Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsweg. Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit bei Klage eines Anbieters von Unterkünften gegen den Leistungsträger auf Erstattung von Kosten für die Unterbringung von Asylbewerbern. mehrere, verschiedenen Rechtswegen zugeordnete Anspruchsgrundlagen. Entscheidung durch das angerufene Gericht. Grenze der Dispositionsbefugnis der Beteiligten. keine Berücksichtigung von offensichtlich abwegigen Anspruchsgrundlagen
Orientierungssatz
1. In Fällen, in denen der Klageanspruch bei identischem Streitgegenstand auf mehrere, verschiedenen Rechtswegen zugeordnete (auch tatsächliche und rechtlich selbständige) Anspruchsgrundlagen gestützt ist, ist das angerufene Gericht nach § 17 Abs 2 S 1 GVG zur Entscheidung über sämtliche Klagegründe verpflichtet, sofern nur der Rechtsweg für einen von ihnen gegeben ist (vgl BGH vom 28.2.1991 - III ZR 53/90 = BGHZ 114, 1).
2. Dies darf aber nicht dazu führen, dass der Rechtsweg vollständig zur Disposition der Beteiligten steht. Anspruchsgrundlagen, die offensichtlich nicht gegeben sind bzw erkennbar vom Rechtssuchenden nur mit dem Ziel geltend gemacht werden, einen bestimmten Rechtsweg beschreiten zu können, haben bei der Prüfung außer Betracht zu bleiben (vgl BVerwG vom 15.12.1992 - 5 B 144/91 = Buchholz 300 § 17a GVG Nr 5).
Normenkette
GVG § 17a Abs. 2, §§ 13, 17 Abs. 2 S. 1; SGG § 51 Abs. 1 Nr. 6a; AsylbLG § 3
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin werden die Beschlüsse des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 30. September 2016 und des Sozialgerichts Berlin vom 15. August 2016 aufgehoben. Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist zulässig.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und des Verfahrens der weiteren Beschwerde trägt der Beklagte.
Der Streitwert wird auf 39 660 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Im Streit ist im Rahmen eines Zwischenverfahrens die Zulässigkeit des von der Klägerin beschrittenen Rechtswegs zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit.
Die Klägerin betreibt seit Juli 2015 eine Unterkunft für Asylbewerber. Sie begehrt mit ihrer beim Sozialgericht (SG) Berlin erhobenen Klage für erbrachte Unterbringungsleistungen für Asylbewerber von dem Beklagten die Zahlung von 198 300 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit. Zur Begründung hat sie Bezug genommen auf von ihr erstellte Abrechnungen für die Unterbringung von Asylbewerbern für regelmäßig 50 Euro pro Person und Nacht, die sie auf der Grundlage der ihr von Asylbewerbern übergebenen Kostenübernahmeerklärungen des Beklagten aufgestellt und die der Beklagte bisher nur zum Teil beglichen habe.
Das SG hat nach Anhörung der Beteiligten den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Berlin verwiesen (Beschluss vom 15.8.2016). Die dagegen von der Klägerin eingelegte Beschwerde hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg zurückgewiesen (Beschluss vom 30.9.2016). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, dass keine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) nach § 51 Abs 1 Nr 6a Sozialgerichtsgesetz (SGG) gegeben sei, sondern eine zivilrechtliche Streitigkeit nach § 13 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Die Klägerin begehre die Zahlung offener Rechnungen aus Miet- und Beherbergungsverträgen, deren Begleichung wegen der gegenüber den Asylbewerbern erteilten Kostenübernahmeerklärungen von dem Beklagten verlangt werde. Die rechtliche Konstellation in Fällen wie dem vorliegenden sei vergleichbar mit derjenigen des sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses im Bereich des Leistungserbringungsrechts der Sozialhilfe. Zwar fehle es hier an einer öffentlich-rechtlichen Vertragsbeziehung zwischen Leistungserbringer und Leistungsträger; das AsylbLG enthalte auch keine den §§ 75 ff Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) vergleichbare Vorschriften oder nehme sie in Bezug. Wenn aber nicht einmal die öffentlich-rechtliche Überlagerung des Rechtsverhältnisses zwischen Leistungserbringer und Leistungsträger in der Sozialhilfe dazu führe, dass die Zahlungsansprüche des Leistungserbringers gegenüber dem Leistungsträger öffentlich-rechtliche seien, dann gebe es hierfür erst Recht keinen zwingenden Grund, wenn es an entsprechenden öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen fehle.
Dagegen hat die Klägerin die vom LSG zugelassene weitere Beschwerde eingelegt.
II. Die weitere Beschwerde (§ 17a Abs 4 Satz 4 GVG) ist zulässig und in der Sache begründet. Die Vorinstanzen haben zu Unrecht den Rechtsweg zu den Zivilgerichten für eröffnet angesehen. Für den vorliegenden Rechtsstreit sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zuständig.
Nach § 51 Abs 1 Nr 2 Halbsatz 1 SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten ua in Angelegenheiten der Asylbewerberleistungen (§ 51 Abs 1 Nr 6a SGG). Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich, wenn es - wie hier - an einer ausdrücklichen Sonderzuweisung fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Dieser Grundsatz bestimmt die Auslegung sowohl von § 13 GVG (Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten) als auch von § 51 Abs 1 SGG (Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit). Die Abgrenzung muss von der Sache her getroffen werden. Ausgangspunkt für die Prüfung ist deshalb die Frage, welcher Art das Klagebegehren nach dem zugrunde liegenden Sachverhalt ist (stRspr; vgl etwa BSG SozR 4-3500 § 75 Nr 5; BSG SozR 4-1720 § 17a Nr 3 RdNr 9 mwN). Deshalb ist entscheidend darauf abzustellen, ob der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt für die aus ihm hergeleitete Rechtsfolge von Rechtssätzen des Zivil- oder des Sozialrechts geprägt wird (vgl BSG SozR 4-1500 § 51 Nr 14 RdNr 15). Die in dieser Weise vorzunehmende Abgrenzung weist das Streitverhältnis in diejenige Verfahrensordnung, die ihm nach der gesetzgeberischen Wertung in der Sache am besten entspricht, und bewirkt zugleich, dass regelmäßig diejenigen Gerichte anzurufen sind, die durch ihre Sachkunde und Sachnähe zur Entscheidung über den in Frage stehenden Anspruch besonders geeignet sind (vgl BSG SozR 4-1300 § 116 Nr 1 RdNr 8; BSG SozR 4-1500 § 51 Nr 6 Hausverbot für die Räume des Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende gegenüber einem Leistungsempfänger; BGHZ 89, 250, 252; BSG SozR 4-1720 § 17a Nr 3).
Hiervon ausgehend ist die vorliegende Streitigkeit eine öffentlich-rechtliche in Angelegenheiten der Asylbewerberleistungen. Die Klägerin macht einen Anspruch auf "Erstattung" von Kosten für die Unterbringung von Asylsuchenden geltend. Diesen Anspruch leitet sie laut Klagebegründung aus Kostenübernahmeerklärungen des Beklagten ab. Die Klägerin geht ersichtlich davon aus, dass es sich insoweit um sie unmittelbar berechtigende hoheitliche Akte des Beklagten handele, die ihre Grundlage im Asylbewerberleistungsrecht haben.
Ob daneben oder anstelle dessen nicht (vielmehr) ein Anspruch zivilrechtlicher Natur die geltend gemachte Zahlung der Klägerin zu stützen vermöchte, weil die Erklärung der Sache nach als Schuldbeitritt zu einer zivilrechtlichen Schuld der Asylbewerber gegenüber der Klägerin zu qualifizieren sein könnte, steht der Richtigkeit des Sozialrechtswegs nicht entgegen. In solchen Fällen, in denen der Klageanspruch bei identischem Streitgegenstand auf mehrere, verschiedenen Rechtswegen zugeordnete (auch tatsächlich und rechtlich selbstständige) Anspruchsgrundlagen gestützt ist, ist das angerufene Gericht nach § 17 Abs 2 Satz 1 GVG zur Entscheidung über sämtliche Klagegründe verpflichtet, sofern nur der Rechtsweg für einen von ihnen gegeben ist (stRspr seit BGHZ 114, 1). Damit nimmt der Gesetzgeber seit der Novellierung von § 17 Abs 2 Satz 1 GVG zum 1.1.1991 durchaus gewisse Zufälligkeiten hin, die sich aus dem Vortrag der Klägerin und weiteren Besonderheiten des Einzelfalls ergeben (vgl Bundesverwaltungsgericht ≪BVerwG≫ Beschluss vom 30.4.2002 - 4 B 72/01 - NJW 2002, 2894; vgl dazu auch schon BSG SozR 4-3500 § 75 Nr 5).
Dies darf zwar nicht dazu führen, dass der Rechtsweg vollständig zur Disposition der Beteiligten steht. Anspruchsgrundlagen, die offensichtlich nicht gegeben sind bzw erkennbar vom Rechtsuchenden nur mit dem Ziel geltend gemacht werden, einen bestimmten Rechtsweg beschreiten zu können, haben bei der Prüfung des Rechtswegs außer Betracht zu bleiben (vgl etwa BVerwG Buchholz 300 § 17a GVG Nr 5). Der Vortrag der Klägerin ist hier aber nicht zielgerichtet zur Begründung allein des Rechtswegs erfolgt und auch nicht offensichtlich haltlos (vgl Ladage, SGb 2013, 553, 556; Eicher, SGb 2013, 127, 131). Es ist nicht abwegig, die "Kostenübernahmeerklärung" eines Leistungsträgers gegenüber einem Vermieter als (abstraktes) Schuldanerkenntnis zu qualifizieren.
So hat das BSG etwa im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in einer (vorbehaltlosen) Kostenübernahmeerklärung gegenüber dem Leistungserbringer ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis gesehen, mit dem die Krankenkasse ihre Zahlungspflicht dem Grunde nach anerkenne (BSGE 86, 166 = SozR 3-2500 § 112 Nr 1). Im Falle eines durch einen Vermieter geltend gemachten Zahlungsanspruchs aus einer an ihn gerichteten Erklärung des Sozialhilfeträgers hat das BVerwG die Richtigkeit des Verwaltungsrechtswegs ausdrücklich bejaht (BVerwGE 96, 71, 77). Die zivilrechtliche Qualifizierung des hier geltend gemachten Anspruchs liegt jedenfalls nicht näher als die Qualifizierung als öffentlich-rechtliches Schuldanerkenntnis. Anderes gilt in der hier nicht vorliegenden Konstellation eines aus den Vorschriften des 10. Kapitels des SGB XII entwickelten sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses, in denen regelmäßig der Rechtsweg zu den Sozialgerichten nicht mehr begründet werden kann, weil die "Kostenübernahme" hier im Regelfall als Schuldbeitritt zu einer zivilrechtlichen Schuld zu qualifizieren ist (BSG SozR 4-3500 § 75 Nr 5).
Die - im Verfahren über eine Rechtswegbeschwerde grundsätzlich erforderliche (BSG SozR 4-1500 § 51 Nr 6 RdNr 19, 20; BSG SozR 4-1500 § 51 Nr 13) - Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 52 Abs 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Es erscheint angemessen, für die Vorabentscheidung über den Rechtsweg von einem Fünftel des Wertes des geltend gemachten Anspruchs auszugehen (vgl BSG SozR 4-1500 § 51 Nr 4 RdNr 85; BSG Beschluss vom 29.7.2014 - B 3 SF 1/14 R RdNr 18 - insoweit nicht in SozR 4-1500 § 51 Nr 13 abgedruckt). Dies ergibt einen Wert von 39 660 Euro.
Fundstellen
Haufe-Index 11385772 |
NZS 2018, 119 |