Beteiligte
5. Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. |
6. Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V. |
2. Bundesverband der Betriebskrankenkassen |
3. Bundesverband der Innungskrankenkassen |
4. Bundesverband der landwirtschaftlichen Krankenkassen |
9. Bundesrepublik Deutschland |
Bundesministerium für Gesundheit |
10. Kassenärztliche Bundesvereinigung |
Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30. Juni 1999 wird verworfen.
Die Klägerin hat dem Beklagten die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin, die Tageskliniken betreibt, in denen Patienten ambulant mit der extrakorporalen Stoßwellentherapie (ESWT) behandelt werden, wendet sich dagegen, daß der beklagte Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen mit Beschluß vom 24. April 1998 die ESWT bei orthopädischen, chirurgischen und schmerztherapeutischen Indikationen in die Anlage B der Richtlinien über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden und über die Überprüfung erbrachter vertragsärztlicher Leistungen (NUB-Richtlinien) aufgenommen und damit als nicht vertragsärztlich erbringbare Methode qualifiziert hat. Ihre Klage auf Feststellung, daß der Beschluß des Beklagten rechtswidrig sei, hat das Sozialgericht abgewiesen (Urteil vom 2. Dezember 1998). Ihre Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen. In dem Urteil vom 30. Juni 1999 ist ausgeführt, daß die NUB-Richtlinien Rechtsnormqualität hätten, daß aber kein Rechtsverhältnis bestehe, aus dem die Klägerin einen Anspruch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Richtlinien herleiten könne. Die Aufnahme oder Nichtaufnahme von Behandlungsmethoden in den Katalog der vertragsärztlichen Leistungen entfalte berufsregelnde Tendenz iS des Art 12 Grundgesetz nur gegenüber den in die gesetzliche Krankenversicherung einbezogenen, nicht aber gegenüber den außerhalb dieses Systems stehenden Leistungserbringern.
Auf den beiden Postzustellungsurkunden über die Zustellung des Berufungsurteils an die Klägerseite ist jeweils der Name der Geschäftsführer und die Straßenanschrift der Klägerin sowie ferner angegeben, daß der Postbedienstete die Sendung an die Angestellte M. S. übergeben hat. Als Zustellungsdatum ist der 23. Juli 1999 (Freitag) genannt.
Der Schriftsatz der Klägerin, mit dem sie Revision eingelegt hat, weist als Datum den „23.09.1999” auf (gemeint ist offenbar der 23. August 1999). Er ist dem Bundessozialgericht (BSG) am 26. August 1999 (Donnerstag) als Fax zugegangen.
Auf den Hinweis der Fristüberschreitung und die Anfrage, ob die Revision dennoch aufrechterhalten bleibe, hat die Klägerin geltend gemacht, daß es bislang an einer ordnungsgemäßen Zustellung an sie als Firma fehle. Das LSG-Urteil sei bisher nur den Geschäftsführern persönlich zugestellt worden. Die Postsendung sei zudem nur einer Mitarbeiterin in der Firma, die zur Entgegennahme von Zustellungen nicht befugt sei, übergeben worden. Hilfsweise werde geltend gemacht, daß ein Grund zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorliege. Mitte 1999 habe die Existenz der Firma in Frage gestanden. Existentielle Entscheidungen hätten getroffen werden müssen. Er, der nunmehr unterzeichnende Prozeßbevollmächtigte, sei als Gesellschafter und Geschäftsführer ausgeschieden und habe den bisher allein von ihm betreuten Bereich Recht an den bis dahin mit-geschäftsführenden und nunmehr alleinigen Geschäftsführer übergeben sowie ihm die Schlüssel für die Büroräume ausgehändigt. Durch die Belastungen in dieser Zeit hätten Zustellungen und Fristen nicht in der üblichen betrieblichen Gepflogenheit überwacht werden können. Nur so habe es geschehen können, daß eine unzuständige Mitarbeiterin das LSG-Urteil entgegengenommen habe und die übliche Wiedervorlage nicht in den Kalender eingetragen worden sei. Vom 9. bis zum 20. August 1999 sei das Büro wegen Betriebsferien nicht besetzt gewesen. Mit dem nunmehr alleinigen Geschäftsführer, der sich vom 16. bis zum 27. August 1999 im Auslandsurlaub befunden habe, habe er am 19. August 1999 (Donnerstag) vom Ausland aus, wo er sich derzeit aufgehalten habe, einige noch ungeklärte Themen telefonisch und in Eile besprochen. Dabei hätten sie vereinbart, daß er die Klägerin anwaltlich im Revisionsverfahren vertrete. Er habe die Akten aber erst nach den Betriebsferien am 23. August 1999 (Montag) im Büro in Empfang nehmen können und noch am 24. und 25. August 1999 nach den Zustellungsurkunden forschen müssen, allerdings ohne Erfolg. Die schon vorbereitete Revisionsschrift habe er am 26. August 1999 per Fax und per Post abgesandt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
- die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30. Juni 1999 und des Sozialgerichts Köln vom 2. Dezember 1998 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, den Beschluß vom 24. April 1998 aufzuheben,
- hilfsweise für den Fall der Versäumung der Revisionsfrist, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Der Beklagte beantragt sinngemäß,
den Antrag auf Wiedereinsetzung und die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision ist gemäß § 169 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht fristgemäß eingelegt worden ist.
Gemäß § 164 Abs 1 Satz 1 SGG ist die Revision beim BSG innerhalb eines Monats nach der Zustellung des Urteils einzulegen. Diese ab der Zustellung des Urteils am 23. Juli 1999 bis zum 23. August 1999 laufende Frist hat die Klägerin aber nicht gewahrt. Die Zustellung ist am 23. Juli 1999 wirksam gegenüber der Klägerin erfolgt (1.). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist kann ihr nicht gewährt werden, weil sie Verschulden an der Fristversäumung trifft (2.).
1. Gegen die Zustellung am 23. Juli 1999 greift der Einwand der Klägerin nicht durch, daß das Berufungsurteil nicht ihr selbst zugestellt worden sei, da die Postsendung nicht richtig adressiert gewesen sei. Nach der Rechtsprechung reicht es aus, wenn aus dem Schriftstück in Verbindung mit den beigefügten Unterlagen der gemeinte Adressat mit hinreichender Deutlichkeit erkennbar ist (vgl zB BGH NJW 1985, 2651 betr Rechtsmittelschrift; BFHE 146, 225, 228 betr Verwaltungsakt mit nur Sammel- oder Kurzbezeichnung im Adressenfeld; BFHE 140, 22, 26 betr Klageschrift mit nur Kurzbezeichnung, aber beigefügtem Bescheid mit allen Angaben; BFHE 126, 114, 119; 150, 331, 334; 162, 4, 7 f, jeweils betr Verwaltungsakt mit ungenauer Adressierung, aber beigefügter Anlage mit weiteren Angaben).
Im vorliegenden Fall war ohne weiteres erkennbar, daß die Postsendung an die Klägerin gerichtet war. Zwar waren auf dem Anschriftenfeld als Namen nur diejenigen der Geschäftsführer angegeben, und es gab keinen Zusatz, daß sie als gesetzliche Vertreter der Klägerin angesprochen seien. Die genannte Straße und Hausnummer waren aber diejenigen der Klägerin und nicht die der Geschäftsführer. Außerdem war in dem beigefügten Schriftstück, im Rubrum des Urteils, die Klägerin als Beteiligte – mit den Geschäftsführern als ihren gesetzlichen Vertretern – bezeichnet. Diese Umstände ergeben mit hinreichender Deutlichkeit, daß nicht die Geschäftsführer persönlich, sondern die Klägerin gemeint war.
Einer wirksamen Zustellung stand auch nicht die Übergabe an Frau M. S. entgegen. Auf welche Weise eine Zustellung bewirkt werden kann, wenn der Adressat bzw sein gesetzlicher Vertreter nicht angetroffen wird, richtet sich bei Urteilen nach den Regelungen der § 165 Satz 1, § 153 Abs 1, § 135 Halbsatz 1 iVm § 63 Abs 2 SGG. Diese verweisen auf das Verwaltungszustellungsgesetz, das seinerseits in § 3 Abs 3 auf §§ 180 ff Zivilprozeßordnung (ZPO) Bezug nimmt. Nach § 184 Abs 1 ZPO kann bei Zustellungen an juristische Personen die Postsendung einem anderen in dem Geschäftslokal anwesenden Bediensteten übergeben werden, wenn der gesetzliche Vertreter in dem Geschäftslokal während der gewöhnlichen Geschäftsstunden nicht angetroffen wird oder an der Annahme verhindert ist. Empfangsbefugt ist hierbei jede Person, die in dem Gewerbebetrieb angestellt ist. Eine Ausnahme mag für solche Hilfskräfte gelten, die – wie zB Reinigungskräfte und Boten – erkennbar nur untergeordnete Tätigkeiten ausführen, wie dies im Rahmen des § 183 ZPO anerkannt ist (vgl Hartmann in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 57. Aufl 1999, § 183 RdNr 15). Sonstige den Angestellten in ihrem Arbeitsverhältnis auferlegte Beschränkungen sind im Außenverhältnis, also für die Wirksamkeit einer Zustellung, ohne Belang. Dementsprechend greift der Einwand der Klägerin, zur Entgegennahme von Zustellungsurkunden seien nur ihre damaligen Geschäftsführer und eine Sekretärin, aber nicht Frau M. S. befugt gewesen, nicht durch. Deshalb ist durch die Übergabe an sie die Zustellung wirksam erfolgt.
2. Der Klägerin kann gegen die Versäumung der Revisionsfrist auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Wiedereinsetzung wäre gemäß § 67 Abs 1 SGG nur dann zu gewähren, wenn die Klägerin ohne Verschulden gehindert gewesen wäre, die Frist einzuhalten. Ihr ist gemäß § 73 Abs 4 SGG iVm § 85 Abs 2 ZPO ein Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten zuzurechnen. Hier liegt ein Verschulden sowohl der Klägerin selbst als auch ihres Prozeßbevollmächtigten vor.
Ein Verschulden kann nach der Rechtsprechung nur dann ausgeschlossen werden, wenn durch geeignete organisatorische Vorkehrungen dafür gesorgt ist, daß Fristversäumnisse möglichst vermieden werden. Hierzu gehört insbesondere die Sicherstellung, daß Urteile nach Erhalt an die für die Berechnung der Rechtsmittelfristen zuständige Person weitergeleitet und die Fristen dann notiert werden sowie ihre Einhaltung überwacht wird (vgl zuletzt BGH, Beschluß vom 26. August 1999, Eildienst: Bundesgerichtliche Entscheidungen/Bundesgerichtshof ≪EBE/BGH≫ 1999, 228 betr Sicherstellung der Weiterleitung der Akten zur Fristennotierung). Entsprechende organisatorische Vorkehrungen sind im vorliegenden Fall aber nicht erkennbar. Sie ergeben sich insbesondere nicht aus dem Vorbringen der Klägerin, die lediglich ausgeführt hat, aufgrund der damals problematischen Firmensituation hätten Zustellungen und Fristen nicht in der üblichen betrieblichen Gepflogenheit überwacht werden können, und nur so habe es geschehen können, daß eine unzuständige Mitarbeiterin das LSG-Urteil entgegengenommen habe und die übliche Wiedervorlage nicht in den Kalender eingetragen worden sei.
Organisatorische Vorkehrungen hat aber nicht nur die Klägerin selbst versäumt, sondern auch der Prozeßbevollmächtigte, als er das Mandat übernahm. Wenn ein Rechtsanwalt eine Prozeßvertretung übernimmt, wird die Wahrung der prozessualen Fristen eine seiner wesentlichen Aufgaben, der er seine besondere Sorgfalt widmen muß (BVerwG NJW 1995, 2122, 2122/2123). Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hat nach seinen Angaben in einem Telefonanruf von seinem Urlaubsort aus die anwaltliche Vertretung für das Revisionsverfahren übernommen. Wenn er schon ohne Vorliegen der Akten das Mandat übernahm, hätte er zumindest Sorge tragen müssen, daß er Kenntnis vom Zeitpunkt des Ablaufs der Revisionsfrist erlangt, nötigenfalls durch eine telefonische Nachfrage beim Berufungsgericht selbst. Spätestens hätte er an dem Tag der Rückkehr in das nach den Betriebsferien ihm wieder zugängliche Büro – dem 23. August 1999 – wegen des Fristlaufs sogleich telefonisch beim Berufungsgericht nachfragen oder sicherheitshalber die Revisionsschrift sofort per Fax einreichen müssen, statt wegen der Suche nach den Postzustellungsurkunden noch einige Tage zu warten.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 542961 |
FA 2000, 204 |
www.judicialis.de 1999 |