Entscheidungsstichwort (Thema)
Frage nach Krankheitswert. Therapiemöglichkeiten und Behandlungsanspruch einzelner Leiden. keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung
Orientierungssatz
Es geht angesichts der Vielzahl der in der Medizin diskutierten Krankheitsbilder nicht an, die Frage nach dem Krankheitswert einzelner Leiden bzw nach den Therapiemöglichkeiten und dem Behandlungsanspruch für ein einzelnes Leiden in den Rang einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu heben (vgl BSG vom 19.10.2004 - B 1 KR 92/03 B).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 21.01.2003; Aktenzeichen L 5 KR 90/01) |
SG Köln (Urteil vom 09.05.2001; Aktenzeichen S 5 KR 121/99) |
Tatbestand
Die 1963 geborene, bei der beklagten Ersatzkasse versicherte Klägerin, die an Kiefergelenksbeschwerden leidet, begehrt die Erstattung der Kosten (16.893,49 DM) für die im Rahmen einer zahnärztlichen Behandlung in der Zeit von September 1997 bis Oktober 1998 durchgeführten funktionsanalytischen und funktionstherapeutischen Maßnahmen. Die Beklagte lehnte eine Kostenerstattung ab, da entsprechende Maßnahmen nicht mehr gewährt werden könnten. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) die Berufung der Klägerin in einer Entscheidung nach § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückgewiesen. Letzteres hat im Wesentlichen unter Bezugnahme auf das SG ausgeführt, dass seit 1. Januar 1997 die Regelung des § 28 Abs 2 Satz 8 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) die funktionalen Behandlungsmaßnahmen ausdrücklich ausschließe. Eine Kostenerstattung für die selbstbeschafften Leistungen scheide aus. Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden in Hinblick auf das weite Ermessen des Gesetzgebers nicht. Ein Gebot zu Gewährung von Sozialversicherungsleistungen in einem bestimmten Umfang lasse sich dem Grundgesetz nicht entnehmen (Beschluss vom 21. Januar 2003).
Die Klägerin legt gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG Beschwerde ein und beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung von Revisionszulassungsgründen.
Die von der Klägerin geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts - einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Zur "Darlegung" (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) der grundsätzlichen Bedeutung gehört es deshalb, dass in der Beschwerdebegründung eine Rechtsfrage klar formuliert und anhand der anwendbaren Normen unter Berücksichtigung der Rechtsprechung und ggf des Schrifttums aufgezeigt wird, dass diese Rechtsfrage noch nicht geklärt ist, weshalb aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts eine Klärung erforderlich ist und schließlich, dass das angestrebte Revisionsverfahren diese Klärung erwarten lässt, dh die aufgeworfene Rechtsfrage entscheidungserheblich ist (zum Ganzen: BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 mwN).
Die Beschwerde hält folgende Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam: "Ist die Norm des § 28 Abs 2 Satz 8 SGB V in der Weise verfassungskonform auszulegen, dass die funktionsanalytischen und -therapeutischen Maßnahmen dann die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen begründen, wenn sie die einzige Möglichkeit darstellen, ein myofaziales Schmerzdysfunktionssyndrom beider Kiefergelenke zu behandeln?"
Damit hat die Klägerin zwar eine konkrete Rechtsfrage bezeichnet; aus dem Vorbringen ergibt sich aber nicht hinreichend, dass die Frage klärungsbedürftig ist und über den Einzelfall hinausgeht. Die Frage nimmt Bezug auf bestimmte Erkrankungen im Kieferbereich. Es geht jedoch angesichts der Vielzahl der in der Medizin diskutierten Krankheitsbilder nicht an, die Frage nach dem Krankheitswert einzelner Leiden bzw nach den Therapiemöglichkeiten und dem Behandlungsanspruch für ein einzelnes Leiden in den Rang einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu heben (ähnlich schon zB Beschlüsse des Senats vom 20. Juli 2004 - B 1 KR 1/03 B und vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 92/03 B).
Überdies beruht die für grundsätzlich bedeutsame gehaltene Rechtsfrage auf der Prämisse, dass die Klägerin an einer Erkrankung leidet, die allein durch funktionsanalytische und funktionstherapeutische Maßnahmen behandelt werden kann. Das LSG hat jedoch zur bei der Klägerin bestehenden Krankheit und zur Frage, ob die begehrten Maßnahmen die einzige Behandlungsmöglichkeit darstellten, keine Feststellungen getroffen. Auch das vom LSG in Bezug genommene Urteil des SG hat diese Frage offen gelassen. Mit Rücksicht darauf und mangels erhobener Revisionsrügen gegen die (fehlenden) Feststellungen des LSG dürfte der Senat nach § 163 SGG die geltend gemachte Erkrankung nebst der Behandlungsnotwendigkeit mit den begehrten Maßnahmen im angestrebten Revisionsverfahren nicht zugrunde legen. Folglich wäre dort über die mit der Beschwerde aufgeworfene Frage nicht zu entscheiden.
Selbst wenn man aber annimmt, dass sich die Frage allgemein auf die verfassungsrechtlich gestützten Behandlungsansprüche eines Versicherten im Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung bei gesetzlich ausgeschlossenen Maßnahmen bezieht, fehlt es an dann weiter erforderlichen Darlegungen. Zum einen hat der Senat auch schon in anderem Zusammenhang im Bereich der Zahnerkrankungen Behandlungsansprüche abgelehnt und der Eigenverantwortung des Versicherten zugeordnet, selbst wenn keine Behandlungsalternativen bestanden (zB BSGE 88, 166, 171 = SozR 3-2500 § 28 Nr 5 S 29 ff, BSG SozR 3-2500 § 28 Nr 6 S 39 ff; BSG SozR 4-2500 § 28 Nr 2 RdNr 7, jeweils zur Versorgung mit Zahnimplantaten). Zum anderen geht die Beschwerde nicht auf die Rechtsprechung des BVerfG zu den nach ihrer Meinung in Frage kommenden Grundrechten und Verfassungsgrundsätzen ein und legt nicht dar, unter welchem konkreten Blickwinkel sich die Verfassungswidrigkeit ergeben sollte. Die pauschale Behauptung der Verfassungswidrigkeit - mit der sich der Senat im Zusammenhang mit ähnlichen Argumenten bei der Implantatversorgung im Übrigen ausführlich auseinandergesetzt hat - reicht für die Darlegung von Revisionszulassungsgründen nicht aus (BSG SozR 1500 § 160a Nr 11). Die Anforderungen an die Darlegungslast sind insofern nicht anders als bei Rechtsfragen des einfachen Rechts (Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 146 mwN).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen