Verfahrensgang
SG Oldenburg (Entscheidung vom 19.02.2021; Aktenzeichen S 14 VE 35/17) |
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 31.05.2022; Aktenzeichen L 10 VE 20/21) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Niedersächsischen Landessozialgerichts vom 31. Mai 2022 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts zu bewilligen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im vorbezeichneten Urteil wird als unzulässig verworfen.
Gründe
I
Der Kläger begehrt in der Hauptsache Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz.
Er ist seit vielen Jahren auf der Grundlage von § 63 Strafgesetzbuch psychiatrisch in wechselnden Krankenhäusern untergebracht und hat in der Vergangenheit zahlreiche Verfahren ua vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit betrieben. Hierzu gehörte das Verfahren L 10 VE 31/13 WA, dass das LSG mit Urteil vom 26.10.2017 entschieden hatte.
Im Dezember 2017 hat der Kläger Wiederaufnahme-, Nichtigkeits- und Restitutionsklage beim SG erhoben ua für den Fall, dass das LSG seinem Berufungsbegehren nicht entsprochen habe. Er habe mehrere Zustellungen des LSG aus dem Jahr 2017 noch nicht geöffnet und werde dies auch erst Mitte Januar 2018 tun.
Das SG hat die Klage unter Verweis auf die materielle Rechtskraft der LSG-Entscheidung abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 19.2.2021).
Die Berufung hat das LSG zurückgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch, das mit Urteil des LSG vom 26.10.2017 inzwischen rechtskräftig abgeschlossene Verfahren L 10 VE 31/13 WA wiederaufzunehmen und über die darin geltend gemachten Ansprüche erneut zu entscheiden. Die Voraussetzungen für die vom Kläger erhobene Nichtigkeits- und Restitutionsklage seien weder vorgetragen noch erfüllt (Urteil vom 31.5.2022).
Gegen diese Entscheidung des LSG hat der Kläger mit Schreiben vom 31.5.2022 Prozesskostenhilfe (PKH) für die Durchführung des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde beantragt und zugleich Beschwerde eingelegt. Das LSG habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt und gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter verstoßen. Außerdem habe die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung. Ferner beantrage er die Verbindung mit dem beim BSG anhängigen Verfahren B 9 V 4/22 BH.
II
1. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens ist abzulehnen.
Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. An der erforderlichen Erfolgsaussicht fehlt es hier. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG) in der Lage wäre, die vom Kläger angestrebte Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich zu begründen.
Hinreichende Erfolgsaussicht hätte die Nichtzulassungsbeschwerde nur, wenn einer der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe mit Erfolg geltend gemacht werden könnte. Die Revision darf danach nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
Nach Durchsicht der Akten und der im PKH-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung fehlen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass ein vor dem BSG zugelassener Prozessbevollmächtigter einen der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe mit Erfolg darlegen oder bezeichnen könnte. Die Sache bietet keine Hinweise für eine über den Einzelfall des Klägers hinausgehende grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Solche Rechtsfragen stellen sich hier nicht. Auch ist nicht ersichtlich, dass das LSG entscheidungstragend von der Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG).
Schließlich fehlt ein ausreichender Anhalt dafür, dass ein die Revisionszulassung rechtfertigenden Verfahrensmangel des LSG vorliegen könnte. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG (Anhörung eines bestimmten Arztes) und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Auch für einen solchen Verfahrensfehler fehlt jeder Anhaltspunkt. Soweit der Kläger beanstandet, sein Befangenheitsantrag sei zu Unrecht von den abgelehnten Richtern des LSG beschieden worden mit der Folge, dass diese Richter an der angefochtenen Entscheidung nicht hätten beteiligt werden dürfen, lässt dieses Vorbringen nicht darauf schließen, dass ein beigeordneter Prozessbevollmächtigter den Verfahrensmangel einer Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) dartun könnte.
Nach § 60 Abs 1 SGG iVm § 42 Abs 2 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Über das Ablehnungsgesuch entscheidet das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung (§ 60 Abs 1 SGG iVm § 45 Abs 1 ZPO). In der Rechtsprechung ist aber anerkannt, dass abweichend von diesem Grundsatz und vom Wortlaut des § 45 Abs 1 ZPO der Spruchkörper ausnahmsweise in ursprünglicher Besetzung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters über unzulässige Ablehnungsgesuche in bestimmten Fallgruppen entscheidet. Hierzu zählen gänzlich untaugliche oder rechtsmissbräuchliche Ablehnungsgesuche. Eine Selbstentscheidung in diesen Fällen gerät mit der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 Satz 2 GG nicht in Konflikt, weil die Prüfung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters voraussetzt und deshalb keine Entscheidung in eigener Sache. Völlige Ungeeignetheit eines Ablehnungsgesuchs ist dann anzunehmen, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens selbst entbehrlich ist. Dies ist grundsätzlich nur dann der Fall, wenn das Ablehnungsgesuch für sich allein - ohne jede weitere Aktenkenntnis - offenkundig eine Ablehnung nicht zu begründen vermag. Ist hingegen ein - wenn auch nur geringfügiges - Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erforderlich, scheidet die Ablehnung als unzulässig aus; eine gleichwohl erfolgende Ablehnung durch den abgelehnten Richter selbst ist dann willkürlich. Über eine bloß formale Prüfung hinaus darf sich der abgelehnte Richter nicht durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe zum Richter in eigener Sache machen (stRspr; zB BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 11.3.2013 - 1 BvR 2853/11 - juris RdNr 30; BSG Beschluss vom 22.12.2021 - B 9 SB 42/21 B - juris RdNr 22; BSG Beschluss vom 7.12.2017 - B 5 R 208/17 B - juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 13.11.2017 - B 13 R 152/17 B - juris RdNr 13). Dass ausgehend von diesen höchstrichterlichen Maßstäben im vorliegenden Fall eines zum wiederholten Male gestellten Ablehnungsgesuchs gegen alle Richter die Entscheidung des LSG willkürlich sein könnte, ist nicht ersichtlich.
Ebenso wenig ist ersichtlich, warum im Fall des Klägers ein gesetzlicher Wiederaufnahmegrund vorgelegen und das LSG die Vorschriften des § 179 Abs 1 und 2 SGG iVm §§ 579, 580 ZPO verletzt haben könnte.
2. Entgegen dem Antrag des Klägers ist vorliegend eine Verbindung dieses Verfahrens mit dem Verfahren B 9 V 4/22 BH nicht angezeigt, weil im letztgenannten Verfahren keine Entscheidung des LSG in der Sache vorliegt und somit der Gegenstand dieser Rechtsstreitigkeit ein anderer ist (vgl § 113 Abs 1 SGG).
3. Da dem Kläger keine PKH zusteht, kann er auch nicht die Beiordnung eines Rechtsanwalts beanspruchen (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
4. Die von dem Kläger selbst eingelegte Beschwerde ist unzulässig; sie entspricht nicht der gesetzlichen Form. Der Kläger konnte die Beschwerde, worauf in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils des LSG ausdrücklich hingewiesen worden ist, wirksam nur durch einen vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten einlegen lassen (§ 73 Abs 4 SGG).
5. Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Kaltenstein Ch. Mecke Röhl
Fundstellen
Dokument-Index HI15459392 |