Entscheidungsstichwort (Thema)

Rüge eines Verfahrensmangels

 

Orientierungssatz

§ 150 Nr 2 SGG setzt zunächst die Rüge eines Verfahrensmangels voraus und darüber hinaus, daß das erstinstanzliche Verfahren auch tatsächlich an diesem Mangel litt. Nach der Rechtsprechung des BSG ist es zwar nicht notwendig, die verletzte Norm ausdrücklich zu bezeichnen, es müssen aber zumindest substantiiert Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich der Mangel ergibt.

 

Normenkette

SGG § 150 Nr 2, § 160 Abs 2 Nr 3

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 06.05.1987; Aktenzeichen L 12 Ka 27/86)

 

Gründe

Die Klägerin ist als Allgemeinärztin niedergelassen und an der Ersatzkassenpraxis beteiligt. Mit der Klage ficht sie die Kürzung ihres Honorars für das dritte Quartal 1981 an. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung als unzulässig verworfen mit der Begründung, es handele sich um wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum von bis zu 13 Wochen (3 Monaten); einen wesentlichen Verfahrensmangel habe die Klägerin nicht gerügt, er liege zur Überzeugung des Senats auch nach Lage der Akten nicht vor.

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, denn ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen Voraussetzungen nach § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Danach muß in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden. In Betracht kommt im vorliegenden Fall nur der Zulassungsgrund des Verfahrensmangels. Die Revision ist nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zulässig, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Die Klägerin hat einen solchen Verfahrensmangel nicht ausreichend bezeichnet. Zur Bezeichnung des Verfahrensmangels muß der Beschwerdeführer die Tatsachen angeben, die den entscheidungserheblichen Mangel ausmachen und außerdem angeben, weshalb das angefochtene Urteil auf dem Mangel beruhen kann. Angefochtenes Urteil im Sinn des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist das Urteil des LSG. Die Klägerin rügt, das Verfahren des LSG sei fehlerhaft, denn dieses Gericht habe zu Unrecht die Berufung als unzulässig verworfen. Dabei wendet sich die Klägerin nicht gegen den Ausschluß der Berufung nach § 144 Abs 1 Nr 2 SGG. Ungeachtet dieser Bestimmung ist die Berufung zulässig, wenn das SG sie im Urteil zugelassen hat (§ 150 Nr 1 SGG) - das ist hier nicht der Fall - oder wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird (§ 150 Nr 2 SGG).

Die Klägerin hat mit der Nichtzulassungsbeschwerde die Rüge eines Verfahrensmangels iS des § 150 Nr 2 SGG, dh eines Verfahrensmangels des SG, nicht ausreichend bezeichnet. § 150 Nr 2 SGG setzt zweierlei voraus: Zunächst die Rüge eines Verfahrensmangels und darüber hinaus, daß das erstinstanzliche Verfahren auch tatsächlich an diesem Mangel litt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist es zwar nicht notwendig, die verletzte Norm ausdrücklich zu bezeichnen, es müssen aber zumindest substantiiert Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich der Mangel ergibt (vgl SozR 1500 § 150 Nrn 11, 18). Wird die Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, das LSG hätte kein Prozeßurteil erlassen dürfen, sondern im Hinblick auf § 150 Nr 2 eine Sachentscheidung treffen müssen, so ist in der Beschwerdebegründung darzulegen, daß beide Voraussetzungen der genannten Vorschrift erfüllt sind. Der Beschwerdeführer hat beim übergangenen Beweisantrag (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) diesen so genau zu bezeichnen, daß er für das BSG ohne weiteres auffindbar ist (vgl BSG SozR 1500 § 160 SGG Nr 5). In gleicher Weise gehört hier zur Zulässigkeit der Beschwerde ein Vortrag, wann und wo zumindest ein wesentlicher Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens gerügt worden ist. Nur so entspricht die Beschwerdebegründung dem Erfordernis, das Revisionsgericht allein anhand dieser Begründung in die Lage zu versetzen, sich ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a SGG Nr 55 mwN).

Aus der Beschwerdebegründung der Klägerin ergibt sich nicht, daß sie einen tatsächlich vorliegenden wesentlichen Mangel des Verfahrens des SG im Berufungsverfahren gerügt hat. Sie bringt zwar in ihrer umfangreichen Beschwerdebegründung an zwei Stellen vor, sie habe wesentliche Mängel des sozialgerichtlichen Verfahrens gerügt und darauf ihre Berufung gestützt. Wann und wo diese Rügen im Berufungsverfahren erhoben wurden, geht aber aus der Beschwerdebegründung nicht hervor. Außerdem ist ihr nicht zu entnehmen, welche Mängel sie im einzelnen gerügt hat. Ihr Vorbringen, sie habe Mängel des sozialgerichtlichen Verfahrens gerügt, bezieht sich im Zusammenhang der Beschwerdebegründung auf die allgemeine Behauptung, das SG habe bei der gegebenen Sach-und Rechtslage nicht feststellen und entscheiden können, ob die Klägerin unwirtschaftlich gearbeitet habe und die Honorarkürzung gerechtfertigt war. Konkrete Tatsachen, die einen Verfahrensmangel ergeben, enthält auch nicht das weitere Vorbringen, das SG habe nicht ungeachtet der Fehlerhaftigkeit des angegriffenen Widerspruchsbescheids seine eigene Beurteilung anstelle der der Verwaltung zustehenden Beurteilung setzen dürfen, und die Art der getroffenen Entscheidung sei fehlerhaft, weil statt der Aufhebung des Bescheids eine Sachentscheidung getroffen wurde; der Bescheid habe wegen fehlender Aufklärung und wegen nicht ausreichender Begründung nicht in dem erforderlichen Umfang nachgeprüft werden können. Mit dieser Rüge der "Sach"-Entscheidung anstelle der Aufhebung des fehlerhaften Bescheids hat die Klägerin keine Tatsachen bezeichnet, aus denen sich ein Verfahrensfehler des SG ergibt. Sie wendet sich nur gegen das Ergebnis der Entscheidung des SG.

Wenn die Klägerin am Schluß der Beschwerdebegründung geltend macht, sie habe "diese" Verfahrensfehler gerügt, so bezieht sie sich nach dem Aufbau des Schriftsatzes auf den Verfahrensfehler der Abweichung von Entscheidungen des BSG sowie darauf, daß das SG nach ihrer Meinung nicht die Kausalität der Arzneikostenersparnis in Abrede stellen durfte, ohne den Grund für die Arzneikostenersparnis sachkundig zu überprüfen. Das SG hat bei Abweichungen seiner Entscheidung von einer Entscheidung des BSG die Berufung zuzulassen (§ 150 Nr 1 SGG). Indessen führt das Fehlen der Zulassung nicht zur Zulässigkeit der Berufung; gegen Entscheidungen des SG gibt es keine Nichtzulassungsbeschwerde, mit der die Abweichung geltend gemacht werden könnte. Fehlende Feststellungen zum Grund der Arzneikostenersparnis können sich als mangelhafte Aufklärung des Sachverhalts darstellen (§ 103 SGG). Dafür ist Voraussetzung, daß sich das SG aufgrund seiner materiellen Rechtsauffassung zu bestimmten Aufklärungsmaßnahmen hätte gedrängt fühlen müssen. Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich aber nicht, aufgrund welcher Rechtsauffassung welche Tatsachen das SG hätte ermitteln müssen.

Die Beschwerde ist aus diesen Gründen als unzulässig zu verwerfen. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1652530

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