Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Urteil vom 18.05.1993) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 18. Mai 1993 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Beschwerdeverfahren.
Gründe
Die Klägerin hat sich auf der Flucht vor S. verletzt. Sie und ihr Sohn versuchten, dem wegen Körperverletzung, Sachbeschädigung, Beleidigung und Hausfriedensbruch vorbestraften S. zu entkommen, der mit dem Ausruf „Jetzt hab’ ich Euch, Ihr Schweine”, auf offener Straße auf sie zustürzte. Schon in früheren Jahren hatte S. die Klägerin tätlich angegriffen und verletzt. Er hatte mit einer Tochter der Klägerin und einem gemeinsamen Kind zusammengelebt. Nach der Trennung war es zu Drohungen gekommen, woraufhin die Klägerin durch Beschluß des Landgerichts eine Untersagungsverfügung erwirkt hatte. Es wurde S. verboten, die Klägerin weiterhin zu bedrohen, insbesondere mit den Worten, er werde ihr die Kehle durchschneiden; ihm wurde auch verboten, die Klägerin durch Nachgehen zu verfolgen. Für den Fall der Zuwiderhandlung wurde ein Ordnungsgeld angedroht. Wegen zweier Zuwiderhandlungen in Form der Bedrohung ergingen später zwei Ordnungsgeldbeschlüsse. Das Landessozialgericht (LSG) hat der Klägerin für die erlittenen Verletzungen Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) zugesprochen.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Beklagte, das LSG weiche von der Entscheidung des Senats vom 23. Oktober 1985 – 9a RVg 5/84 – (SozR 3800 § 1 Nr 6) ab. Es fehle an einem vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriff, weil kein handgreifliches gewaltsames Vorgehen in feindseliger Absicht oder eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper zielende Einwirkungen festzustellen sei. Das LSG habe den engen Begriff des tätlichen Angriffs verkannt. Wegen der Frage, ob schon die Drohung mit Gewalt unter dem Schutz des OEG stehe, sei die Revision auch wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erfordert es, daß die vom Beschwerdeführer bezeichnete Rechtsfrage grundsätzlicher Art ist, also über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat, daß diese Rechtsfrage klärungsbedürftig und im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig ist. Obwohl die vom Beschwerdeführer aufgezeigte Rechtsfrage, ob die Drohung mit Gewalt einem tätlichen Angriff gleichzusetzen ist, noch nicht geklärt ist, hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Zur Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage muß deren Klärungsfähigkeit hinzutreten. Das Revisionsgericht muß nach und aufgrund der Zulassung der Revision über die klärungsbedürftige Rechtsfrage auch sachlich zu entscheiden haben. Nur unter dieser Voraussetzung ist die angestrebte Entscheidung geeignet, bezüglich der klärungsbedürftigen Rechtsfrage die Rechtseinheit zu wahren oder zu sichern oder die Fortbildung des Rechts zu fördern. Über die vom Beschwerdeführer genannte Frage würde bei Zulassung der Revision aber nicht zu entscheiden sein, weil das angefochtene Urteil mit unangegriffenen tatsächlichen Feststellungen nicht nur eine Drohung, sondern den tätlichen Angriff selbst bejaht.
Voraussetzung für eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist, daß das LSG von einem die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) tragenden Rechtssatz abgewichen ist. Es muß dargelegt werden, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine das Berufungsurteil tragende Abweichung in dessen rechtlichen Darlegungen enthalten ist. Dies gilt insbesondere, wenn es – wie hier – wesentlich auf die richterliche Beweiswürdigung ankommt, weil die Rüge eines Verstoßes nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG ausgeschlossen ist. Eine solche Abweichung liegt nicht vor. Die zur Begründung der Abweichung zitierten Sätze des LSG betreffen die Beweiswürdigung. Den rechtlichen Obersatz hat das LSG jedoch aus früheren Entscheidungen des BSG übernommenen: „… eine feindliche auf Rechtsbruch abzielende Einstellung, die im vorsätzlichen Willen im natürlichen Sinn zum Ausdruck kommen muß, ist jedenfalls erforderlich; sie muß auf eine gesundheitliche Schädigung gerichtet sein und dadurch die Angriffshandlung prägen” wendet das angefochtene Urteil an. Es würdigt die zusammengetragenen Indizien dahin, daß die Klägerin am Verletzungstag nicht bedroht, sondern attackiert worden sei. Aus dem äußeren festgestellten Sachverhalt hat das LSG den Schluß gezogen, daß ein gezielter feindseliger Angriff bereits begonnen habe. Der gegenteiligen Einlassung des Täters hat das LSG nicht geglaubt. Wie der Senat bereits mehrfach ausgeführt hat, ist es Aufgabe der Tatsachengerichte, aus den äußeren Tatumständen überzeugende Hinweise auf die erforderlichen Feststellungen zum subjektiven Tatbestand, also auf den tätlichen Angriff zu gewinnen und im sozialgerichtlichen Verfahren eine eigenständige Würdigung der erreichbaren Beweismittel vorzunehmen. Aus den äußeren Tatumständen ist auf die subjektive Tatseite zu schließen (vgl die Nachweise im Urteil des Senats vom 24. April 1991 – 9a/9 RVg 1/89 – SozR 3800 § 1 Nr 1). Dieser Verpflichtung ist das LSG nachgekommen; es hat dabei in seiner Beweiswürdigung den in ständiger Rechtsprechung herausgearbeiteten Rechtsgrundsatz beachtet, daß als tätlicher Angriff nur die Handlung bezeichnet wird, die in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielt. Es ist gerade nicht von der bisherigen Rechtsprechung des BSG abgewichen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen