Entscheidungsstichwort (Thema)
Konkursausfallgeld. Urlaubsabgeltung. Mutterschutz. Schutzfrist. Kündigung. Sonderkündigungsrecht. einvernehmliche Beendigung
Leitsatz (amtlich)
Anspruch auf Konkursausfallgeld für eine Urlaubsabgeltung steht nur zu, soweit die abgegoltenen Urlaubstage in den Konkursausfallgeld-Zeitraum fallen. Zuzuordnen ist der Urlaubsabgeltungsanspruch dem Zeitraum vor der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dies gilt auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis wegen Mutterschutzes erst nach dem Eintritt des Insolvenzereignisses zum Ende der Schutzfrist beendet wird (Fortführung von BSG SozR 3-4100 § 141b Nr 11 und 12).
Normenkette
AFG § 141b Abs. 1; BUrlG § 7 Abs. 4; MuSchG § 10 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Sozialgerichts Kiel vom 1. September 1994 und des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 11. Mai 1995 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten in allen drei Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beklagte wendet sich gegen ihre Verurteilung, einen Anspruch der Klägerin auf Urlaubsabgeltung bei der Berechnung von Konkursausfallgeld (Kaug) zu berücksichtigen.
Das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit J.… G.…, Firma NPS-Handelskontor J.… G.…, G.…, wurde zum 5. September 1991 im gegenseitigen Einvernehmen beendet. Vom 27. Mai bis 5. September 1991 war die Klägerin wegen Mutterschutzes nicht beschäftigt worden. Am 31. Juli 1991 hatte der Arbeitgeber die Betriebstätigkeit vollständig eingestellt.
Antragsgemäß gewährte die Beklagte der Klägerin Kaug für den Zeitraum vom 1. Mai bis 31. Juli 1991 (Bescheid vom 15. November 1991). Mit ihrem dagegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin (erfolglos: Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 1992) geltend, bei der Berechnung des Kaug müsse eine ihr für 15 Urlaubstage zustehende Urlaubsabgeltung berücksichtigt werden.
Das Sozialgericht (SG) Kiel hat die Beklagte durch Urteil vom 1. September 1994 verurteilt, der Klägerin Kaug unter Berücksichtigung der bis zum 31. Juli 1991 entstandenen Urlaubsabgeltung zu gewähren. Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 11. Mai 1995 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Der Anspruch der Klägerin auf Urlaubsabgeltung falle in den Kaug-Zeitraum – die letzten dem Insolvenzereignis vorausgehenden drei Monate – vom 1. Mai bis 31. Juli 1991. Der Urlaubsabgeltungsanspruch entstehe nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zwar erst bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses und sei dem Zeitraum davor zuzuordnen. Dabei setze das BSG aber die Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers über das rechtliche Ende des Arbeitsverhältnisses voraus, die vorliegend fehle. Unter Mutterschutz habe die Klägerin ihren Urlaubsanspruch praktisch nicht verwirklichen können und sich rechtlich an einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gehindert gesehen. Bei der besonderen Gestaltung dieses Falles müsse die Urlaubsabgeltung dem – in den Kaug-Zeitraum fallenden – Zeitraum bis zum Beginn der Mutterschutzfrist zugeordnet werden.
Mit der Revision rügt die Beklagte, das Urteil des LSG weiche vom Urteil des BSG vom 27. September 1994 – 10 RAr 6/93 –, SozR 3-4100 § 141b Nr 11, ab, wonach der Urlaubsabgeltungsanspruch der Zeit vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zuzuordnen sei; dem Arbeitnehmer sei zuzumuten, das Arbeitsverhältnis wegen des Insolvenzereignisses zu beenden. Die Auffassung des LSG, die Klägerin habe nicht frei darüber entscheiden können, ob und zu welchem Zeitpunkt sie das Arbeitsverhältnis rechtlich beenden wolle, verkenne, daß sie Kenntnis von der Betriebseinstellung gehabt habe und nicht an einer Kündigung gehindert gewesen sei. Ebenso wie sie zum Abschluß des Aufhebungsvertrages vom 5. September 1991 berechtigt gewesen sei, hätte sie von ihrem Sonderkündigungsrecht gemäß § 10 Abs 1 Mutterschutzgesetz (MuSchG) bzw von dem außerordentlichen Kündigungsrecht gemäß § 626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) Gebrauch machen können.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Urteile des Sozialgerichts Kiel vom 1. September 1994 und des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 11. Mai 1995 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Nach § 141b Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) hat Anspruch auf Kaug ein Arbeitnehmer, der bei Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen seines Arbeitgebers für die letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat. Der Eröffnung des Konkursverfahrens steht bei Anwendung der Vorschriften über das Kaug die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Geltungsbereich dieses Gesetzes gleich, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Konkursverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (§ 141b Abs 3 Nr 2 AFG). Diese Voraussetzungen waren nach den das BSG bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) erfüllt.
Zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt gehören alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, die unabhängig von der Zeit, für die sie geschuldet werden, Masseschulden nach § 59 Abs 1 Nr 3a Konkursordnung (KO) sein können (§ 141b Abs 2 AFG). Hierzu zählen auch die Ansprüche auf Urlaubsabgeltung (vgl Senatsurteil vom 22. November 1994, SozR 3-4100 § 141b Nr 13 S 60 mwN; Kilger/Karsten Schmidt, Konkursordnung, 16. Aufl 1993, § 59 Anm 5 D a). Die Urlaubsabgeltung steht in unlösbarem Zusammenhang mit der Beschäftigung, denn sie wird nur gezahlt, wenn ein Urlaubsanspruch während der Beschäftigung erworben worden ist, der Urlaub aber (zB nach der allgemeinen Regelung des § 7 Abs 4 Bundesurlaubsgesetz ≪BUrlG≫) wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann.
Der Anspruch der Klägerin auf Kaug für den Urlaubsabgeltungsanspruch scheitert nicht bereits daran, daß das Arbeitsverhältnis erst nach dem Insolvenzzeitpunkt endete. Ein Urlaubsabgeltungsanspruch ist dem Zeitraum vor der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zuzuordnen. Der Senat hat insoweit wieder die frühere Rechtsprechung des BSG (BSGE 45, 191; 51, 102) fortgeführt (Senatsurteile vom 27. September 1994, SozR 3-4100 § 141b Nrn 11 und 12 sowie vom 22. November 1994, SozR 3-4100 § 141b Nr 13 S 61 mit Anm Krause, EzA § 141b AFG Nr 2). Danach ist der Urlaubsabgeltungsanspruch, welcher arbeitsrechtlich zwar zu einem bestimmten Zeitpunkt geschuldet wird, dessen Voraussetzungen aber über einen längeren Zeitraum entstanden sind, kaug-rechtlich der Zeit zuzuordnen, die der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unmittelbar vorausgeht (Senatsurteil vom 22. November 1994 aaO S 61 mwN). Dadurch wird hinreichend berücksichtigt, daß der Urlaubsabgeltungsanspruch kein Anspruch für einen Zeitpunkt, sondern für einen (Urlaubs-)Zeitraum ist. Nur eine solche Zuordnung berücksichtigt angemessen den Sinn und Zweck der drei einschlägigen Rechtsgebiete Arbeitsrecht, Konkursrecht und Kaug-Recht (BSG Urteil vom 18. Dezember 1980, BSGE 51, 102, 104 = SozR 4100 § 141b Nr 16 S 67; Senatsurteil vom 22. November 1994 aaO S 61 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ≪BAG≫). Für die Zahlung von Kaug ergibt sich mithin, daß Urlaubstage, die in die Zeit vor das Insolvenzereignis (hier: vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit) fallen, beim Vorliegen der übrigen Voraussetzungen einen Anspruch auf Kaug begründen, während die Tage, die mit dem Tag des Insolvenzereignisses zusammenfallen oder danach liegen, nicht kaugfähig sind.
Die angefochtene Entscheidung des LSG wird diesen Voraussetzungen für die Zuordnung des Urlaubsabgeltungsanspruches nicht gerecht. Entgegen der Meinung des LSG kann der Anspruch auf Urlaubsabgeltung hier nicht der Zeit zugeordnet werden, für die Ansprüche auf Kaug bestehen können. Entscheidend für die Zuordnung eines Anspruchs ist, wo sein “Schwergewicht” liegt (BSGE 51, 102, 103).
1. In Betracht könnten insoweit – neben dem Zeitraum unmittelbar vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses – auch jener Zeitraum kommen, für den die zu beanspruchenden Leistungen dem Unterhalt zu dienen bestimmt sind, oder der Zeitraum, in dem der Anspruch erarbeitet worden ist; dies hat das BSG (BSGE 51, 102 aaO) indes – überzeugend – mit der Erwägung verneint, daß ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung nur entsteht, wenn die dem Unterhalt im Urlaub dienenden Leistungen (Urlaubsentgelt, Urlaubsgeld) nicht gewährt werden können bzw der erarbeitete Anspruch auf bezahlten Urlaub gerade nicht mehr verwirklicht werden kann.
2. Der vom LSG vorgenommenen kaug-rechtlichen Zuordnung des Urlaubsabgeltungsanspruchs zum tatsächlichen Ende der Arbeitspflicht statt zum rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses, nämlich auf die 15 Tage bis zum Beginn der Mutterschutzfrist, mangelt es an einer näheren (arbeitsrechtlichen) Begründung, die dem Urlaubsabgeltungsanspruch als “Surrogat” des nicht gewährten Urlaubs (s Leinemann/Rinck, Urlaubsrecht, 1995, § 7 UrlG RdNr 183) Rechnung trägt. Dafür und für das Entstehen des Urlaubsabgeltungsanspruchs müßte zu diesem Zeitpunkt bereits feststehen, daß der erarbeitete Anspruch auf bezahlten Urlaub nicht mehr verwirklicht werden kann (BSGE 51, 102, 104). Das war vorliegend am 27. Mai 1991 nicht der Fall. Aus dem tatsächlichen Beschäftigungsende kann nicht darauf geschlossen werden, die Klägerin könne ihren Urlaub nicht mehr antreten. Erst wenn wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses Urlaub als die Befreiung von der Arbeitspflicht nicht mehr möglich ist, entsteht der gesetzliche Urlaubsabgeltungsanspruch als dessen Ersatz. Abgesehen von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist der Abgeltungsanspruch als Ersatz für den Urlaubsanspruch an die gleichen Voraussetzungen gebunden wie der Urlaubsanspruch (BAG vom 5. Dezember 1995, AP Nr 70 zu § 7 BUrlG – Abgeltung –, Bestätigung der ständigen Rechtsprechung des BAG mwN; zur Kritik hieran vgl Weber, Anm zu AP Nr 63 zu § 7 BUrlG – Abgeltung –: “simpler Geldanspruch”; dagegen Leinemann/Rinck, aaO, § 7 BUrlG RdNr 185). Nur die Verknüpfung des Urlaubsabgeltungsanspruches mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses gewährleistet, daß der Grundsatz der Unabdingbarkeit des Urlaubsanspruches (§ 13 Abs 1 BUrlG) nicht verletzt wird. Unter Berücksichtigung dessen und der Tatsache, daß der Urlaubsabgeltungsanspruch kein Anspruch für einen Zeitpunkt, sondern für einen (Urlaubs-)Zeitraum ist (BSG vom 22. November 1994 aaO), liegt das Schwergewicht dieses Anspruchs in der Zeit, die der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unmittelbar vorausgeht.
3. Wie der erkennende Senat im Anschluß an die Erwägung des 8b Senats (BSGE 51, 102, 104) zudem bereits dargelegt hat (Urteil vom 27. September 1994, SozR 3-4100 § 141b Nr 11 S 51 f), ist es nicht unbillig, die Gewährung von Urlaubsabgeltung als Kaug davon abhängig zu machen, daß der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis auch rechtlich beendet, wenn das Insolvenzereignis stattgefunden hat. Vom Insolvenzereignis an trägt der Arbeitnehmer selbst und nicht mehr die Kaug-Versicherung das Risiko des Ausfalls. Der Arbeitnehmer kann frei darüber entscheiden, ob er das Arbeitsverhältnis fortführen oder wegen des Zahlungsverzugs seines Arbeitgebers fristlos beenden will (BSGE 51, 102, 104).
An einer solchen Rechtsausübung war die Klägerin weder mutterschutzrechtlich gehindert, noch zwingen ungenügende einschlägige Rechtskenntnisse der Betroffenen zu einer erweiterten Anwendung des Mutterschutzgedankens. Die Klägerin war – wie sich aufgrund der vorliegenden Feststellungen des LSG ergibt – berechtigt, ihr Arbeitsverhältnis wegen des Zahlungsverzuges des Arbeitgebers (seit dem 1. April 1991 nach den Angaben im Kaug-Antrag) gemäß § 626 Abs 1 BGB aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist aufzulösen. Auch können die Arbeitsvertragspartner eine Lösung des Arbeitsverhältnisses vor dem Ablauf der gesetzlichen Frist des § 10 Abs 1 iVm § 6 Abs 1 MuSchG vereinbaren (vgl Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 8. Aufl, § 170 VI. 1. c S 1422). Ihr Sonderkündigungsrecht nach § 10 Abs 1 MuSchG erlaubt der geschützten Frau die Kündigung zum Ende der Schutzfrist ohne Einhaltung einer Frist. Im übrigen setzt eine Kündigung zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt nach den allgemeinen Vorschriften voraus, die gesetzlichen oder die vereinbarten Kündigungsfristen einzuhalten. Jedenfalls schränkt § 10 Abs 1 MuSchG das Kündigungsrecht der Frau nicht zusätzlich ein (vgl Bulla/Buchner, MuSchG, 5. Aufl, § 10 Rz 5; Gröninger/Thomas, MuSchG § 10 Rz 4; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, MuSchG, 5. Aufl, § 10 Rz 3). Auf mangelnde Rechtskenntnisse der Betroffenen kann es nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Möglichkeit, sich rechtlich beraten zu lassen, nicht ankommen.
Die Klägerin hat mit dem einvernehmlichen Aufhebungsvertrag vom 5. September 1991 in zulässiger Ausübung ihrer (grundgesetzlich verbürgten ≪Art 2 Abs 1, Art 12 Abs 1 GG≫) Vertragsfreiheit (§§ 241, 305 BGB; vgl allgemein Boemke, NZA 1993, S 532) den Arbeitsvertrag mit Wirkung für die Zukunft beendet (vgl BAG vom 30. September 1993, BAGE 74, 281, 289 = AP Nr 37 zu § 123 BGB). Der Senat braucht deshalb nicht der Frage nachzugehen, ob eine rückwirkende Vereinbarung noch als zulässige Rechtsausübung anzusehen gewesen wäre (verneinend Schaub aaO, § 122 I.1.; aA Staudinger-Neumann, BGB, Vorbem 11 vor § 620; Sittenwidrigkeit eines rückdatierten Aufhebungsvertrages: LAG Baden-Württemberg vom 22. Mai 1991, LAGE § 611 BGB Aufhebungsvertrag Nr 4).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
ZIP 1997, 1040 |
SozSi 1997, 439 |
SozSi 1998, 76 |