Leitsatz (amtlich)
Hat bei einem Übergangsfall nach SGG § 215 Abs 8 ein Oberversicherungsamt in erster Instanz entschieden, so ist die Streitsache auf das Landessozialgericht des Landes übergegangen, in dem das Oberversicherungsamt seinen Sitz hat.
Normenkette
SGG § 215 Abs. 8 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Celle vom 9. Juni 1954 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.
Gründe
Das angefochtene Urteil ist der Klägerin am 30. Juni 1954 zugestellt worden; die Revision ist durch ihren Prozeßbevollmächtigten - Leiter der Abteilung Rechtsberatung der Arbeiterkammer Bremen - am 5. März 1955 eingelegt und zunächst in der Revisionsschrift durch Bezugnahme auf einen von der Klägerin selbst gefertigten und dem Bundessozialgericht (BSG.) übersandten Schriftsatz vom 25. Juli 1954, sodann am 6. April 1955 durch einen vom Prozeßbevollmächtigten unterzeichneten Schriftsatz vom 4. April 1955 begründet worden.
Die Revision ist fristgerecht eingelegt und begründet; denn im vorliegenden Streitfall war nach § 66 Abs. 2 SGG die Einlegung der Revision innerhalb eines Jahres seit Zustellung des angefochtenen Urteils zulässig, weil die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils in mehrfacher Hinsicht - kein Hinweis auf den Vertretungszwang und das Erfordernis des "bestimmten Antrags" - nicht den Anforderungen des § 66 Abs. 1 SGG genügte (vgl. BSG. 1 S. 194 und 227). Hingegen bestehen Bedenken gegen die Form der Einlegung und Begründung der Revision. Es ist zweifelhaft, ob die Arbeiterkammer Bremen im Hinblick auf ihre öffentlich-rechtliche Stellung und ihr umfassendes Aufgabengebiet als eine "selbständige Vereinigung von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung" im Sinne des § 166 Abs. 2 SGG und ihr Abteilungsleiter daher als für das Verfahren vor dem BSG. zugelassener Prozeßbevollmächtigter angesehen werden kann. Ferner ist fraglich, ob die Verfahrensmängel, die nur in dem vom Prozeßbevollmächtigten der Klägerin summarisch in Bezug genommenen Schriftsatz der Klägerin vom 25. Juli 1954 gerügt worden sind, als formrichtig vorgetragen gelten können. Der Senat kann diese Fragen offen lassen, da die Revision schon deshalb unzulässig ist, weil sie aus anderen Gründen nicht statthaft ist. Da das Landessozialgericht (LSG.) die Revision nicht zugelassen hat, wäre sie nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wäre (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Die in dieser Hinsicht von der Klägerin vorgetragenen Rügen sind jedoch nicht schlüssig.
Daß das angefochtene Urteil nur von den drei Berufsrichtern, nicht aber von den beiden Landessozialrichtern, die bei der Beratung und Entscheidung mitgewirkt haben, unterschrieben ist, entspricht der Vorschrift des § 153 Abs. 2 SGG (vgl. BSG. 1 S. 1). Auch die Rüge, nicht das LSG. Celle, sondern das LSG. Bremen sei für die Entscheidung des Rechtsstreits örtlich zuständig gewesen, ist rechtlich nicht haltbar. Die Streitsache war am 1. Januar 1954 beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg anhängig; den Übergang der bei den Verwaltungsgerichten des zweiten Rechtszugs rechtshängigen Sachen auf die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit regelt § 215 Abs. 8 SGG. Wenn diese Vorschrift von dem Übergang "auf die Landessozialgerichte" spricht, so meint sie - nicht anders wie in § 215 Abs. 3 SGG, wo dies klar zum Ausdruck kommt - die zuständigen Landessozialgerichte, auf die die Sachen als Berufungen übergehen. Über die örtliche Zuständigkeit der Berufungsgerichte enthält das SGG keine ausdrückliche Regelung. Sie ergibt sich als abgeleitete - funktionelle - Zuständigkeit aus dem Instanzenzug; nach dem Gerichtsstand des Gerichts des ersten Rechtszugs richtet sich die Zuständigkeit des höheren Gerichts. In einem Überleitungsfall nach Art des vorliegenden, in dem ein Sozialgericht nicht tätig gewesen ist, kann daher die Zuständigkeitsfrage nur danach beurteilt werden, welches Oberversicherungsamt (OVA.) in erster Instanz entschieden hat; läßt das SGG auch die Frage offen, ob die Spruchkammern der Oberversicherungsämter als Gerichte entschieden haben, so behandelt dieses Gesetz doch im Rahmen der Überleitungsregelung des § 215 SGG die Entscheidungen der Oberversicherungsämter wie gerichtliche Entscheidungen (vgl. die unterschiedliche Regelung der Absätze 6 und 7 des § 215). Im Streitfall hat das OVA. Hannover entschieden. Das LSG. Celle hat sich daher zu Recht als örtlich zuständig betrachtet. Bei dieser Sach- und Rechtslage kann der Senat die Frage dahingestellt lassen, ob die Revision nach § 549 Abs. 2 in Verbindung mit § 202 SGG überhaupt auf die Rüge der örtlichen Unzuständigkeit des Berufungsgerichts gestützt werden kann.
Soweit die Revision rügt, daß das angefochtene Urteil nicht über den Anspruch der Klägerin auf Witwenrente aus der Angestelltenversicherung entschieden hat, steht das Vorbringen in Widerspruch zum Inhalt der angefochtenen Entscheidung. Das LSG. hat die Klägerin mit diesem Anspruch abgewiesen, "weil der verstorbene Ehemann nicht angestelltenversicherungspflichtig beschäftigt war und auch keine Beiträge zur Angestelltenversicherung geleistet hat." Die Rüge geht daher fehl.
Im übrigen greift die Revision - insbesondere mit ihren Ausführungen zur Verfassungsmäßigkeit des § 21 Abs. 5 des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes - die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegende sachlich-rechtliche Auffassung des Berufungsgerichts an. Eine Nachprüfung des Urteils in dieser Hinsicht ist jedoch dem Revisionsgericht verwehrt, weil die Revision nicht statthaft ist.
Die Revision ist daher nach § 169 Satz 2 SGG zu verwerfen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Fundstellen