Entscheidungsstichwort (Thema)

Fehlende Entscheidungsgründe

 

Leitsatz (redaktionell)

Zu einem LSG-Urteil mit mangelhafter Begründung (Einstufung in A 9 BBesG statt in A 7).

 

Orientierungssatz

Zur Bemessung des Berufsschadensausgleichs für einen selbständigen Landwirt ohne abgeschlossene Berufsausbildung; hier: Einstufung in die Besoldungsgruppe A9?

 

Normenkette

BVG § 30 Abs. 3 Fassung: 1966-12-28, Abs. 4 Fassung: 1971-12-16; BVG§30Abs3u4DV § 5 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1974-04-11, Abs. 2 S. 1 Fassung: 1974-04-11, Abs. 3 Fassung: 1974-04-11; SGG § 136 Abs. 1 Nr. 6 Fassung: 1953-09-03, § 128 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. Februar 1975 insoweit aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 30. Januar 1974 insoweit zurückgewiesen, als der Beklagte verurteilt worden ist, den Berufsschadensausgleich des Klägers nach einem höheren Durchschnittseinkommen als entsprechend der Besoldungsgruppe A 7 Bundesbesoldungsgesetz zu bemessen.

Der Beklagte trägt ein Viertel der außergerichtlichen Kosten des Klägers im ersten und zweiten Rechtszug.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der 1920 geborene Kläger bezieht Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 vH ua wegen inaktiver Lungentuberkulose, vorübergehender Seh- und Sprachstörungen sowie psychischer Ausfallerscheinungen. Auf seinen Antrag vom Mai 1964 gewährte ihm das Versorgungsamt einen Berufsschadensausgleich entsprechend dem Durchschnittseinkommen der Leistungsgruppe 2 eines Arbeiters im Wirtschaftsbereich "gesamte Industrie" (Bescheid vom 13. Januar 1967). Der Widerspruch, mit dem der Kläger eine Bemessung nach dem Beruf eines selbständigen Landwirts begehrte, blieb erfolglos (Bescheid vom 10. Oktober 1972). Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab (Urteil vom 30. Januar 1974). Das Landessozialgericht (LSG) hat die angefochtenen Entscheidungen abgeändert und den Beklagten verurteilt, dem Kläger ab 1. Januar 1964 Berufsschadensausgleich unter Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 9 zu gewähren (Urteil vom 28. Februar 1975): Der Kläger könne wegen der Schädigungsfolgen den Beruf des Landwirts nicht mehr ausüben, den er auch nach der Verwundung habe wiederaufnehmen wollen. Allein deshalb könne er auch nicht selbständiger Landwirt sein. Spätestens zu Beginn der fünfziger Jahre hätte er aber ohne die Schädigung eine mehr als zehnjährige Erfahrung als Landwirt gehabt, die geeignet gewesen wäre, das wirtschaftliche Ergebnis einer selbständigen Tätigkeit erheblich über das Maß hinaus zu fördern, das ohne Berufsausbildung zu erreichen sei (§ 5 Abs 2 der Verordnung zur Durchführung - DVO - des § 30 Abs 3 und 4 Bundesversorgungsgesetz - BVG -). Ungeachtet der allgemeinen Entwicklung der Landwirtschaft spreche mehr dafür als dagegen, daß der Kläger ohne die Schädigungsfolgen ein landwirtschaftliches Anwesen selbständig hätte bewirtschaften können. Er sei zu einem Viertel Miteigentümer eines landwirtschaftlichen Betriebes von ca. 90 Tagewerk gewesen und als solcher lastenausgleichsberechtigt. Spätestens seit der Feststellung des Vertreibungsschadens im Jahre 1962 hätte er mit Hilfe des Lastenausgleichsanspruches und des bis dahin aus landwirtschaftlicher Tätigkeit ersparten Kapitals selbständig werden können. Die Erreichung dieses Zieles vor 1964 sei um so wahrscheinlicher, als dem Kläger dabei die außerordentliche Tatkraft seiner Ehefrau, die in fortgeschrittenem Alter ein akademisches Studium erfolgreich abgeschlossen habe, zustatten gekommen wäre.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat die Revision gegen das Urteil zugelassen (Beschluß vom 10. Dezember 1975). Der Beklagte rügt mit der eingelegten Revision eine Verletzung des § 136 Abs 1 Nr 6 und des § 128 Abs 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG); das LSG habe nicht die Gründe angegeben, die für seine Überzeugung leitend gewesen seien, daß der zugesprochene Berufsschadensausgleich nach der Besoldungsgruppe A 9 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) zu bemessen sei. Nach den Entscheidungsgründen stände dem Kläger allenfalls ein Berufsschadensausgleich nach dem Durchschnittseinkommen entsprechend der Besoldungsgruppe A 7 BBesG zu. Aus dem Urteil sei aber nicht zu erkennen, daß der Kläger ohne die Schädigungsfolgen wahrscheinlich die Meisterprüfung abgelegt hätte, um nach der Besoldungsgruppe A 9 BBesG eingestuft werden zu können. Im übrigen vermöge das Revisionsgericht selbst zu entscheiden, daß dem Kläger nur ein nach der Besoldungsgruppe A 7 BBesG zu bemessender Berufsschadensausgleich zustehe. Er habe nie behauptet, daß er ohne die Schädigungsfolgen die Meisterprüfung abgelegt hätte.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG dahin abzuändern, daß der Beklagte dem Kläger ab 1. Januar 1964 Berufsschadensausgleich unter Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 7 BBesG zu gewähren hat.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er vertritt die Ansicht, das LSG habe zu Recht angenommen, daß er ohne die Schädigung die Meisterprüfung abgelegt hätte, und weist dazu auf einige Tatsachen aus seinem Lebenslauf hin. Diese Einstufung sei auch nach § 6 Abs 3 DVO gerechtfertigt, weil der Kläger voraussichtlich einen größeren Betrieb bewirtschaftet und dann ein Einkommen erzielt hätte, das weit über den Bezügen der Besoldungsgruppe A 7 BBesG gelegen hätte.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist erfolgreich.

Das Berufungsgericht hat den Beklagten zu Unrecht verurteilt, den Berufsschadensausgleich des Klägers nach einem Durchschnittseinkommen entsprechend den Dienstbezügen der Besoldungsgruppe A 9 BBesG statt A 7 BBesG zu bemessen. Bloß gegen diesen höheren Maßstab für die Berechnung des Vergleichseinkommens richtet sich die Revision. Infolge der Beschränkung des Revisionsantrages ist nicht zu prüfen, ob das LSG mit Recht die Bemessung des Berufsschadensausgleichs nach der Stellung eines Selbständigen (§ 5 DVO zu § 30 Abs 3 und 4 BVG) festgelegt hat, obwohl der Kläger Vertriebener ist und seine Berufsstellung dadurch und nicht durch die wehrdienstbedingte Schädigung verloren haben könnte (BSGE 34, 216 = SozR Nr 58 zu § 30 BVG; zu § 30 Abs 2 BVG: BSGE 40, 40 = SozR 3100 § 30 Nr 7). Es ist auch nicht zu erörtern, ob die Besoldungsgruppe A 5 BBesG statt der Besoldungsgruppe A 7 BBesG deshalb maßgebend sein müßte, weil der Kläger nach dem Besuch der Volksschule keine Berufsausbildung abgeschlossen hat und nicht wenigstens 10 Jahre in der Landwirtschaft oder mindestens 5 Jahre lang als selbständiger Landwirt tätig war (§ 5 Abs 1 und 3 DVO idF vom 11. April 1974 - BGBl I 927 -, Abs 2 DVO aF; BSG SozR Nr 4 zu § 5 DVO zu § 30 Abs 3 und 4 BVG vom 28. Februar 1968).

Das Berufungsurteil kann wegen eines vom Beklagten zutreffend gerügten Verfahrensfehlers insoweit keinen Bestand haben, als es mit der Revision angegriffen worden ist. Das LSG hat seine Entscheidung, daß der Beklagte das Durchschnittseinkommen nach der Besoldungsgruppe A 9 BBesG zu bemessen hat, nicht in der nach § 136 Abs 1 Nr 6 und § 128 Abs 1 Satz 2 SGG vorgeschriebenen Weise begründet. Nach diesen Bestimmungen sind im Urteil die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind (BSG SozR Nr 9 zu § 136 SGG; Nr 187 zu § 162 SGG; 1500 § 136 Nr 1; 2200 § 1246 Nr 5). Die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils lassen ausschließlich erkennen, daß das Berufungsgericht die tatsächlichen Voraussetzungen für einen nach der Besoldungsgruppe A 7 BBesG zu berechnenden Berufsschadensausgleich für gegeben gehalten hat. Dies beanstandet der Beklagte nicht. Der Kläger wäre nach der Überzeugung des LSG ohne die Schädigung in Westdeutschland selbständiger Landwirt geworden und hätte dann bis zu den fünfziger Jahren eine mehr als zehnjährige Berufserfahrung als Landwirt gehabt, was einer abgeschlossenen Berufsausbildung gleichzuachten sein soll. Hingegen hat das Berufungsgericht nicht einmal andeutend dargelegt, aus welchen Gründen nach seiner Ansicht dem Kläger ein Berufsschadensausgleich auf der Grundlage der Besoldungsgruppe A 9 BBesG zustehen soll. Seine Feststellung, die mehr als zehnjährige landwirtschaftliche Berufserfahrung, über die der Kläger zu Beginn der fünfziger Jahre verfügt hätte, wäre geeignet gewesen, "das wirtschaftliche Ergebnis der selbständigen Tätigkeit im Sinne des § 5 Abs 2 der Verordnung zu § 30 Abs 3 BVG erheblich über das ohne Berufsausbildung erreichbare Maß hinaus zu fördern" (S. 6 des Urteils), betrifft keine Befähigung, die erst durch das Bestehen der Meisterprüfung nachgewiesen wird. Vielmehr bezieht sich diese Feststellung allein auf die Anspruchsvoraussetzung, daß die abgeschlossene Berufsausbildung ersetzt sei. Die umstrittene Entscheidung hat das LSG auch nicht mit einer - unrichtigen - Ansicht begründet, etwa der, daß selbständige Landwirte nach § 5 DVO zu § 30 Abs 3 und 4 BVG stets in die Besoldungsgruppe A 9 BBesG einzustufen seien. Nach der Vorschrift des § 5 Abs 1 Satz 1 DVO zu § 30 Abs 3 und 4 BVG, die mangels einer solchen Begründung für die Überprüfung der Entscheidungsgrundlage maßgebend ist, ist nur für diejenigen Selbständigen mit Volksschulabschluß, die die Meisterprüfung abgelegt haben, der Berufsschadensausgleich nach der Besoldungsgruppe A 9 BBesG zu bemessen. Selbständige Landwirte müssen für die Berufsausübung - anders als Handwerker - nicht etwa kraft Gesetzes die Meisterprüfung bestanden haben. Das Berufungsgericht hat auch nicht stillschweigend eine allgemeine Erfahrung voraussetzen können, daß Landwirte mit eigenem Betrieb regelmäßig geprüfte Meister sind. Eine andere gleichwertige Berufsqualifikation (BSG SozR Nr 10 zu § 5 DVO zu § 30 Abs 3 und 4 BVG vom 28. Februar 1968) kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Die Urteilsgründe bieten überhaupt keinen Anhalt dafür, daß das Berufungsgericht bewußt aus irgendeinem, unter Umständen sachlich-rechtlich falschen Grund die Einstufung in die Besoldungsgruppe A 9 BBesG statt in die Besoldungsgruppe A 7 für rechtmäßig gehalten hat. Infolgedessen muß das Berufungsurteil wegen fehlender Entscheidungsgründe aufgehoben werden.

Das Revisionsgericht kann ohne weitere Sachaufklärung in der Sache selbst entscheiden (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Aus dem gesamten Vorbringen des Klägers im Verwaltungs- und im Gerichtsverfahren, auch in der Revisionsinstanz, ergibt sich kein Anhalt dafür, daß der Kläger, der nichts über eine förmliche Lehre, eine Gehilfenprüfung und einen Besuch der Landwirtschaftsschule angegeben hat, ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten sowie dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich die Meisterprüfung abgelegt hätte (§ 30 Abs 4 Satz 1 BVG). Er hat bis zum Ende des Berufungsverfahrens gar nicht behauptet, dieses Ziel hätte er ohne die Schädigungsfolgen angestrebt. Eine Bemessung des Durchschnittseinkommens entsprechend der Besoldungsgruppe A 9 BBesG kommt auch nicht gemäß § 6 Abs 3 DVO zu § 30 Abs 3 und 4 BVG in Betracht. Nach dieser Vorschrift ist eine berufliche Sonderstellung abweichend von § 5 zu bewerten, die der Beschädigte in dem nachweislich vor Eintritt der Schädigung oder der Auswirkungen der Schädigungsfolgen ausgeübten Beruf erreicht hat. Der Kläger hat aber eine solche Position nicht erworben; er war vor seinem Wehrdienst lediglich als mitarbeitendes Familienmitglied im väterlichen Betrieb tätig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649471

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