtionsrüge hinaus (vgl Senatsbeschluss vom 25.10.2018 - B 9 V 27/18 B - juris RdNr 10).
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
4. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14263618 |