Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 13.12.2022; Aktenzeichen L 9 R 3342/21)

SG Karlsruhe (Entscheidung vom 23.07.2021; Aktenzeichen S 8 R 1024/20)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. Dezember 2022 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Zwischen den Beteiligten ist streitig die Neuberechnung einer Witwerrente wegen Hinzuverdienstes und die Erstattung von überzahlten Rentenleistungen.

Der im Jahr 1963 geborene Kläger ist anerkannter Spätaussiedler. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten bewilligte ihm ab dem Zeitpunkt seiner Einreise in das Bundesgebiet am 9.10.1995 aus der Versicherung seiner bereits im Jahr 1993 in Russland verstorbenen Ehefrau eine große Witwerrente (Rentenbescheid vom 4.3.1996). Unter dem 21.5.1997 teilte der Kläger mit, er werde im Juni 1997 eine neue Arbeitsstelle antreten; zudem beantragte er die Ausstellung eines Sozialversicherungsausweises. Mit Schreiben vom 21.7.1997 informierte er darüber, dass er als freiberuflicher Musiklehrer tätig sei. Sein hierbei erzieltes Einkommen überschritt auch in den Folgejahren nicht den Freibetrag.

Am 1.10.2001 nahm der Kläger an einer anderen Musikschule eine versicherungspflichtige Beschäftigung auf. Im Hinblick auf Änderungen der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung berechnete die Beklagte in der Folgezeit den Rentenzahlbetrag der Hinterbliebenenrente mit Bescheid vom 8.3.2004 ab dem 1.4.2004 neu und mit Bescheid vom 17.08.2004 bereits ab dem 1.9.2001. Im Januar 2019 wurden per maschineller Meldung zu dem Versichertenkonto der verstorbenen Ehefrau Entgeltmeldungen zu dem ebenfalls bei der Beklagten geführten Versichertenkonto des Klägers aus abhängiger Beschäftigung ab dem Jahr 2001 übermittelt. Daraufhin berechnete die Beklagte die Witwerrente des Klägers neu und änderte für die Zeit ab dem 1.7.2001 den monatlichen Zahlbetrag unter Berücksichtigung von anzurechnendem Einkommen. Der Kläger habe ab dem 1.10.2001 Arbeitsentgelt erzielt, das über dem Einkommensfreibetrag liege, und dies nicht gemeldet. Die Beklagte machte eine Erstattungsforderung in Höhe von insgesamt 67 227,64 Euro geltend (Bescheid vom 11.6.2019; Widerspruchsbescheid vom 4.3.2020).

Im Klageverfahren hat das SG die angefochtene Verwaltungsentscheidung aufgehoben. Zwar habe der Kläger ab dem 1.10.2001 anrechenbares Einkommen aus abhängiger Beschäftigung oberhalb des Freibetrages erzielt. Auch habe das zuständige Dezernat der Beklagten erst im Januar 2019 davon Kenntnis erhalten. Der Kläger habe jedoch nicht gewusst und von sich aus auch nicht erkennen können, dass ihm die Witwerrente nicht mehr in voller Höhe zugestanden habe. Der Rentenbescheid vom 4.3.1996 habe lediglich darauf hingewiesen, dass Einkommen in Höhe von 40 vH des den Freibetrag übersteigenden Betrages anzurechnen sei. Zur Höhe dieses Freibetrages habe der Bescheid keinerlei Informationen enthalten. Auch sei der Beklagten das abhängige Beschäftigungsverhältnis ab Oktober 2001 bei der Musikschule und das daraus erzielte monatliche Einkommen bekannt gewesen. Der Kläger habe deshalb von der Richtigkeit der Rentenzahlungen ausgehen dürfen. Schließlich habe er auch seine Mitteilungspflichten nicht schuldhaft verletzt. Selbst wenn ein vom Kläger vorgelegtes Schreiben an die Beklagte vom 17.10.2001, in dem er die Anstellung als Musiklehrer bei der Musikschule ab dem 1.10.2001 mitgeteilt habe, die Beklagte - wie von ihr behauptet - nicht erreicht habe, habe er davon ausgehen dürfen, dass diese über das Beschäftigungsverhältnis informiert gewesen sei. Eine Kontenklärung zum Versichertenkonto des Klägers sei bereits im Jahr 2003 erfolgt und habe die Pflichtbeiträge aus abhängiger Beschäftigung enthalten. Die Verwaltungsakten zum Versichertenkonto des Klägers seien für den Zeitraum vor 2012 zwar nicht mehr verfügbar. Dass nicht mehr nachweisbar sei, ob der Kläger die Beklagte mit Schreiben vom 17.10.2001 informiert habe, gehe zu Lasten der Beklagten (Urteil vom 23.7.2021).

Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Einen vor dem LSG im Erörterungstermin am 27.6.2022 geschlossenen Vergleich hat der Kläger mit Schreiben vom 27.7.2022 widerrufen. Nach dem Protokoll vom 27.6.2022 haben sich die Beteiligten für den Fall des Widerrufs des Vergleichs mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Das LSG hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Rentenzahlungsanspruch habe aufgrund des seit dem 1.7.2001 erzielten Einkommens nur noch teilweise bestanden und sei ab dem 1.7.2018 ganz entfallen (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X). Auch sei der Kläger der ihm obliegenden Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Veränderungen der Verhältnisse grob fahrlässig nicht nachgekommen (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X). Er hätte das Hinzutreten von Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen unverzüglich mitteilen müssen. Ob eine solche Mitteilung erfolgt sei, lasse sich nicht mehr feststellen. Der Zugangsnachweis obliege dem Kläger. Schließlich lägen auch die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X vor, weil der Kläger gewusst oder grob fahrlässig nicht gewusst habe, dass der sich aus dem Verwaltungsakt der Rentenbewilligung ergebende Anspruch kraft Gesetzes aufgrund der Erzielung von Einkommen ganz oder teilweise weggefallen sei. Dem Kläger hätte bekannt sein müssen, dass die Aufnahme der abhängigen Beschäftigung zum 1.10.2001 zum teilweisen oder vollständigen Wegfall des Hinterbliebenenrentenanspruchs geführt habe. Sein sozialversicherungspflichtiges Jahreseinkommen habe sich im Vergleich zum früheren Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit nahezu verdreifacht. Für die Aufhebungsentscheidung sei eine Ermessensausübung der Beklagten nicht zwingend erforderlich gewesen. Insbesondere sei kein grobes Mitverschulden der Beklagten ersichtlich, das kausal zur Überzahlung geführt habe. Die gesetzlichen Fristen für die Aufhebung seien gewahrt (Urteil vom 13.12.2022).

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er macht Zulassungsgründe iS von § 160 Abs 2 Nr 1, 2 und 3 SGG geltend.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form begründet ist. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

1. Der Kläger macht zunächst eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG geltend. Dafür muss die Beschwerdebegründung eine Rechtsfrage zu revisiblem Recht (§ 162 SGG) aufwerfen, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung dieses Revisionszulassungsgrundes (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG) muss der Beschwerdeführer daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN; s auch Fichte in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl 2020, § 160a RdNr 32 ff). Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht hinreichend.

Der Kläger formuliert als Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung,

"ob der Kläger einer ihm obliegenden Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Veränderungen der Verhältnisse nicht nachgekommen sei und ob er deshalb bösgläubig sei bzw. grob fahrlässig gehandelt habe",

"ob die Änderung im Beschäftigungsverhältnis des Klägers ab Oktober 2001 von ihm verpflichtend mitgeteilt werden musste oder nicht, da er ja ab diesem Zeitpunkt Einkommen aus einer in der Bundesrepublik Deutschland rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung erzielt hat",

"ob beim Kläger vorliegend Einkommen hinzugetreten ist oder ob eine Veränderung stattgefunden hat" und

"ob dem Kläger im Zusammenhang mit der Rechtsgrundverweisung des § 48 Abs. 4 Satz 3 SGB X in Verbindung mit § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X Bösgläubigkeit vorgeworfen werden kann oder eine rückwirkende Aufhebung der Bewilligungsentscheidung möglich ist, da er seine Anzeigepflicht subjektiv grob fahrlässig verletzt hat".

Damit formuliert er schon keine abstrakten Rechtsfragen zur Auslegung revisibler (Bundes-)Normen, an der das Beschwerdegericht die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen könnte (vgl dazu BSG Beschluss vom 2.3.2015 - B 12 KR 60/14 B - juris RdNr 15; BSG Beschluss vom 22.4.2020 - B 5 R 266/19 B - juris RdNr 5, jeweils mwN). Der Kläger strebt eine Entscheidung darüber an, ob hinsichtlich seines Einkommens als angestellter Musiklehrer schon keine Mitteilungspflicht bestanden hat. Er ist der Auffassung, nach dem Wechsel von der selbstständigen Tätigkeit in eine abhängige Beschäftigung seien nicht erstmalig Einkünfte erzielt worden. Veränderungen von Einkommen aus einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung hätten gemäß den Hinweisen im Bescheid vom 4.3.1996 nicht mitgeteilt werden müssen. Der Beklagten sei seine versicherungspflichtige Beschäftigung seit Oktober 2001 bekannt und er selbst nicht bösgläubig gewesen. Mit diesen Ausführungen begehrt er die Klärung, ob die Anwendung und Auslegung von § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X durch das LSG in seinem konkreten Fall rechtmäßig und eine rückwirkende Aufhebung der Rentenzahlung zulässig war. Eine vermeintlich fehlerhafte Rechtsanwendung im Einzelfall vermag die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache indes nicht zu begründen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 30.11.2022 - B 5 R 162/22 B - juris RdNr 7).

Darüber hinaus fehlt es auch an einem hinreichenden Vortrag zur (konkreten) Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Fragen zum Bestehen von Mitteilungspflichten bei Hinzuverdienst. Das LSG hat nicht nur die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X, sondern auch der weiteren Regelungen in § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 und 4 SGB X bejaht. Das Berufungsgericht hat erzieltes Einkommen nach Erlass des Verwaltungsakts angenommen, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt habe (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X), und darüber hinaus ausgeführt, der Kläger hätte wissen müssen, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes ganz oder teilweise weggefallen sei, und dabei grobe Fahrlässigkeit angenommen (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X). Inwiefern Fragen zu Mitteilungspflichten bei Hinzuverdienst auch für eine auf § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 oder 4 SGB X gestützte Aufhebung entscheidungserheblich sein könnten, geht aus der Beschwerdebegründung nicht hinreichend hervor. Soweit der Kläger die Frage nach einer Bösgläubigkeit "im Zusammenhang mit der Rechtsgrundverweisung des § 48 Abs. 4 Satz 3 SGB X in Verbindung mit § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X" aufwirft, wird auch angesichts der von § 45 Abs 3 Satz 3 SGB X in Bezug genommenen § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 und 3 SGB X eine Entscheidungserheblichkeit der Voraussetzungen von Mitteilungspflichten nicht näher erörtert.

2. Auch eine Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG hat der Kläger nicht hinreichend begründet. Eine Divergenz liegt vor, wenn das angefochtene Urteil seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde legt, der von einem zu derselben Rechtsfrage entwickelten abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht. Hierzu sind die betreffenden Rechtssätze einander gegenüberzustellen; zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 13).

Nach Auffassung des Klägers beruht das Berufungsurteil zunächst auf dem Rechtssatz: "Wenn die Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde (§ 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X)(,) ist der Verwaltungsakt auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren noch zurückzunehmen, wenn der Begünstigte bösgläubig war bzw. grob fahrlässig gehandelt hat". Der Kläger stellte dem als Rechtssatz aus dem Urteil des BSG "vom 01.07.2010 - B 13 R 77/09" (richtig: B 13 R 77/09 R - SozR 4-1300 § 48 Nr 18, dort allerdings bislang mit unvollständigem Aktenzeichen abgedruckt) als tragenden Rechtssatz gegenüber: "Danach erfordert der Verweis in § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X auf § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X als Rechtsgrundverweisung eine folgerichtige Übertragung der in Bezug genommenen Regelungen auf § 48 SGB X. Bei der Rechtsgrundverweisung ist es erforderlich, dass die Voraussetzungen der § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X vorliegen. Hierzu gehört, dass die Voraussetzungen des § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 oder 3 SGB X gegeben sind". Es fehlt bereits an einer näheren Begründung dazu, inwiefern diese abstrakten Aussagen nicht miteinander vereinbar sind. Soweit der Kläger hierzu lediglich ausführt, die Voraussetzungen des § 45 Abs 3 Satz 3 Nr 2 SGB X seien nicht gegeben und das LSG habe nicht berücksichtigt, dass es sich bei der rückwirkenden Aufhebung innerhalb und außerhalb der Zehnjahresfrist um eine Ermessensentscheidung handelte, rügt er allein eine fehlerhafte Anwendung von § 45 Abs 3 Satz 3 und 4 SGB X und keine Nichtübereinstimmung der Rechtsprechung im Grundsätzlichen. Nur auf Letztere kann aber eine Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG gestützt werden (stRspr; zB BSG Beschluss vom 7.7.2022 - B 5 R 87/22 B - juris RdNr 5 mwN).

Der Kläger trägt im Weiteren vor, das Urteil des LSG beruhe auf dem Rechtssatz: "War der Begünstigte bösgläubig und hatte er jedenfalls grob fahrlässige Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit der Weiterbewilligung der Hinterbliebenenrente ohne Einkommensanrechnung (Entscheidungsgründe Seite 15 Mitte und Seite 18 unten), liegen die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung vor". Diese Rechtsauffassung sei nicht mit dem die Urteile des BSG vom 11.4.2002 - B 3 P 8/01 R - und vom 9.9.1998 - B 13 RJ 41/97 R - tragenden Rechtssatz vereinbar, "dass eine Ermessensreduzierung auf Null einen seltenen Ausnahmefall darstellt". Dafür sei vorauszusetzen, "dass es nach dem festgestellten Sachverhalt ausgeschlossen ist, dass Umstände vorliegen, die eine anderweitige - den Betroffenen ganz oder teilweise begünstigende - Entscheidungsfindung rechtsfehlerfrei zu lassen". Es kann dahingestellt bleiben, ob und inwiefern diese Aussagen, die mit Tatbestandselementen und Ermessen unterschiedliche Voraussetzungen für eine Aufhebung ansprechen, zueinander im Widerspruch stehen. Jedenfalls macht der Kläger erneut lediglich eine fehlerhafte Rechtsanwendung im Einzelfall geltend, indem er vorträgt, selbst das Vorliegen von Bösgläubigkeit rechtfertige im Sozialversicherungsrecht nicht die Annahme einer Ermessensreduzierung auf Null und es sei hier offensichtlich, dass die Beklagte durch eine zumindest teilweise Mitverursachung ganz erheblich zum Ausmaß des Schadens beigetragen habe.

3. Schließlich hat der Kläger auch einen Verfahrensmangel nicht hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die Umstände, aus denen sich der Verfahrensfehler ergeben soll, substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich, darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Der Kläger rügt eine Verletzung seines Rechts auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG). Zwar hätten die Beteiligten im Erörterungstermin am 27.6.2022 auf eine mündliche Verhandlung für den Fall des Widerrufs des Vergleichs verzichtet. Nach einem Anruf des Vorsitzenden Richters bei seinem Prozessbevollmächtigten am 21.10.2022 mit dem Hinweis, es solle schriftsätzlich mitgeteilt werden, wenn der Kläger auf eine mündliche Verhandlung verzichten wolle, sei er jedoch davon ausgegangen, dass eine mündliche Verhandlung stattfinde. Dagegen habe das LSG mit Schreiben vom 7.12.2022 darüber informiert, zeitnah durch Urteil ohne mündlichen Verhandlung entscheiden zu wollen. Dies habe "im Widerspruch zu den vorigen telefonischen Äußerungen des Vorsitzenden Richters" gestanden. Das Urteil des LSG sei ergangen, ohne dass zuvor nochmals die Möglichkeit eröffnet worden wäre, sich im Rahmen eines schriftlichen Verfahrens oder in einer mündlichen Verhandlung zu äußern.

Es kann offenbleiben, ob das Vorbringen des Klägers zu dem angeblich telefonisch erteilten Hinweis des Senatsvorsitzenden angesichts des bereits am 27.6.2022 zu Protokoll gegebenen Einverständnisses und des Schreibens des Senats vom 7.12.2022 nachvollziehbar ist. Einen von seinem Prozessbevollmächtigten über den Inhalt des Gesprächs angefertigten Aktenvermerk hat er nicht vorgelegt. Darüber hinaus fehlt es an konkretem Vortrag zum weiteren Prozessgeschehen. Es geht aus der Beschwerdebegründung jedenfalls nicht hervor, weshalb es dem anwaltlich vertretenen Kläger entgegen seiner Behauptung bis zur Entscheidung des LSG sechs Tage später nicht möglich gewesen sein könnte, sich nochmals zu äußern. Der Kläger hat nicht vorgetragen, auf das gerichtliche Schreiben vom 7.12.2022 reagiert und damit von seiner Seite aus alles getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl BSG Beschluss vom 10.5.2023 - B 5 R 53/23 B - juris RdNr 8).

Schließlich zeigt die Beschwerdebegründung auch nicht auf, dass die zunächst unter der innerprozessualen Bedingung des Widerrufs des Vergleichs erteilte Einverständniserklärung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (vgl § 124 Abs 2 SGG; zur Wirksamkeit vgl BSG Beschluss vom 8.12.2022 - B 7 AS 121/22 B - juris RdNr 6 mwN) im Lauf des Verfahrens unwirksam geworden sein könnte, weil sich nach ihrer Abgabe die bisherige Tatsachen- oder Rechtsgrundlage und damit die Prozesssituation wesentlich geändert hätte (vgl dazu ua BSG Beschluss vom 31.8.2021 - B 5 R 151/21 B - juris RdNr 16 mwN). Soweit der Kläger vorträgt, der Senat hätte bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung möglicherweise seine Bösgläubigkeit nicht angenommen, er hätte einen Beweisantrag stellen und nochmals auf Rechenfehler der Beklagten hinweisen sowie Auskünfte zum Vorliegen eines atypischen Falles geben können, begründet dies keine wesentliche Änderung der Prozesslage. Zwar trägt der Kläger vor, er habe im Anschluss an den Erörterungstermin vom 27.6.2022 den Feststellungsbescheid der Beklagten nach § 149 Abs 6 SGB VI vom 18.11.2003 wieder gefunden und zur Gerichtsakte gereicht. Dabei handelt es sich jedoch nicht um ein neues tatsächliches Vorbringen. Wie der Kläger in seiner Beschwerdebegründung selbst vorträgt, hatte er bereits im Widerspruchsverfahren geltend gemacht, der Beklagten sei das von ihm am 1.10.2001 aufgenommene Angestelltenverhältnis aufgrund der Meldung zur Sozialversicherung bekannt gewesen.

Soweit der Kläger zudem eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) rügt, indem das LSG einem Beweisantrag des Klägers ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt sei, hat er ebenfalls keinen Verfahrensmangel hinreichend bezeichnet. Der Kläger verweist auf Fehler der Beklagten bei der Berechnung der überzahlten Rente, die er bereits mit der Klagebegründung vor dem SG vorgetragen habe. Der bereits im Berufungsverfahren durch seinen Prozessbevollmächtigten vertretene Kläger hat damit jedoch keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag bezeichnet, den der im Berufungsverfahren bis zum Schluss aufrechterhalten hat (zum dafür maßgeblichen Zeitpunkt bei Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung vgl BSG Beschluss vom 12.4.2023 - B 2 U 30/22 B - juris RdNr 11 mwN).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 183 Satz 1 iVm § 193 Abs 1 und 4 SGG.

Düring

Gasser

Körner

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15946119

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