Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialgerichtliches Verfahren. Revisionsbegründung
Orientierungssatz
Die Revisionsbegründung muß nicht nur die eigene Meinung des Revisionsklägers wiedergeben, sondern sich - zumindest kurz - mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auseinandersetzen und erkennen lassen, dass und warum die als verletzt gerügte Vorschrift des materiellen Rechts nicht oder nicht richtig angewandt worden ist. Aus dem Inhalt der Darlegung muß sich ergeben, daß der Revisionskläger sich mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung rechtlich auseinandergesetzt hat, und inwieweit er bei der Auslegung der angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist. Hierzu reicht es nicht aus, lediglich Rechtsansichten der Vorinstanz als unrichtig zu bezeichnen; vielmehr ist hinzuzufügen, warum sie nicht geteilt werden. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Vorinstanz ihre Rechtsauffassung näher begründet hat; in diesem Fall ist ein Eingehen auf den Gedankengang des Berufungsgerichts unumgänglich (vgl BSG vom 16.Dezember 1981 - 11 RA 86/80 = SozR 1500 § 164 Nr 20)
Normenkette
SGG § 164 Abs. 2 Sätze 1, 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen aufgrund des tödlichen Verkehrsunfalls des Ehemannes der Klägerin zu 1) bzw Vaters der Klägerin zu 2) und des Klägers zu 3) (im Folgenden "Versicherter").
Der Versicherte, der bei der Beklagten als Geschäftsführer einer GmbH freiwillig versichert war, wollte am 26. November 1996 zusammen mit der Klägerin zu 1) vom Betriebssitz in H. zu einer Baustelleninspektion nach E. fahren. Nachdem er auf dem Weg dorthin die Ortsdurchfahrt von M. passiert hatte, überholte er einen vor ihm fahrenden Pkw, den der Zeuge Dr. B. steuerte. Anschließend bremste er diesen allmählich bis zum Stillstand aus. Dann verließ er sein Fahrzeug und ging auf den Pkw des Zeugen zu. Dabei wurde er von einem entgegenkommenden Pkw erfaßt und verstarb wenig später an den dabei erlittenen Verletzungen. Die Beklagte lehnte die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen ab (Bescheide vom 22. Juli 1997, Widerspruchsbescheid vom 4. Dezember 1997), weil es sich bei dem Unfall des Versicherten nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt habe. Der Versicherte sei zum Unfallzeitpunkt einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit nachgegangen. Indem er sein Fahrzeug verlassen und sich in entgegengesetzter Richtung zu dem Ort seiner Arbeitstätigkeit bewegt habe, habe er den unter Versicherungsschutz stehenden Betriebsweg unterbrochen.
Das Sozialgericht Aachen (SG) hat die Klagen der Kläger abgewiesen (Urteil vom 5. Mai 1999). Die Berufungen waren erfolglos (Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Nordrhein-Westfalen vom 26. September 2000). Der Versicherte habe im Unfallzeitpunkt nicht unter Versicherungsschutz gemäß § 539 Abs 1 Nr 9a der Reichsversicherungsordnung (RVO) gestanden. Der Senat habe sich nicht davon überzeugen können, daß der Versicherte bei gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten gewollt habe, als er auf den Pkw des Zeugen zugegangen sei. Aus den Angaben der Klägerin zu 1) sei lediglich zu entnehmen, daß der Versicherte den Entschluß gefaßt gehabt habe, den Zeugen nach den Gründen für seine "sonderbare" Fahrweise - langsam und in Schlangenlinien - zu fragen und ihn deshalb zur Rede zu stellen. Im übrigen reiche der Rettungswille allein nicht aus; vielmehr sei zusätzlich darauf abzustellen, ob der Hilfeleistende nach den Umständen des Einzelfalls habe annehmen dürfen, es liege ein Unglücksfall oder eine andere Gefahr- oder Notsituation vor. Daran fehle es, da die relativ langsame Fahrweise des Zeugen angesichts der Dunkelheit und der nassen Fahrbahn keineswegs eine krankheits- oder alkoholbedingte Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit angezeigt habe. Ob der Zeuge auch unmotiviert gebremst habe, lasse sich nicht feststellen. Ein nachfolgender Fahrer habe dies infolge Dunkelheit und schlechter Sicht auch kaum hinreichend sicher beurteilen können. Auch das Betätigen der Lichthupe durch den Zeugen nach dem Überholen habe nicht zu dem Schluß berechtigt, der Zeuge sei alkoholisiert gewesen oder habe sich in einer Notlage befunden. Auch habe dessen Fahrweise nicht objektiv den Verdacht begründet, der Zeuge habe einen Herzinfarkt oder eine Kreislaufschwäche erlitten, da dieser die Fahrt dann nicht über eine längere Strecke hinweg fortgesetzt hätte.
Auch gemäß § 539 Abs 1 Nr 1 RVO habe kein Unfallversicherungsschutz bestanden. Zwar habe sich der Versicherte auf einem versicherten Betriebsweg befunden, diesen jedoch unmittelbar vor dem Unfall unterbrochen. Seine Handlungstendenz sei dabei darauf gerichtet gewesen, den Zeugen Dr. B. zu den Gründen für seine Fahrweise zu befragen und ihn zur Rede zu stellen. Diese Unterbrechung habe mit der versicherten Tätigkeit in keinem sachlichen Zusammenhang gestanden und sei auch nicht so geringfügig gewesen, daß Versicherungsschutz fortbestanden hätte, da er zwar für den Weg zum Fahrzeug des Zeugen Dr. B. lediglich eine Strecke von zehn Metern zurückzulegen gehabt habe, die Beendigung des beabsichtigten Gesprächs mit diesem aber offen gewesen sei. Dabei habe es sich auch nicht um ein "quasi im Vorübergehen" zu erledigendes Vorhaben gehandelt.
Die Kläger haben die - vom LSG zugelassenen - Revisionen eingelegt und rügen, das LSG habe die Vorschriften der §§ 589, 590, 539, 540, 543 bis 545 und 548 RVO verletzt. Daß der Versicherte sich auf dem Weg vom Betriebssitz des Unternehmens zu einer Baustelleninspektion befunden habe, erfülle die Voraussetzungen der §§ 539, 540, 543 bis 545 und 548 RVO. Aus der Tatsache, daß er angehalten habe, um sich nach dem Zeugen Dr. B. zu erkundigen und/oder die Situation zu überprüfen, die zu dessen seltsamen Verhalten geführt habe, ergebe sich nichts anderes. Zwar habe der Zeuge ausgesagt, er sei nicht alkoholisiert gewesen und habe Fahrbahnverschmutzungen ausweichen oder auf die Seitenwindempfindlichkeit seines Fahrzeugs reagieren müssen. Maßgeblich sei jedoch allein die für einen außenstehenden Beobachter gezeigte Fahrweise; danach habe sich ein langsamer Verkehrsteilnehmer mit nicht erklärbarer Fahrweise (Schlangenlinien) dargestellt. Ein derartiges, durch die äußeren Umstände (Witterungsbedingungen) nicht erkennbar bedingtes Verhalten habe dem Versicherten Anlaß gegeben, zu überprüfen, was den Verkehrsteilnehmer dazu insbesondere im Hinblick auf mögliche Hilfeleistungen veranlaßt habe. Wenn das LSG der Klägerin zu 1) entgegenhalte, ihr sei lediglich zu entnehmen, daß der Versicherte den Entschluß gefaßt gehabt habe, den Zeugen nach den Gründen seiner Fahrweise zu fragen und ihn zur Rede zu stellen, so umfasse dies auch den Entschluß, die Situation zu klären. Ein Rettungswille könne dem Versicherten daher nicht abgesprochen werden. Soweit das LSG dies verneine, verletze es § 539 RVO. Für die Auffassung des LSG, das Aufblenden des Zeugen nach dem Überholvorgang habe sich für den Versicherten so darstellen müssen, daß der Zeuge ihm signalisieren gewollt habe, er fahre zu schnell oder daß dieser sich bedrängt gefühlt habe, gebe es aus der Aussage des Zeugen keinen Anhaltspunkt. Soweit das LSG ausführe, objektiv habe der Versicherte nicht von einem Herzinfarkt ausgehen dürfen, weil der Zeuge über eine längere Strecke hinweg seine Fahrt fortgesetzt habe, vermöge auch dies angesichts der Umstände nicht zu überzeugen. Da der Versicherte auch weiterhin die Baustelle in E. erreichen gewollt habe, sei nicht davon auszugehen, daß er durch das Aussteigen und das Zurücklegen des kurzen Weges zum Fahrzeug des Zeugen den Betriebsweg unterbrochen habe, zumal selbst ein Arztbesuch auf dem Weg von oder zur Arbeitsstätte nicht zum Verlust des Versicherungsschutzes führe (Hinweis auf "Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 28.09.2000 m.w.N."). Die Ausführungen des LSG, es sei offen, wann das beabsichtigte Gespräch mit dem Zeugen beendet worden wäre, überzeugten nicht, da es sich dabei um ein kurzfristig zu erledigendes Vorhaben gehandelt hätte.
Die Kläger beantragen,
die Urteile der Vorinstanzen sowie die Bescheide der Beklagten vom 22. Juli 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Klägern zu 1) bis 3) aus Anlaß des Unfalls vom 26. November 1996 Hinterbliebenenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen der Kläger sind unzulässig. Sie haben ihre Rechtsmittel nicht ausreichend begründet.
Gemäß § 164 Abs 2 Satz 1 und 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist die Revision zu begründen. Die Pflicht zur schriftlichen Begründung des Rechtsmittels soll eine umfassende Vorbereitung des Revisionsverfahrens gewährleisten. Daher muß nach ständiger Rechtsprechung des BSG (s ua BSGE 70, 186, 187 f = SozR 3-1200 § 53 Nr 4; BSG SozR 1500 § 164 Nrn 12, 20, 25; SozR 3-1500 § 164 Nr 9; SozR 3-5555 § 15 Nr 1; SozR 3-2500 § 106 Nr 12 jeweils mwN; BVerfG SozR 1500 § 164 Nr 17) die Revision sorgfältig und nach Umfang und Zweck zweifelsfrei begründet sein. Es ist darzulegen, daß und weshalb die Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht geteilt wird; dies kann nur mit rechtlichen Erwägungen geschehen. Die Revisionsbegründung muß nicht nur die eigene Meinung des Revisionsklägers wiedergeben, sondern sich - zumindest kurz - mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auseinandersetzen und erkennen lassen, daß und warum die als verletzt gerügte Vorschrift des materiellen Rechts nicht oder nicht richtig angewandt worden ist (vgl schon BSG SozR 1500 § 164 Nr 12). Aus dem Inhalt der Darlegung muß sich ergeben, daß der Revisionskläger sich mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung rechtlich auseinandergesetzt hat, und inwieweit er bei der Auslegung der angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist. Hierzu reicht es nicht aus, lediglich Rechtsansichten der Vorinstanz als unrichtig zu bezeichnen; vielmehr ist hinzuzufügen, warum sie nicht geteilt werden. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Vorinstanz ihre Rechtsauffassung näher begründet hat; in diesem Fall ist ein Eingehen auf den Gedankengang des Berufungsgerichts unumgänglich (BSG SozR 1500 § 164 Nr 20; BSG Beschluß vom 4. Februar 1997 - 2 RU 43/96 -).
Diesen Anforderungen wird die von den Klägern mit dem Schriftsatz vom 18. Januar 2001 eingereichte Revisionsbegründung nicht gerecht. Ihr läßt sich zunächst nur entnehmen, daß das LSG nach Ansicht der Kläger in verschiedenen Punkten von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen sei. Dies betrifft insbesondere die tatsächlichen Feststellungen zum objektiven Vorliegen eines Unglücksfalls oder einer gemeinen Gefahr und deren subjektiver Wahrnehmbarkeit durch den Versicherten, dessen Handlungstendenz bei der Fahrtunterbrechung und die voraussichtliche Dauer des beabsichtigten Gesprächs mit dem Zeugen. Die Kläger rügen damit die ihrer Auffassung nach unzutreffende Beweiswürdigung des LSG und stellen dem ihre eigene Beweiswürdigung als die ihrer Ansicht nach zutreffende gegenüber. Die Rüge einer Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG kann im Revisionsverfahren jedoch nur insoweit geltend gemacht werden, als es einen Verstoß des LSG gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze betrifft; dies ist unter der Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG) und aus denen die Möglichkeit folgt, daß das Gericht ohne Verfahrensverletzung anders entschieden hätte, darzulegen (BSG SozR 1500 § 164 Nr 31). Daran mangelt es. Die Kläger bezeichnen weder allgemeine Erfahrungssätze, die das LSG nicht beachtet habe, noch daß und inwiefern aus dem vom LSG festgestellten Sachverhalt nur eine Schlußfolgerung gezogen werden könne und daß jede andere, also auch die, die das Berufungsgericht gezogen hat, nicht denkbar sei, mithin ein Verstoß gegen die Denkgesetze gegeben sei (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl, § 128 RdNr 12 mwN).
Als Ansatz materiellrechtlicher Ausführungen wäre allenfalls zum einen der Vortrag anzusehen, das LSG verletze § 539 RVO, indem es den Rettungswillen des Versicherten verneine; dabei handelt es sich allerdings lediglich um eine Behauptung, die nicht mit rechtlichen Erwägungen, sondern mit einer abweichenden Beweiswürdigung begründet wird. Zum anderen kommt dafür die Verweisung auf das "Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 28.09.2000 m.w.N." mit der Behauptung, darin werde ausgeführt, selbst ein Arztbesuch, der auf dem Weg von oder zur Arbeitsstätte durchgeführt werde, führe nicht dazu, daß der Betroffene nicht mehr unter Versicherungsschutz stehe, in Betracht. Diese Andeutung reicht indes für eine rechtliche Auseinandersetzung mit der Entscheidung des LSG nicht aus. Dabei handelt es sich um die bloße Mitteilung eines - im einzelnen unklaren - einzelfallbezogenen Rechtssatzes, der nicht mit rechtlichen Erwägungen untermauert wird. Das Urteil, dem dieser Rechtssatz entnommen sein soll, wird nicht einmal so genau bezeichnet, daß es zur Stützung dieser Argumentation herangezogen werden könnte; die bloße Angabe des Gerichts und des Datums einer Entscheidung reicht ohne Nennung des Aktenzeichens und/oder der Fundstelle hierfür nicht aus. Da ein solcher Rechtssatz im übrigen auch in keiner Weise der Rechtsprechung des BSG entspräche (vgl etwa BSG SozR 3-2200 § 550 Nrn 18 und 19), wäre zu einer formgerechten Revisionsbegründung auch eine rechtliche Auseinandersetzung hiermit erforderlich gewesen. Der Vortrag der Kläger bleibt damit deutlich hinter den Mindestanforderungen an eine Revisionsbegründung zurück.
Die nicht hinreichend begründeten Revisionen der Kläger mußten daher als unzulässig ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter verworfen werden (§ 169 Satz 2 und 3 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen