Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 08.04.1999; Aktenzeichen L 4 KR 124/96)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. April 1999 wird zurückgewiesen. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die beklagte Krankenkasse teilte dem bei ihr freiwillig versicherten Kläger, einem 1924 geborenen freiberuflich tätigen Rechtsanwalt, mit Bescheiden vom 28. August 1995 mit, daß seine Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab 1. Juli 1995 nach beitragspflichtigen Einnahmen in Höhe von 2.801,52 DM zu bemessen seien. Der Beitragsbemessung legte sie die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung sowie aus Kapitalvermögen zugrunde. Der Verlust aus freiberuflicher Tätigkeit sei mit 0,00 DM anzusetzen. Die Beiträge beliefen sich auf 379,02 DM monatlich. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und zahlte Beiträge nur in Höhe von 183,54 DM monatlich entsprechend den gesetzlich festgelegten Mindesteinnahmen des § 240 Abs 4 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V). Er habe Verluste aus seiner freiberuflichen Tätigkeit. Nach dem seit 1989 geltenden Recht habe die Beitragsbelastung der freiwilligen Mitglieder die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen; danach müsse zwischen den verschiedenen Einnahmearten ein Verlustausgleich stattfinden. Die gegenteilige Rechtsprechung zum früheren Recht sei nicht mehr anzuwenden. Die Beklagte wies den Kläger mit Schreiben vom 16. November 1995 darauf hin, daß nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23. Februar 1995 (BSGE 76, 34 = SozR 3-2500 § 240 Nr 19) auch nach geltendem Recht der sog vertikale Verlustausgleich zwischen Einnahmearten ausgeschlossen sei; sie betrachte den Widerspruch daher als erledigt.

Mit Formschreiben vom 3. Januar 1996 „Letzte Zahlungsaufforderung vor Beendigung der Mitgliedschaft” forderte die Beklagte den Kläger auf, die rückständigen Beiträge bis zum 15. des Monats zu zahlen. Andernfalls müsse sie mit Ablauf dieses Tages die Mitgliedschaft beenden (§ 191 Nr 3 SGB V). Auf der Rückseite des Schreibens war der Text dieser Vorschrift wiedergegeben, wonach die freiwillige Mitgliedschaft endet mit Ablauf des nächsten Zahltages, wenn für zwei Monate die fälligen Beiträge trotz Hinweises auf die Folgen nicht entrichtet wurden. Der Kläger zahlte nicht. Daraufhin teilte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 24. Januar 1996 „Beendigung Ihrer Mitgliedschaft zum 15.01.96 – Beitragsbescheid” mit, sie habe die Mitgliedschaft zum 15. Januar 1996 beenden müssen. Sie listete die Beitragsrückstände für die Zeit vom 1. Juli 1995 bis 15. Januar 1996 auf, insgesamt 1.205,62 DM. Den Widerspruch des Klägers gegen die Höhe der Beiträge und die Beendigung der Mitgliedschaft wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 22. April 1996).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage gegen die Beitragshöhe abgewiesen, der Klage gegen die Beendigung der Mitgliedschaft stattgegeben. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufungen des Klägers und der Beklagten gegen diese Entscheidung zurückgewiesen. Die Beklagte habe die Beiträge zutreffend berechnet. Die Voraussetzungen für die Beendigung der Mitgliedschaft lägen jedoch nicht vor. Die Beklagte habe erstmals im Mahnschreiben vom 3. Januar 1996 auf die Rechtsfolgen des § 191 Nr 3 SGB V hingewiesen. Die gesetzte Zahlungsfrist sei unverhältnismäßig kurz und habe nicht zur Beendigung der Mitgliedschaft zum 15. Januar 1996 geführt. Dem Kläger sei nach Erhalt des Schreibens erst am 9. Januar 1996 nicht ausreichend Gelegenheit geblieben, die Beiträge noch zu zahlen. Der Bescheid vom 24. Januar 1996 sei kein tauglicher Hinweis iS des § 191 Nr 3 SGB V, weil er erst nach dem angenommenen Ende der Mitgliedschaft zum 15. Januar 1996 ergangen sei. Außerdem sei der Bescheid rechtswidrig und aufzuheben, weil der darin genannte letzte bereits fällige Beitrag derjenige für Dezember 1995 gewesen sei. Zahltag hierfür sei der 15. Januar 1996 gewesen; die Mitgliedschaft hätte danach erst am 15. Februar 1996 enden können.

Beide Beteiligte haben Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG eingelegt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Beschwerden führen nicht zur Zulassung der Revision.

Die Beschwerde der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. Die Beklagte macht als Zulassungsgrund die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫). Sie hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, wie der Zeitraum bemessen sein muß, um als unverhältnismäßig kurz zu gelten, und ob von einer zu kurzen Zahlungsfrist dann überhaupt die Rede sein kann, wenn der Zahlungspflichtige die Frist nicht etwa unverschuldet überschreitet, sondern schlicht mißachtet. Außerdem ergebe sich aus den Ausführungen des LSG zu dem Bescheid vom 24. Januar 1996 die grundsätzliche Rechtsfrage, ob ein Bescheid, der wie in diesem Fall deklaratorischen Charakter habe, weil auf die gesetzliche Folge des weiteren Zahlungsverzugs bereits mit Mahnschreiben vom 3. Januar 1996 hingewiesen worden sei, vor Beendigung der Mitgliedschaft erteilt werden kann.

Die aufgeworfenen Fragen haben keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie in dem angestrebten Revisionsverfahren teilweise nicht klärungsbedürftig und teilweise nicht klärungsfähig wären. Der Senat hat nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck des § 191 Nr 3 SGB V keinen Zweifel daran, daß dem Mitglied zwischen dem Hinweis auf die Rechtsfolgen im Sinne dieser Vorschrift und der Beendigung der Mitgliedschaft eine Nachfrist gesetzt werden muß, die so zu bemessen ist, daß sie zur Zahlung der rückständigen Beiträge noch eine reale, wenn auch zeitlich knapp bemessene Chance bietet. Anders könnte der Hinweis seine Warnfunktion nicht erfüllen. Das LSG hat die von der Beklagten für die Zahlung der rückständigen Beiträge gesetzte Nachfrist hier aufgrund der Verhältnisse des Einzelfalles zutreffend als unverhältnismäßig kurz angesehen (Erhalt des Hinweisschreibens am 9. Januar 1996, Fristablauf am Montag, dem 15. Januar 1996). Die Frage, welche Frist im Rahmen des Hinweises nach § 191 Nr 3 SGB V generell angemessen ist, wäre nach der Überzeugung des Senats unter diesen besonderen Verhältnissen in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht näher klärungsfähig.

Nach dem Regelungszweck dieser Vorschrift ist auch ausgeschlossen, daß die Nachfrist kürzer bemessen sein oder ganz entfallen könnte, wenn das Mitglied „die Frist nicht etwa unverschuldet überschreitet, sondern schlicht mißachtet”. Für die Angemessenheit der Frist sind die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Hinweises maßgebend, nicht diejenigen zur Zeit ihres Ablaufs. Ebenso sind die Gründe unbeachtlich, die das Mitglied dazu bewogen haben, sie verstreichen zu lassen.

Die Frage, ob ein die Beendigung der Mitgliedschaft feststellender Bescheid vor diesem Zeitpunkt ergehen kann, stellt sich nach den Gründen der Entscheidung des LSG nicht. Denn das LSG hat den Bescheid vom 24. Januar 1996 nicht, wie die Beklagte insoweit meint, für rechtswidrig gehalten, weil er nach dem angenommenen Ende der Mitgliedschaft ergangen ist, sondern weil er nicht geeignet war, anstelle des Schreibens vom 3. Januar 1996 den Hinweis nach § 191 Nr 3 SGB V zu geben und gleichzeitig die Beendigung der Mitgliedschaft schon zum 15. Januar 1996 festzustellen.

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt schon deshalb nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil sie keinen der in § 160 Abs 2 Nrn 1 bis 3 SGG abschließend aufgeführten Gründe für die Zulassung der Revision bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Der Senat vermag ihr im übrigen keine Gesichtspunkte zu entnehmen, die eine Überprüfung seiner in der Beschwerdebegründung nicht behandelten Rechtsprechung nahelegen könnten, nach der ein Verlustausgleich unter den verschiedenen, bei freiwilligen Mitgliedern beitragspflichtigen Einnahmearten (vertikaler Verlustausgleich) nach den Vorgaben des § 240 Abs 1 und 2 SGB V unzulässig ist (vgl BSGE 76, 34 = SozR 3-2500 § 240 Nr 19). Im übrigen sieht der Senat gemäß § 160a Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG von einer Begründung ab.

Hiernach war die Beschwerde der Beklagten (als unbegründet) zurückzuweisen, die Beschwerde des Klägers war als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175273

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