Verfahrensgang
SG Braunschweig (Entscheidung vom 15.09.2021; Aktenzeichen S 12 VE 13/21) |
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 31.03.2022; Aktenzeichen L 10 VE 44/21) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 31. März 2022 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts zu bewilligen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im vorbezeichneten Urteil wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger, der seit vielen Jahren auf der Grundlage von § 63 Strafgesetzbuch psychiatrisch in wechselnden Krankenhäusern untergebracht ist, begehrt in der Hauptsache Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz.
Diesen Anspruch hat das LSG mit Urteil vom 31.3.2022 verneint, weil die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 15.9.2021 unzulässig sei. Der Kläger habe die einmonatige Berufungsfrist nach Zustellung der SG-Entscheidung laut Postzustellung am 18.9.2021 mit seinem am 21.10.2021 beim SG eingegangenen Schreiben vom 16.10.2021 versäumt. Gründe für eine Wiedereinsetzung habe der Kläger trotz Gelegenheit zur Stellungnahme nicht vorgetragen. Soweit er zum wiederholten Male die Richter des gesamten Senats als befangen abgelehnt habe, sei dieses Befangenheitsgesuch unzulässig.
Gegen diese Entscheidung des LSG hat der Kläger mit Schreiben vom 11.4.2022 Prozesskostenhilfe (PKH) für die Durchführung des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde beantragt und zugleich Beschwerde eingelegt. Das LSG habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Außerdem habe die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung. Ferner beantrage er die Verbindung mit dem beim BSG anhängigen Verfahren B 9 V 7/22 BH.
II
1. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens ist abzulehnen.
Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. An der erforderlichen Erfolgsaussicht fehlt es hier. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG) in der Lage wäre, die vom Kläger angestrebte Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich zu begründen.
Hinreichende Erfolgsaussicht hätte die Nichtzulassungsbeschwerde nur, wenn einer der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe mit Erfolg geltend gemacht werden könnte. Die Revision darf danach nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
Nach Durchsicht der Akten und der im PKH-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung fehlen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass ein vor dem BSG zugelassener Prozessbevollmächtigter einen der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe mit Erfolg darlegen oder bezeichnen könnte. Die Sache bietet keine Hinweise für eine über den Einzelfall des Klägers hinausgehende grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Solche Rechtsfragen stellen sich hier nicht. Auch ist nicht ersichtlich, dass das LSG entscheidungstragend von der Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG).
Schließlich fehlt ein ausreichender Anhalt dafür, dass ein die Revisionszulassung rechtfertigender Verfahrensmangel des LSG vorliegen könnte. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG (Anhörung eines bestimmten Arztes) und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Entsprechende Verfahrensmängel lassen sich weder der Begründung des PKH-Antrags des Klägers noch den Verfahrensakten entnehmen.
Soweit der Kläger geltend macht, es liege eine unzulässige und unwirksame "Ersatzzustellung" in der Klinik vor, in der er sich befinde, weil ihm die am Samstag, den 18.9.2021, eingegangene Entscheidung des SG erst am Montag, den 20.9.2021, ausgehändigt worden sei, rügt er als Verfahrensmangel sinngemäß, das LSG hätte in der Sache entscheiden müssen und keine Prozessentscheidung treffen dürfen. Dies trifft jedoch nicht zu. Nach § 151 Abs 1 SGG ist die Berufung bei dem LSG innerhalb eines Monats nach Zustellung der SG-Entscheidung schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist nach § 151 Abs 2 Satz 1 SGG auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem SG schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. Ausweislich der aktenkundigen Postzustellungsurkunde ist dem Kläger die Entscheidung des SG am 18.9.2021 zugestellt worden, was dem Kläger nach seinen eigenen Angaben bei Aushändigung der Unterlagen am folgenden Montag, den 20.9.2021, auch bewusst war. Deshalb war ihm ausweislich der dem Gerichtsbescheid angefügten Rechtsmittelbelehrung bekannt, dass die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung beim LSG oder SG einzulegen war. Aber selbst wenn nach dem Vortrag des Klägers die Zustellung erst am Montag, dem 20.9.2021, erfolgt sein sollte, hätte er mit seinem am 21.10.2021 beim SG eingegangenen Berufungsschreiben vom 16.10.2021 die Berufungsfrist versäumt. Dass es dem Kläger nicht möglich gewesen wäre, die Berufungsfrist zu wahren, ist nicht ersichtlich. Gründe für sein Versäumnis der rechtzeitigen Berufungseinlegung, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 SGG) rechtfertigen könnten, hat der Kläger auch gegenüber dem LSG trotz des dortigen Hinweises vom 1.2.2022 mit der Möglichkeit zur Stellungnahme nicht vorgetragen und sind im Übrigen auch nicht erkennbar.
Soweit der Kläger weiter beanstandet, sein Befangenheitsantrag sei zu Unrecht von den abgelehnten Richtern des LSG beschieden worden, mit der Folge, dass diese Richter an der angefochtenen Entscheidung nicht hätten beteiligt werden dürfen, hat er mit seinem Vorbringen den Verfahrensmangel einer Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) nicht dargetan.
Nach § 60 Abs 1 SGG iVm § 42 Abs 2 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Über das Ablehnungsgesuch entscheidet das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung (§ 60 Abs 1 SGG iVm § 45 Abs 1 ZPO). In der Rechtsprechung ist aber anerkannt, das abweichend von diesem Grundsatz und vom Wortlaut des § 45 Abs 1 ZPO der Spruchkörper ausnahmsweise in ursprünglicher Besetzung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters über unzulässige Ablehnungsgesuche in bestimmten Fallgruppen entscheidet. Hierzu zählen gänzlich untaugliche oder rechtsmissbräuchliche Ablehnungsgesuche. Eine Selbstentscheidung in diesen Fällen gerät mit der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 Satz 2 GG nicht in Konflikt, weil die Prüfung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters voraussetzt und deshalb keine Entscheidung in eigener Sache ist. Völlige Ungeeignetheit eines Ablehnungsgesuchs ist dann anzunehmen, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens selbst entbehrlich ist. Dies ist grundsätzlich nur dann der Fall, wenn das Ablehnungsgesuch für sich allein - ohne jede weitere Aktenkenntnis - offenkundig eine Ablehnung nicht zu begründen vermag. Ist hingegen ein - wenn auch nur geringfügiges - Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erforderlich, scheidet die Ablehnung als unzulässig aus; eine gleichwohl erfolgende Ablehnung durch den abgelehnten Richter selbst ist dann willkürlich. Über eine bloß formale Prüfung hinaus darf sich der abgelehnte Richter nicht durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe zum Richter in eigener Sache machen (stRspr; zB BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 11.3.2013 - 1 BvR 2853/11 - juris RdNr 30; BSG Beschluss vom 22.12.2021 - B 9 SB 42/21 B - juris RdNr 22; BSG Beschluss vom 7.12.2017 - B 5 R 208/17 B - juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 13.11.2017 - B 13 R 152/17 B - juris RdNr 13). Dass ausgehend von diesen höchstrichterlichen Maßstäben im vorliegenden Fall eines zum wiederholten Male gestellten Ablehnungsgesuchs gegen alle Richter die Entscheidung des LSG willkürlich ist, ist weder ersichtlich noch vom Kläger vorgetragen.
Schließlich ist nach dem Vortrag des Klägers und dem aktenkundigen Gang des Verfahrens keine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) und damit auch nicht gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens (Art 1 Abs 1, Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG; Art 19 Abs 4 GG; vgl BSG Beschluss vom 9.10.2012 - B 5 R 196/12 B - SozR 4-1500 § 67 Nr 10 RdNr 8 mwN) ersichtlich, weil das LSG durch Prozessurteil anstatt in der Sache entschieden hat. Der Kläger hatte im Verfahren hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet nur, dass der Kläger mit seinem Vortrag "gehört", nicht jedoch "erhört" wird. Die Gerichte werden durch Art 103 Abs 1 GG nicht dazu verpflichtet, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (BSG Beschluss vom 10.10.2017 - B 13 R 234/17 B - juris RdNr 6 mwN). Dass der Kläger das Urteil des LSG inhaltlich für unrichtig hält, kann nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 21.7.2020 - B 13 R 57/19 B - juris RdNr 5 mwN).
2. Entgegen dem Antrag des Klägers ist vorliegend eine Verbindung dieses Verfahrens mit dem Verfahren B 9 V 7/22 BH nicht angezeigt, weil im letztgenannten Verfahren der Gegenstand der Rechtsstreitigkeit ein anderer ist (vgl § 113 Abs 1 SGG).
3. Da dem Kläger keine PKH zusteht, kann er auch nicht die Beiordnung eines Rechtsanwalts beanspruchen (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
4. Die von dem Kläger selbst eingelegte Beschwerde ist unzulässig; sie entspricht nicht der gesetzlichen Form. Der Kläger konnte die Beschwerde, worauf in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils des LSG ausdrücklich hingewiesen worden ist, wirksam nur durch einen vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten einlegen lassen (§ 73 Abs 4 SGG).
5. Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15414116 |