Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückwirkender Kindergeldanspruch eines in Deutschland beschäftigten Spaniers. Beginn der Antragsfrist gemäß Art 94 Abs 6 S 1 EWGV 1408/71. Kindergeldsatz. Soweit der im April 1991 erstmals gestellte Kindergeldantrag eines in Deutschland beschäftigten spanischen Arbeitnehmers mit in seinem Heimatland lebenden Kindern einen rückwirkenden Kindergeldanspruch ab 15.1.1986 begründet

 

Orientierungssatz

1. Ist Art 94 Abs 6 S 1 iVm Abs 4 EWGV 1408/71 auch auf jene Ansprüche anzuwenden, die sich aus der EWGV 3427/89 ergeben?

2. Wenn ja: Begann die Zwei-Jahres-Frist nach Art 94 Abs 6 S 1 EWGV 1408/71 für die Geltendmachung der sich aus der EWGV 3427/89 ergebenden rückwirkenden Ansprüche

- mit dem 15.1.1986 als dem Beginn der Geltung der EWGV 3427/89 oder

- mit dem 16.11.1989 als dem Tag ihres Inkrafttretens?

3. Soweit der im April 1991 erstmals gestellte Kindergeldantrag eines in Deutschland beschäftigten spanischen Arbeitnehmers mit in seinem Heimatland lebenden Kindern einen rückwirkenden Kindergeldanspruch ab 15.1.1986 begründet:

Gilt dies auch

- hinsichtlich der Kindergeldsätze nach Art 40 Abs 1 des deutsch-spanischen Abkommens über Soziale Sicherheit (auf die nach Art 60 Abs 2 der Beitrittsakte ab 1.1.1986 weiterhin Anspruch bestand)?

- hinsichtlich der Zeit ab 1.1.1989, als die Übergangszeit nach Art 60 Abs 1 S 1 der Beitrittsakte spätestens beendet war?

4. Das Vorabentscheidungsersuchen hat sich durch Rücknahme der Revision erledigt.

 

Normenkette

EWGV 1408/71 Art. 94 Abs. 6 S. 1, Abs. 4; EWGV 3427/89 Art. 1, 3; EWGV 1408/71 Art. 73 Abs. 1 Fassung: 1989-10-30; SozSichAbk ESP 2 Art. 40 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt rückwirkendes Kindergeld ab Januar 1986. Er ist Spanier und als Arbeitnehmer in Deutschland beschäftigt. Zwei nichteheliche Töchter wohnen in Spanien bei ihrer Mutter, die keine Familienleistungen bezieht.

Auf den im April 1991 eingegangenen Kindergeldantrag bewilligte die Beklagte Kindergeld ab Oktober 1990 in Höhe von DM 180,--/Monat. Für weiter zurückliegende Monate lehnte sie eine Kindergeldzahlung ab. Die vom Kläger begehrte weitere Rückwirkung aufgrund des Rechts der Europäischen Gemeinschaften (EG) komme nur in Betracht, soweit nach 1986 Kindergeld nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem spanischen Staat über Soziale Sicherheit gezahlt worden sei (Bescheid vom 7. Oktober 1991, Widerspruchsbescheid vom 8. November 1991).

Klage und - vom Sozialgericht (SG) zugelassene - Berufung hatten keinen Erfolg: Die zweijährige Antragsfrist nach Art 94 Abs 6 EWGV 1408/71 sei vom 1. Januar 1989 bis zum 31. Dezember 1990 gelaufen (Art 60 Abs 1 2. Alternative der Akte über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik und die Anpassungen der Verträge, die dem Vertrag vom 12. Juni 1985 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und zur Europäischen Atomgemeinschaft beigefügt ist - Beitrittsakte). Denn bis zum 31. Dezember 1988 sei die in Art 60 Abs 1 1. Alternative der Beitrittsakte genannte einheitliche Lösung für alle Mitgliedstaaten gemäß Art 99 EWGV 1408/71 noch nicht getroffen gewesen. Hieraus erkläre sich auch, warum die EWGV 3427/89, mit der jene einheitliche Lösung getroffen worden sei, keine eigenen Übergangsbestimmungen enthalte. Angesichts dieser klaren Rechtslage bestehe keine durch Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zu schließende Lücke der Anwendungsmodalitäten der EWGV 3427/89.

Hiergegen richtet sich die vom Landessozialgericht (LSG) zugelassene Revision des Klägers. Er rügt die Verletzung des Art 94 Abs 6 EWGV 1408/71. Er habe seinen Kindergeldantrag innerhalb der dort geregelten Zwei-Jahres-Frist gestellt. Diese habe nicht am 1. Januar 1989 begonnen, sondern entweder am 16. November 1989 (dem Tag der Veröffentlichung der EWGV 3427/89 vom 30. Oktober 1989 im Amtsblatt der EG) oder am 13. November 1990, dem Tag der Verkündung des Urteils des EuGH in der Rechtssache C-99/89 ("Yanez-Campoy").

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Urteile des Sozialgerichts Mannheim vom 28. August 1992 und

des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 4. März 1993 aufzuheben

und den Bescheid der Beklagten vom 7. Oktober 1991 in

Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 1991 abzuändern

und die Beklagte verpflichten, dem Kläger auch für die Zeit

von Januar 1986 bis September 1990 zu gewähren,

hilfsweise,

dem Europäischen Gerichtshof gemäß Art 177 EWG-Vertrag mit folgenden

Fragen anzurufen:

1. Begründet der neue Art 73 EWGV 1408/71 idF der EWGV

3427/89 den Anspruch auf Kindergeld ab Januar 1986, wenn der

Antrag bis zum 16. November 1991 gestellt wird?

2. Begründet das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom

13. November 1990 - C-99/89 (Yanez-Campoy) den Anspruch auf

Kindergeld ab Januar 1986, wenn der Antrag bis zum 13. November

1992 gestellt wird?

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Wenn der Verordnungsgeber in der EWGV 3427/89 keine besonderen Fristen für die Geltendmachung der hierdurch begründeten Ansprüche geregelt habe, so bedeute dies nicht, daß dann die Zwei-Jahres-Frist nach Art 94 Abs 6 EWGV 1408/71 Anwendung finde. Diese Vorschrift sei auf Rechtsakte, die die EWGV 1408/71 änderten, nicht anwendbar, sondern - abgesehen von der dort ausdrücklich geregelten Ausnahme -, nur auf Rechtsakte, aufgrund derer die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über soziale Sicherheit in einem neuen Mitgliedstaat erstmals anzuwenden seien. Ihre Anwendbarkeit im vorliegenden Falle auf Ansprüche auf Kindergeld mit Rückwirkung ab Januar 1986 unterstellt, komme auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH als Beginn zudem allenfalls der 15. Januar 1986 in Betracht - der Tag, an dem sein Urteil in der Rechtssache C-41/84 ("Pinna I") verkündet worden sei. Einer Anrufung des EuGH bedürfe es angesichts dieser eindeutigen Rechtslage nicht.

 

Entscheidungsgründe

Die Entscheidung des Rechtsstreits hat von folgenden Vorschriften und Gerichtsurteilen auszugehen:

- Nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat über Soziale Sicherheit vom 4. Dezember 1973 (BGBl 1977 II 685) idF des Ergänzungsabkommens vom 17. Dezember 1975 (BGBl 1977 II 722) in Kraft getreten am 1. November 1977 (BGBl 1977 II 1198), dort Art 40 Abs 1 Nrn 2 und 3, betrugen die Kindergeldsätze für in Spanien lebende Kinder eines Spaniers mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland DM 10,--/Monat für das erste und DM 25,--/Monat für das zweite Kind.

- Zum 1. Januar 1986 trat Spanien (zusammen mit Portugal) der EG bei. In der Beitrittsakte (Amtsblatt der EG Nr L 302 vom 15. November 1985, S 36) heißt es in Art 60 Abs 1:

"Bis zum Inkrafttreten der für alle Mitgliedstaaten einheitlichen

Lösung nach Art 99 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 ... spätestens bis

zum 31. Dezember 1988, sind Art 73 Abs 1 und 3, Art 74 Abs 1 und Art

75 Abs 1 dieser Verordnung sowie die Art 86 und 88 der Verordnung

(EWG) Nr 574/72 ... nicht auf die in einem anderen Mitgliedstaat als

Spanien beschäftigten spanischen Arbeitnehmer anwendbar, deren

Familienangehörige in Spanien wohnen.

Art 73 Abs 2, Art 74 Abs 2, Art 75 Abs 2 und Art 94 Abs 9 der

Verordnung (EWG) Nr 1408/71 sowie die Art 87, 89, 98 und 120 der

Verordnung (EWG) Nr 574/72 gelten für die genannten Arbeitnehmer

entsprechend.

Jedoch bleiben Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates unberührt,

nach denen der Arbeitnehmer Familienleistungen ohne Rücksicht darauf

erhält, in welchem Land seine Familienangehörigen wohnen."

In Abs 2 dieser Vorschrift heißt es dann:

"Ungeachtet des Art 6 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 bleiben während

des in Abs 1 bezeichneten Zeitraums folgende Bestimmungen von

Abkommen über die Soziale Sicherheit auf spanische Arbeitnehmer

anwendbar:

...

b) Spanien - Deutschland

Art 40 Abs 1 Ziff 1 bis 4 des Abkommens vom 4. Dezember 1973, idF

des Art 2 der Änderungsvereinbarung vom 17. Dezember 1975."

In den durch Art 60 Abs 1 in Bezug genommenen Vorschriften des EG-Rechts war geregelt:

In Art 73 Abs 1 EWGV 1408/71:

"Ein Arbeitnehmer, der den Rechtsvorschriften eines anderen

Mitgliedstaats als Frankreich unterliegt, hat für seine

Familienangehörigen, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen,

Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten

Staates, als ob die Familienangehörigen in diesem Staat wohnten."

Abs 2:

"Ein Arbeitnehmer, für den die französischen Rechtsvorschriften

gelten, hat für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen

Mitgliedstaates als Frankreich wohnen, Anspruch auf Familienbeihilfen

nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dessen Gebiet diese

Familienangehörigen wohnen; der Arbeitnehmer muß die

Beschäftigungsbedingungen erfüllen, an die der Leistungsanspruch nach

den französischen Rechtsvorschriften geknüpft ist."

- Nach Art 99 EWGV 1408/71 idF der EWGV 2001/83 galt:

"Der Rat prüft vor dem 1. Januar 1973 auf Vorschlag der Kommission

erneut den gesamten Fragenkreis der Zahlung von Familienleistungen an

die nicht in den zuständigen Staaten wohnenden Familienangehörigen, um

zu einer einheitlichen Lösung für alle Mitgliedstaaten zu gelangen".

- Der EuGH hat dann mit Urteil vom 15. Januar 1986 (Pinna I, Sammlung 1986, 1 = SozR 6050 Art 73 Nr 9) auf ein Vorabentscheidungsersuchen der französischen Cour de Cassation für Recht erkannt:

"1. Art 73 Abs 2 EWGV 1408/71 ist insoweit ungültig, als er

ausschließt, daß den Arbeitnehmern, die den französischen

Rechtsvorschriften unterliegen, für ihre im Gebiet eines anderen

Mitgliedstaats wohnenden Familienangehörigen französische

Familienleistungen gewährt werden.

2. Die festgestellte Ungültigkeit des Art 73 Abs 2 EWGV 1408/71 kann

nicht zur Begründung von Forderungen herangezogen werden, die sich auf

Leistungen auf Zeiträume vor dem Erlaß des vorliegenden Urteils

beziehen. Eine Ausnahme gilt für Arbeitnehmer, die vor diesem

Zeitpunkt eine Klage eingereicht oder eine gleichwertige Beschwerde

erhoben haben."

- Auf erneutes Vorabentscheidungsersuchen in derselben Rechtssache hat der EuGH mit Urteil vom 2. März 1989 (Pinna II, Sammlung 1989, 585 = SozR 6050 Art 73 Nr 11) entschieden:

"Solange der Rat keine neuen Vorschriften erläßt, die mit Art 51 EWG-

Vertrag im Einklang stehen, führt die Feststellung der Ungültigkeit

von Art 73 Abs 2 EWGV 1408/71 zur allgemeinen Anwendbarkeit des in

Art 73 Abs 1 dieser VO festgelegten Systems der Zahlung von

Familienleistungen."

- Am 30. Oktober 1989 erließ der Rat die EWGV 3427/89 (Amtsblatt der EG Nr L 331 vom 16. November 1986, S 1). Nach Art 1 Nr 1 dieser VO erhielt Art 73 EWGV 1408/71 folgende Fassung:

"Ein Arbeitnehmer oder ein Selbständiger, der den Rechtsvorschriften

eines Mitgliedstaats unterliegt, hat, vorbehaltlich der Bestimmungen

in Anhang VI für seine Familienangehörigen die im Gebiet eines anderen

Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den

Rechtsvorschriften des ersten Staates, als ob diese

Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten."

Nach Art 3 EWGV 3427/89 ist diese VO am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der EG, dh am 16. November 1989, in Kraft getreten und gilt mit Wirkung vom 15. Januar 1986.

- Auf Vorlage des SG Frankfurt hat der EuGH mit Urteil vom 13. November 1990 (Yanez-Campoy, Sammlung I 1990, 4097 = SozR 3-6050 Art 73 Nr 3) entschieden:

"Die in Art 99 EWGV 1408/71 (idF der EWGV 2001/83 vom 2. Juni

1983) vorgesehene einheitliche Lösung für alle Mitgliedstaaten ist am

15. Januar 1986 infolge des Urteils des Gerichtshofes vom selben Tage

in Kraft getreten. Die Feststellung der Ungültigkeit aus Art 73 Abs 2

EWGV 1408/71 hat zur allgemeinen Anwendbarkeit des in Art 73 Abs 1

festgelegten Systems geführt. Das Inkrafttreten dieser einheitlichen

Lösung hat gemäß Art 60 der Beitrittsakte bewirkt, daß die in einem

anderen Mitgliedstaat als Spanien beschäftigten spanischen

Arbeitnehmer, deren Familienangehörige in Spanien wohnen, seit dem 15.

Januar 1986 die Anwendung des Art 73 Abs 1 EWGV 1408/71 verlangen

können."

- Der Kläger beruft sich auf die Zwei-Jahres-Frist des Art 94 Abs 6 iVm Abs 4 EWGV 1408/71. Diese Vorschriften haben folgenden Wortlaut:

"(4) Leistungen jeder Art, die wegen der Staatsangehörigkeit oder des

Wohnorts einer Person nicht festgestellt worden sind oder geruht

haben, werden auf Antrag der betreffenden Personen ab dem 1. Oktober

1972 oder ab dem Zeitpunkt des Beginns der Anwendung dieser Verordnung

im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats oder in einem Teil davon

festgestellt oder wiedergewährt, es sei denn, daß früher festgestellte

Ansprüche durch Kapitalabfindung abgegolten worden sind.

(6) Wird der Antrag nach Abs 4 oder Abs 5 innerhalb von zwei Jahren

nach dem 1. Oktober 1972 oder nach Beginn der Anwendung im Gebiet des

betreffenden Mitgliedstaats gestellt, so werden die Ansprüche aufgrund

dieser Verordnung mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an erworben, ohne

daß der betreffenden Person Ausschlußfristen oder

Verjährungsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegengehalten werden

können. ..."

Der Senat sieht sich an einer Entscheidung des Rechtsstreits dadurch gehindert, daß die Beantwortung der aus dem Entscheidungssatz ersichtlichen Fragen nicht ohne vernünftige Auslegungszweifel möglich ist (EuGH vom 6. Oktober 1982, CILFIT, Sammlung 1982, 3415, 3428) und legt sie deshalb dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vor.

(Zu 1): Die EWGV 3427/89 enthält keine ausdrücklichen Regelungen dazu, wie und in welchem Umfang die sich aus ihr ergebenden rückwirkenden Ansprüche geltend gemacht werden können. Daher stellt sich die Frage der Anwendbarkeit der allgemeinen Regelung des Art 94 Abs 6 iVm Abs 4 EWGV 1408/71. Denn als "Zeitpunkt des Beginns der Anwendung dieser Verordnung" iS des Abs 4 könnte auch der des Beginns der Anwendung solcher Vorschriften anzusehen sein, welche die EWGV 1408/71 abändern.

Ob hierzu die EWGV 3427/89 gehört, hängt allerdings auch davon ab, ob sie - hier: zugunsten des Klägers - eigenständige neue Ansprüche begründet oder lediglich bisher schon geltendes Recht klargestellt hat. Für letztere Möglichkeit könnte sprechen, daß der EuGH im Urteil Yanez-Campoy nicht auf die EWGV 3427/89 abgestellt, sondern den Zeitpunkt des Inkrafttretens der einheitlichen Lösung nach Art 99 EWGV 1408/71 allein aus seiner Rechtsprechung begründet hat.

(Zu 2): Gilt jedoch die Zwei-Jahres-Frist des Art 94 Abs 6 EWGV 1408/71 auch für die Änderungen dieser Verordnung durch die EWGV 3427/89, so fragt sich, wann die Frist beginnt und welche Rückwirkung einem innerhalb jener Frist gestellten Antrag zukommt.

(Zu a): Stellt man insoweit auf den Beginn der - rückwirkenden - Geltung der EWGV 3427/89 ab, so bedeutet dies, daß Anträge auf die Leistungen der EWGV 3427/89 bis zum 15. Januar 1988 hätten gestellt werden müssen, um diese mit Rückwirkung ab 15. Januar 1986 erhalten zu können. Diese Frist hat der Kläger versäumt; ihm stünde kein weitergehender Kindergeldanspruch zu, als ihn die Beklagte bereits mit den angefochtenen Bescheiden bewilligt hat.

(Zu b): Stellt man jedoch für den Beginn der Zwei-Jahres-Frist des Art 94 Abs 6 EWGV 1408/71 auf den des Inkrafttretens der EWGV 3427/89 ab, so läge der Antrag des Klägers innerhalb jener Frist.

Die von ihm begehrte Rückwirkung zum 15. Januar 1986 setzt dann jedoch weiterhin voraus, daß Art 94 Abs 6 EWGV 1408/71 über seinen Wortlaut hinaus eine Rückwirkung auch für Zeiträume vor dem Beginn der Zwei-Jahres-Frist umfaßt. Denn die genannte Vorschrift umschreibt die Rückwirkung eines Antrags in der Zwei-Jahres-Frist mit den Worten: "mit Wirkung von diesem Zeitpunkt" und meint damit den der Anwendung der EWGV 1408/71, mit welchem auch die Zwei-Jahres-Frist einsetzt. In unmittelbarer Anwendung dieser Vorschrift wäre demnach keine weitergehende Rückwirkung möglich als bis zu dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der EWGV 1408/71 oder - entsprechend den obigen Ausführungen (zu 1) - einer ihrer Änderungen. Dies ergäbe für die EWGV 3427/89 eine Rückwirkung nur bis zum 16. November 1989 und nicht zum 15. Januar 1986.

Hiergegen könnte jedoch eingewandt werden, daß, wenn sich die EWGV 3427/89 eine Rückwirkung auch für Zeiträume vor ihrem Inkrafttreten beilegt, die Betroffenen auch eine Gelegenheit erhalten müssen, die hierdurch begründeten Leistungen mit jener Rückwirkung zu erhalten.

(Zu 3): Der Senat neigt zu der Auffassung, daß - entgegen der in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Ansicht - eine rückwirkende Antragstellung nach Art 94 Abs 6 iVm Abs 4 EWGV 1408/71 jedenfalls nicht voraussetzt, daß der Kläger bereits innerhalb des streitigen Zeitraums Antrag auf Kindergeld gestellt hatte. Denn auch ohne einen solchen Antrag muß das Kindergeld iS des Art 94 Abs 4 EWGV 1408/71 als "nicht festgestellt" gelten: Eine Feststellung fehlt nicht nur dann, wenn ein Leistungsantrag abgelehnt wurde, sondern gleichermaßen, wenn ein Antrag - aus welchen Gründen auch immer - gar nicht gestellt wurde. Es kann nicht Sinn des Art 94 Abs 4 EWGV 1408/71 sein, solche Ansprüche, die aufgrund jener Verordnung neu gewährt werden, von früheren (zwecklosen) Leistungsanträgen abhängig zu machen.

Auch wenn man dem Antrag des Klägers Rückwirkung auf den 15. Januar 1986 beimißt, so kann dies nach Auffassung des Senats aber nur insoweit gelten, als die EWGV 3427/89 in der Tat Ansprüche neu geregelt hat. Denn nur hinsichtlich neu begründeter Ansprüche können Leistungen iS des Art 94 Abs 4 EWGV 1408/71 "wegen der Staatsangehörigkeit oder des Wohnorts einer Person nicht festgestellt worden (sein) oder geruht haben". Dies bedeutet, daß rückwirkende Kindergeldansprüche des Klägers jedenfalls um das Kindergeld nach den Sätzen des deutsch-spanischen Abkommens über Soziale Sicherheit zu kürzen und auf die Zeit bis Ende 1988 zu beschränken wären.

(Zu a): Der Kläger hatte bereits mit dem Beitritt Spaniens zur EG am 1. Januar 1986 (weiterhin) Anspruch auf Kindergeld nach den Sätzen des Art 40 Abs 1 des deutsch-spanischen Abkommens über Soziale Sicherheit in Höhe von DM 10,--/Monat für das erste und DM 25,--/Monat für das zweite Kind; diese Bestimmung blieb kraft Art 60 Abs 2 Buchst b der Beitrittsakte ungeachtet des Art 6 EWGV 1408/71 auf spanische Arbeitnehmer anwendbar.

(Zu b): Ebenso stand dem Kläger auch ohne die Neuregelung der EWGV 3427/89 spätestens ab 1. Januar 1989 für seine in Spanien lebenden Kinder Kindergeld nach den Sätzen des BKGG zu. Zu diesem Zeitpunkt war die Übergangsfrist nach Art 60 Abs 1 Satz 1 der Beitrittsakte endgültig abgelaufen. Art 73 Abs 1 EWGV 1408/71 - idF bis zum Inkrafttreten der EWGV 3427/89 - wurde damit auf den Kläger anwendbar; er konnte somit Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland beanspruchen, als ob die Familienangehörigen in diesem Staat wohnten. Sollte der Ablauf der Übergangsfrist eine eigene Zwei-Jahres-Frist nach Art 94 Abs 6 EWGV 1408/71 in Lauf gesetzt haben, so war diese im April 1991 jedenfalls verstrichen.

Der Senat erlaubt sich abschließend, auf den Zusammenhang des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens mit der bereits beim Gerichtshof anhängigen Rechtssache C-394/93 hinzuweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1651902

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