Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. soziales Entschädigungsrecht. Gewaltopferentschädigung. Vernachlässigung eines Säuglings durch die Eltern. Unterernährung. unzureichende Pflege. seelische Misshandlung. tätlicher Angriff. fehlender Vorsatz. bindende Tatsachenfeststellung. sozialgerichtliches Verfahren. Verfahrensfehler. grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache. Darlegungsanforderungen
Orientierungssatz
1. Nicht jede Vernachlässigung von Kindern und jede missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, die das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet, kann als Gewalttat iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG angesehen werden (vgl BSG vom 17.4.2013 - B 9 V 3/12 R = USK 2013-34). Dies gilt insbesondere im Hinblick auf rein seelische Misshandlungen.
2. Hat das LSG - nach § 163 SGG bindend - festgestellt, dass die Eltern ihre Pflichten zu ausreichender Ernährung, Pflege und Zuwendung jedenfalls nicht vorsätzlich verletzt haben, fehlt es ohnehin an einem vorsätzlichen Angriff iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG.
3. Zu den Anforderungen an die Darlegung eines Verfahrensmangels (hier: Verletzung der Sachaufklärungspflicht) sowie der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache im Rahmen der Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde.
Normenkette
OEG § 1 Abs. 1 S. 1; BGB § 1631 Abs. 2, § 1666; StGB §§ 171, 223, 225 Abs. 1 Nr. 1; SGG § 160a Abs. 2 S. 3, § 160 Abs. 2 Nrn. 1, 3 Hs. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2, §§ 163, 103
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen vom 25. September 2014 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Der Kläger begehrt eine Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) wegen gesundheitlicher Schädigungen durch seine leiblichen Eltern in den ersten sechs Lebenswochen.
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Der am 2.1.2004 geborene Kläger wurde am 14.2.2004 notfallmäßig in eine kinderchirurgische Klinik eingeliefert und dort elf Tage stationär behandelt. Die Klinik stellte ua die Aufnahmediagnosen |
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dislozierte Oberarmschaftfraktur rechts |
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Verdacht auf Kindesmisshandlung |
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Blutergüsse an beiden Ohren |
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Mangelernährung und Austrocknung |
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Pilzbefall im Mund und Windeldermatitis. |
Das zuständige Jugendamt nahm den Kläger in Obhut und brachte ihn vorläufig in einer Pflegefamilie unter. Andere Pflegeeltern adoptierten den Kläger später.
Aufgrund der Vorkommnisse vom 14.2.2004 verurteilte das Amtsgericht (AG) Bielefeld den Vater des Klägers wegen einer "besonders rohen" Misshandlung von Schutzbefohlenen nach § 225 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte (Urteil vom 9.1.2006 - 10 Ls 45 1244/04 - 574/05). Nach den Feststellungen des AG hatte sein Vater den Kläger nachts aus dem Bett genommen und ihm, als er das schreiende Kind nicht beruhigen konnte, mit Schlägen den rechten Oberarm gebrochen sowie großflächige Blutergüsse an beiden Ohren zugefügt. Der junge Vater sei offensichtlich mit der Situation überfordert gewesen, habe sein Verhalten sichtlich bereut und sich schließlich mit der Adoption des Klägers einverstanden erklärt. Strafschärfend sei aber sein Verhalten und vor allem die besonders rohe Misshandlung zu berücksichtigen.
Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen die leibliche Mutter des Klägers wegen Verletzung ihrer Fürsorge- und Erziehungspflichten gemäß § 171 StGB hatte die Staatsanwaltschaft zuvor nach § 170 Abs 2 StPO eingestellt. Seine Mutter habe den Kläger nur aus Unwissenheit und Überforderung unzureichend gepflegt und versorgt; davon sei zu ihren Gunsten auszugehen.
Auf Antrag der Stadt N. als zwischenzeitlicher Vormund des Klägers erkannte der Beklagte bei dem Kläger dessen "Knochennarbe am rechten Oberarm" als Gesundheitsstörung an, die durch eine Schädigung iS von § 1 OEG hervorgerufen worden sei, jedoch keinen rentenberechtigenden Grad der Schädigungsfolgen (GdS) bedinge (Bescheid vom 5.3.2008).
Der dagegen mit Verweis auf den Entwicklungsrückstand des Klägers erhobene Widerspruch seiner Adoptiveltern blieb ebenso erfolglos wie das anschließende Klageverfahren vor dem SG, in dessen Verlauf die leiblichen Eltern des Klägers die Aussage verweigert hatten (Widerspruchsbescheid vom 17.6.2008, Urteil vom 25.5.2011).
Mit Berufungsurteil vom 25.9.2014 hat das LSG ebenfalls den Anspruch des Klägers abgelehnt, eine "einfache Aufmerksamkeitsstörung" als weitere Folge von Schädigungen durch seine Eltern anzuerkennen und den Beklagten dafür zu einer Zahlung einer Beschädigtenrente nach einem GdS von 40 zu verurteilen. Das LSG hat ausgeführt, den Schäden, die der Kläger im Säuglingsalter durch die Schläge seines Vaters erlitten habe, habe der Beklagte mit seinem Bescheid ausreichend Rechnung getragen. Die unzureichende Ernährung und Pflege durch seine Eltern erfüllten keinen Straftatbestand, insbesondere weder denjenigen der Körperverletzung nach § 223 Abs 1 StGB noch denjenigen einer böswilligen Vernachlässigung nach § 225 StGB. Wie die Begutachtung im familienrechtlichen Verfahren über den Sorgerechtsentzug ergeben habe, seien die Eltern des Klägers mit der Verantwortung für ihn hoffnungslos überfordert gewesen und hätten seine Bedürfnisse als Säugling überhaupt nicht erkennen können. Sie hätten ihn daher nicht vorsätzlich gesundheitlich geschädigt. Daher fehle es auch an einem vorsätzlichen tätlichen Angriff iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG.
Ebenfalls keinen tätlichen Angriff stelle die vorenthaltene emotionale Zuwendung und eine gefühllose Grundhaltung der Eltern gegenüber ihrem Kind dar. Das BSG habe es bislang abgelehnt, die erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs speziell in Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern auf andere Fallgruppen auszudehnen.
Selbst wenn man zudem von einem Angriff iS des § 1 OEG ausgehe, fehle es an dem erforderlichen Kausalzusammenhang. Es sei nicht wahrscheinlich, dass die Vernachlässigung des Klägers bis in die sechste Lebenswoche die Ursache für seine heute diagnostizierte Aufmerksamkeitsstörung sei.
Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger, das LSG habe die Amtsermittlungspflicht sowie seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, sei von der Rechtsprechung des BGH in Strafsachen abgewiesen und habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil sie keinen Zulassungsgrund ordnungsgemäß dargetan hat (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG), weder die behaupteten Verfahrensmängel (1.), noch die angebliche grundsätzliche Bedeutung (2.) oder eine Divergenz (3.).
1. Die behaupteten Verfahrensmängel hat die Beschwerde nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung dieses Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst substantiiert die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargetan werden.
a) Auf eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht aus § 103 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG dabei nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen, so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist.
Daran fehlt es hier. Soweit die Beschwerde dem LSG vorwerfen will, von Amts wegen zu wenig zu den Tatbestandsmerkmalen der Böswilligkeit und des Quälens iS von § 225 Abs 1 StGB ermittelt zu haben, kann sie mit dieser Rüge schon deshalb nicht durchdringen, weil sie insoweit keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag benannt hat.
Die Kritik der Beschwerde, das vom LSG herangezogene Gutachten aus dem familienrechtlichen Verfahren habe keinen Beweiswert für die Vorsatzproblematik, ein Schädigungsvorsatz der Eltern sei vielmehr zu bejahen, wendet sich gegen die Beweiswürdigung des LSG. Einen solchen Angriff auf die Beweiswürdigung schließt indes § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 Alt 1 SGG aus.
Dasselbe muss sich die Beschwerde entgegenhalten lassen, wenn sie vorträgt, entgegen der Ansicht der Berufungsinstanz reiche das im Verwaltungsverfahren erstellte Gutachten der Frau Dr. M. vom 2.2.2008 aus, um die Kausalität zwischen den derzeitigen psychischen Problemen des Klägers und seiner frühkindlichen Vernachlässigung nachzuweisen. Auch damit wendet sich die Beschwerde gegen die Beweiswürdigung des LSG, die sich indes gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 Alt 1 SGG der Nachprüfung durch das Revisionsgericht entzieht. Eigene Ermittlungen zu den entscheidungserheblichen Tatsachen sind dem Senat verwehrt; insbesondere die vom Kläger in seiner Nichtzulassungsbeschwerde benannten Zeugen kann er nicht anhören.
b) Ebenfalls nicht substantiiert dargelegt hat der Kläger die behauptete Verletzung rechtlichen Gehörs. Sie liegt vor, wenn das LSG seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 19 S 33) oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12 S 19). Zur erfolgreichen Rüge eines Gehörsverstoßes gehört auch die Darlegung, alles Mögliche und Zumutbare unternommen zu haben, um sich Gehör zu verschaffen.
Daran fehlt es. Soweit die Beschwerde dem LSG vorhält, es habe auf eine mündliche Verhandlung verzichtet, anstatt die Frage des Tatbestands der Böswilligkeit iS von § 225 Abs 1 StGB und des zugrunde liegenden Sachverhalts zu erörtern, legt sie nicht dar, warum der Kläger (bzw dessen Adoptiveltern bzw sein Prozessvertreter) gehindert gewesen sein sollte, zu diesem rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkt schriftlich vorzutragen und sich so rechtliches Gehör zu verschaffen. Das LSG hatte ihm zuvor mitgeteilt, es komme im Wesentlichen auf die Beantwortung bereits ausführlich erörterter Rechtsfragen an. Wie daraus unschwer zu entnehmen war, wollte sich das LSG hinsichtlich der tatsächlichen Fragen - vor allem zur Motivlage und zu einem eventuellen Schädigungsvorsatz der Eltern des Klägers - an den Feststellungen des SG sowie am Inhalt der von ihm beigezogenen Akten orientieren. Dem Prozessbevollmächtigten blieb es unbenommen, dazu weiter vorzutragen, gegebenenfalls auf eine mündliche Verhandlung zu bestehen und dort Beweisanträge zu stellen. Wie seine vom LSG in den Urteilsgründen umfassend wiedergegebene rechtliche und tatsächliche Argumentation zeigt, hat der Prozessbevollmächtigte die Gelegenheit zum Vortrag zudem genutzt. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet Gerichte im Übrigen nicht, sich den Vortrag der Beteiligten zu eigen zu machen.
Der Vorwurf der Beschwerde, entgegen den Ausführungen im Urteil des LSG hätten dem Kläger im damaligen Zeitpunkt gar keine Erkenntnisse zu unzureichender Ernährung, Pflege und emotionaler Zuwendung vorgelegen, verwundert. Das LSG hat seinem Urteil die tatsächlichen Feststellungen des SG und die von ihm beigezogenen Akten zugrunde gelegt. Beides kannte der Prozessbevollmächtigte des Klägers spätestens aus dem Urteil des SG. Zudem hat er bereits im Verwaltungsverfahren Akteneinsicht genommen.
2. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hat die Beschwerde ebenfalls nicht hinreichend substantiiert dargelegt.
Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, warum sie im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN).
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Diesen Anforderungen wird die vom Kläger aufgeworfene Frage, |
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"kann der Begriff des tätlichen Angriffs nach § 1 I 1 OEG unter besonderer Berücksichtigung des das OEG seit 01.07.2009 tragenden Prinzips des 'Grundsatzes der allgemeinen staatlichen Fürsorgepflicht' eine weite Auslegung erfahren, sodass die Vernachlässigung von Kindern bzw. Schutzbefohlenen dem Begriff des tätlichen Angriffs unterfällt", |
nicht gerecht. |
Dem vom Kläger gewählten Begriff der Vernachlässigung lässt sich bereits nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit entnehmen, welche Verhaltensweisen er unter den Begriff des vorsätzlichen, tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG gefasst sehen will.
Soweit es dem Kläger um die Frage geht, ob eine nach § 225 Abs 1 Alt 3 StGB strafbewehrte böswillige Vernachlässigung von Fürsorgepflichten einen Angriff iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG darstellen kann (bejahend SG Ulm Urteil vom 27.1.2000 - S 9 VG 1086/99), so könnte der Senat diese Frage in einem anschließenden Revisionsverfahren nicht klären, weil es darauf nicht ankäme. Die Eltern des Klägers haben diesen Straftatbestand nach den vom LSG festgestellten Tatsachen nicht verwirklicht. Diese Feststellungen binden den Senat nach § 163 SGG, weil der Kläger dagegen, wie ausgeführt, keine zulässigen Revisionsrügen erhoben hat.
Außerhalb des StGB ist der Wortsinn der Vernachlässigung von Kindern denkbar weit und unbestimmt. Im (insbesondere familien)rechtlichen Kontext, vgl § 1666 BGB, werden darunter körperliche ebenso wie seelische Einwirkungen verstanden, beide jeweils sowohl durch aktives Tun und vor allem durch pflichtwidriges Unterlassen in Form des Vorenthaltens eines Mindestmaßes an elterlicher Fürsorge und Zuwendung (vgl Heinz, ZfS 2004, 65 ff; ders ZfS 2000, 129 ff; vgl zur Frage eines Angriffs durch unechtes Unterlassen allgemein Rademacker in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 1 OEG RdNr 40 mwN). Welche dieser Begehungsweisen die Beschwerde mit der von ihr aufgeworfenen Fragen nach einer "gewaltlosen Vernachlässigung" bzw einem "eindeutig falschen Erziehungsverhalten" genau meint, erklärt sie nicht näher. Es ist aber nicht Aufgabe des Senats, den Beschwerdevortrag auszulegen, um eine eindeutige Rechtsfrage zu formulieren. Vielmehr wäre es an der Beschwerde gewesen, den von ihr gemeinten Begriff präzise abzugrenzen. Dabei hätte sie sich insbesondere in substantiierter Weise gründlicher mit dem von ihr lediglich pauschal kritisierten Senatsurteil (BSG Urteil vom 17.4.2013 - B 9 V 3/12 R - Juris; vgl auch BSGE 113, 205, 210) auseinandersetzen müssen. Danach kann gerade nicht jede Vernachlässigung von Kindern und jede missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, die das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet, als Gewalttat angesehen werden. Soweit Kinder Opfer körperlicher Gewalt ihrer Eltern werden, die die Erheblichkeitsschwelle überschreitet, liegt regelmäßig eine Körperverletzung iS des § 223 StGB und damit auch ein tätlicher Angriff nach § 1 Abs 1 S 1 OEG vor. Dies gilt auch nach der zitierten Senatsrechtsprechung jedoch nicht bei rein seelischen Misshandlungen (vgl Heinz, ZfS 2000, 129, 133 f). Wie der Senat auch in seiner jüngsten Rechtsprechung in anderem Zusammenhang nochmals betont hat, muss ein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG auf eine körperliche Einwirkung gerichtet sein; eine allein intellektuell vermittelte bzw psychische Einwirkung genügt demgegenüber nicht (Urteil vom 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R - Juris RdNr 27 für BSGE und SozR vorgesehen). Die gegen die Senatsrechtsprechung gerichtete Kritik, sie verkenne den das OEG seit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Opferentschädigungsgesetzes (3. OEGÄndG) tragenden Grundsatz der allgemeinen staatlichen Fürsorgepflicht, hat die Beschwerde nicht substantiiert untermauert. Zum einen lag der von der Beschwerde angeführten Gesetzesfassung keineswegs zum ersten Mal der Gedanke staatlicher Fürsorge zugrunde. Bereits die ursprüngliche Fassung des OEG hat der Gesetzgeber ua damit begründet, die Hilfe für Opfer von Gewalttaten entspreche der sozialen Fürsorge (BT-Drucks 7/4614 S 3). Seine Gesetzgebungskompetenz hat er ausdrücklich aus dem Begriff der öffentlichen Fürsorge in Art 74 Nr 7 GG im Sinne einer Hilfe bei - insbesondere wirtschaftlicher - Notlage (zum Begriff vgl Pieroth in Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl 2014, Art 74 RdNr 17 f mwN) abgeleitet, im OEG speziell angesichts der unverschuldeten und nicht selten existenziellen Not von Verbrechensopfern (Regierungsentwurf zum OEG, BT-Drucks 7/2506 S 12). Wen das OEG indes im Einzelnen zu den geschützten Personen zählt, lässt sich nicht anhand eines solchen allgemeinen gesetzgeberischen Ziels, sondern nur mithilfe der Subsumtion unter die Tatbestandsmerkmale der gesetzlichen Anspruchsnorm bestimmen. Daran hat das von der Beschwerde angeführte 3. OEGÄndG vom 25.6.2009 nichts geändert. Es hat lediglich den Kreis der möglichen Anspruchsberechtigten und den territorialen Anwendungsbereich des Gesetzes mit Verweis auf den das OEG seit jeher mitbestimmenden Gedanken der staatlichen Fürsorge in begrenztem Umfang erweitert, vgl jetzt §§ 1 Abs 6 Nr 1 sowie 3a OEG, um unbillige Härten zu vermeiden (vgl BT-Drucks 16/12273 S 5; Bundestag, Plenarprotokoll 16/211, S 22790). Nicht geändert hat der Gesetzgeber dagegen die entscheidungserhebliche Norm des § 1 Abs 1 S 1 OEG. Vielmehr hat er es beim Erfordernis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs als zentraler Anspruchsvoraussetzung der Opferentschädigung belassen. Die Beschwerde legt nicht dar, wie sich diese unzweideutige gesetzgeberische Entscheidung bei der Gesetzesanwendung derzeit mit dem Rückgriff auf einen allgemeinen Programmsatz wie die staatliche Fürsorge oder die UN-Kinderrechtskonvention überspielen lassen könnte. Dasselbe gilt für rechtspolitische Forderungen, wie sie offenbar der vom Kläger zitierte, bislang unveröffentlichte Beschluss der Arbeitsgruppe Soziales Entschädigungsrecht des deutschen Sozialrechtstages vom 20.11.2014 über "Reformbedarf: Vernachlässigung von Schutzbefohlenen als tätlicher Angriff i. S. v. § 1 OEG" enthält (Titel zitiert nach Beck-Online).
Soweit die Beschwerde in der bisherigen Auslegung des § 1 Abs 1 S 1 OEG durch das BSG einen Verstoß gegen Art 3 Abs 1 sowie Art 6 Abs 2 GG und einem darin enthaltenen staatlichen Schutzauftrag zu Gunsten von Kindern sehen will, reißt sie die von ihr behauptete verfassungsrechtliche Problematik lediglich an, ohne sie hinreichend substantiiert darzulegen. Wer mit der Nichtzulassungsbeschwerde einen Verfassungsverstoß geltend macht oder sich auf die Verfassungswidrigkeit der höchstrichterlichen Auslegung einer Vorschrift beruft, darf sich dabei aber nicht auf die bloße Benennung angeblich verletzter Rechtsgrundsätze beschränken. Vielmehr muss der Beschwerdeführer unter Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und des BSG zu den gerügten Verfassungsnormen bzw -prinzipien in substantieller Argumentation darlegen, welche gesetzlichen Regelungen welche Auswirkungen haben und woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. Hierzu müssen der Bedeutungsgehalt der infrage stehenden einfach gesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe der jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verletzung der konkreten Regelung des Grundgesetzes im Einzelnen dargelegt werden. Dabei ist aufzuzeigen, dass der Gesetzgeber die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten und in willkürlicher Weise verletzt hat (Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG, § 160a RdNr 58 mwN). Eine solche gründliche Erörterung insbesondere der höchstrichterlichen und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung lässt die Beschwerde vermissen. Zudem geht sie auch nicht darauf ein, dass der Gesetzgeber im Rahmen seines weiten Gestaltungsermessens seine Schutzpflicht für Kinder auf verschiedene Weise erfüllen kann und nicht an jede Rechtsverletzung bzw jede Unvollkommenheit staatlichen Handels einen Entschädigungsanspruch nach dem OEG knüpfen muss.
Wie das LSG schließlich - für den Senat wiederum nach § 163 SGG bindend - festgestellt hat, haben die Eltern des Klägers ihre Pflichten zu ausreichender Ernährung, Pflege und Zuwendung ihm gegenüber jedenfalls nicht vorsätzlich verletzt. Da somit der für einen Angriff iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut unabdingbare Vorsatz fehlt, könnte die vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage im Revisionsverfahren ohnehin nicht geklärt werden, weil sie nicht entscheidungserheblich ist.
Wollte der Kläger schließlich unter dem Begriff der Vernachlässigung auch fahrlässige Verhaltensweisen verstanden wissen, so widerspräche dies dem Wortlaut des § 1 Abs 1 S 1 OEG, der eine vorsätzliche Begehungsweise verlangt und insoweit keine andere Auslegung zulässt. Insoweit ließe sich die für grundsätzlich gehaltene Frage des Klägers schon eindeutig anhand des Gesetzestextes verneinen und bräuchte deshalb im Revisionsverfahren nicht mehr geklärt zu werden.
Unabhängig vom Vorstehenden hat der Kläger zudem nicht dargelegt, warum es für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits auf die Beantwortung der von ihm aufgeworfenen Rechtsfragen überhaupt ankommt (Klärungsfähigkeit) (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 5 RdNr 3 mwN). Das LSG hat die Berufung des Klägers auch deshalb zurückgewiesen, weil, selbst das Vorliegen eines Angriffs iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG unterstellt, der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen einem solchen Angriff auf den Kläger in den ersten sechs Lebenswochen und der bei ihm heute diagnostizierten Aufmerksamkeitsstörung fehle. An die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen und die darauf gestützte Beweiswürdigung des LSG ist der Senat nach § 163 SGG gebunden. Wie ausgeführt greifen die Verfahrensrügen, die der Kläger dagegen erhoben hat, nicht durch.
3. Auch die Voraussetzungen für eine Divergenz hat die Beschwerde nicht dargelegt. Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung von einer Entscheidung des BGH in Strafsachen, wie sie die Beschwerde vorträgt, genügt dafür nach dem klaren Gesetzeswortlaut nicht.
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen