Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschädigtenversorgung. Wehrpflichtiger der NVA. Unfall auf dem Weg zur Kantine. wehrdiensteigentümliche Verhältnisse. Härteausgleich. zuständige Verwaltungsbehörde nach Wohnortwechsel. Passivlegitimation
Leitsatz (amtlich)
1. Zieht der Kläger während eines Rechtsstreits in Versorgungsangelegenheiten in ein anderes Bundesland, so führt das auf der Beklagtenseite nicht zu einem Parteiwechsel kraft Gesetzes.
2. Auch wenn ein Soldat während seiner Freizeit in der Kaserne bleiben und zum Besuch der Kantine eine öffentliche, durch das Kasernengelände führende Straße benutzen muß, beruht seine durch einen Verkehrsunfall bedingte Verletzung nicht schon deshalb auf wehrdiensteigentümlichen Umständen.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
BVG § 1 Abs. 1, § 82 Abs. 2, § 89 Abs. 1; KOVVfG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1-2; SGB X § 2 Abs. 2; SGG § 75 Abs. 2, 5
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beigeladenen zu 2) wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 25. September 1995 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger wegen eines Unfalles Leistungen im Wege der Härteregelung nach § 89 Bundesversorgungsgesetz (BVG) beanspruchen kann.
Der 1962 geborene Kläger leistete von November 1980 bis April 1982 Grundwehrdienst in der Nationalen Volksarmee (NVA) der ehemaligen DDR. Am 20. Februar 1982 gegen 18.00 Uhr wollte der Kläger nach Dienstschluß mit drei Kameraden seiner NVA-Einheit in H … die Kantine seiner Kaserne aufsuchen. Um dorthin zu gelangen, mußten der Kläger und seine drei Begleiter eine öffentliche, durch das Kasernengelände führende Fernverkehrsstraße benutzen. Dabei wurde er vom Pkw eines alkoholisierten Lenkers erfaßt und erheblich verletzt. Die Anerkennung des Unfalls als Dienst- bzw Arbeitsunfall nach § 220 Abs 1 und 4 Arbeitsgesetzbuch der DDR (AGB) wurde abgelehnt, da sich der Unfall nicht in Ausübung des Dienstes, sondern während der Freizeit ereignet habe.
Im Jahre 1989 siedelte der Kläger nach Schleswig-Holstein über und stellte dort im Dezember 1989 beim Versorgungsamt Kiel ohne Erfolg einen Antrag auf Beschädigtenversorgung im Wege des Härteausgleichs nach §§ 82 Abs 2, 89 Abs 1 BVG (Bescheid vom 31. August 1990; Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamtes Schleswig-Holstein vom 22. Juli 1991). Den im Mai 1993 gestellten Antrag auf Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen desselben Unfalles hat die Süddeutsche Metall-Berufsgenossenschaft (Beigeladene zu 1) abgelehnt, da die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Arbeitsunfall nach § 1150 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht vorlägen (Bescheid vom 20. Juli 1994; Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 1994). Über die dagegen gerichtete Klage ist bisher nicht abschließend entschieden worden.
In dem vorliegenden Rechtsstreit hatte die Klage in erster Instanz keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Kiel vom 27. Juli 1993). Auf die Berufung hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) die Metall-Berufsgenossenschaft (Beigeladene zu 1) und das Land Mecklenburg-Vorpommern (Beigeladene zu 2) beigeladen und unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide des Beklagten und des Urteils des SG Kiel vom 27. Juli 1993 den Beigeladenen zu 2) verpflichtet, dem Kläger auf seinen Antrag vom 19. Dezember 1989 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen. In den Entscheidungsgründen wird dazu im wesentlichen ausgeführt: Die örtliche Zuständigkeit und die Passivlegitimation des Beigeladenen zu 2) ergäben sich aus dem fortgeltenden Rechtsgedanken von § 4 Abs 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) sowie aus § 2 Abs 2 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X), weil der Kläger ab Oktober 1991 seinen Wohnsitz nach Mecklenburg-Vorpommern verlegt habe. Das beigeladene Land habe daher die Ermessensentscheidung nach §§ 82 Abs 2, 89 Abs 1 BVG zu treffen. Der Unfall vom 20. Februar 1982 sei auf wehrdiensteigentümliche Umstände iS des § 1 Abs 1 BVG zurückzuführen. Trotz Beendigung des Dienstes habe der Kläger am Abend des Unfalltages wegen des bevorstehenden Feldlagers das Kasernengelände nicht verlassen dürfen. Eine vergleichbare Einschränkung der Freizeitgestaltung gebe es im Zivilleben nicht. Da durch das Kasernengelände eine öffentliche Straße führe, hätten die Soldaten, um zur Kantine zu gelangen, ein Stück des Weges auf der Straße gehen und sich der vom Straßenverkehr ausgehenden Gefahr aussetzen müssen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Beigeladene zu 2) eine Verletzung der Vorschriften über die Zuständigkeit im übergeleiteten Recht sowie der §§ 82 Abs 2, 89 Abs 1 iVm § 1 Abs 1 BVG. Nach Art 19 Satz 1 und 3 des Einigungsvertrages (EinigVtr) vom 31. August 1990 seien auch ablehnende Verwaltungsakte oder Entscheidungen der DDR über den Beitritt hinaus wirksam. Nach Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet I Abschnitt III Nr 1 Buchst c Abs 8 Nr 2 EinigVtr sei aufgrund der Überleitung des Unfallrechts die Beigeladene zu 1) zuständig und damit passiv legitimiert. Folge man hingegen der Rechtsauffassung des LSG hinsichtlich der Zuständigkeit, so lägen jedoch die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für eine Ausübung des Ermessens nach § 89 Abs 1 BVG nicht vor, weil die Verletzung des Klägers weder durch eine Dienstverrichtung noch durch wehrdiensteigentümliche Verhältnisse iS des § 1 Abs 1 BVG verursacht worden sei.
Der Beigeladene zu 2) beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 25. September 1995 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 27. Juli 1993 zurückzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts vom 25. September 1995 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte und die Beigeladene zu 1) haben im Revisionsverfahren keine Anträge gestellt.
Nach Ansicht der Beigeladenen zu 1) kommt auch eine Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht in Betracht.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
1. Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Dem Beigeladenen zu 2) fehlt die Passivlegitimation. Entgegen der Auffassung des LSG hat der Umzug des Klägers während des Gerichtsverfahrens von Schleswig-Holstein nach Mecklenburg-Vorpommern auf der Beklagtenseite nicht zu einem Parteiwechsel kraft Gesetzes geführt. Das beklagte Land ist für die vom Kläger begehrte Leistung zuständig geblieben.
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) hatte der Wohnsitzwechsel des Klägers während eines Versorgungsrechtsstreits in den Zuständigkeitsbereich einer anderen Versorgungsverwaltung einen Parteiwechsel kraft Gesetzes zur Folge, dh an die Stelle des bisherigen Beklagten trat das nunmehr zuständige Land (vgl BSGE 27, 200; 62, 269; Senatsbeschluß vom 7. August 1970 – 9 RV 262/70 – unveröffentlicht). Diese Rechtsprechung stützte sich auf § 4 Abs 1 KOVVfG und ist mit dessen Aufhebung durch Art II § 16 SGB X vom 18. August 1980 (BGBl I, 1469) überholt. Seitdem gelten für die örtliche Zuständigkeit im versorgungsrechtlichen Verwaltungsverfahren nur noch §§ 3 und 4 Abs 2 KOVVfG. Nach § 3 Abs 1 KOVVfG ist örtlich zuständig die Verwaltungsbehörde, in deren Bezirk der Antragsteller zur Zeit der Stellung des Antrages seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 3 Abs 1 KOVVfG ändert sich die einmal begründete örtliche Zuständigkeit eines Versorgungsamtes während eines laufenden Verwaltungsverfahrens – jedenfalls bezüglich der vom Versorgungsberechtigten beantragten Leistung – nicht mehr.
§ 2 Abs 2 SGB X steht dem nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift kann die bisher zuständige Behörde, wenn sich im Lauf des Verwaltungsverfahrens die die Zuständigkeit begründenden Umstände ändern, das Verwaltungsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Behörde zustimmt. § 2 Abs 2 SGB X regelt selbst nicht die Zuständigkeit oder einen Zuständigkeitswechsel. Für das Versorgungsrecht sind insoweit allein §§ 3 und 4 Abs 2 KOVVfG maßgebend. Tritt indessen aufgrund von Vorschriften einzelner Rechtsgebiete ein Zuständigkeitswechsel ein, so soll § 2 Abs 2 SGB X lediglich die Fortführung eines bereits begonnenen Verwaltungsverfahrens durch die bisher zuständige Behörde ermöglichen (vgl dazu Hauck/Haines, SGB X 1, 2 – Stand April 1996 –, K § 2 RdNr 1 sowie Gesetzesbegründung zu § 2 SGB X, BT-Drucks 8/2034, S 30). Aus dieser Regelung kann aber nicht geschlossen werden, daß auch im Versorgungsrecht mit dem Wohnortwechsel während eines laufenden Verwaltungsverfahrens ein Zuständigkeitswechsel verbunden ist.
Zwar wird in der Literatur die Auffassung vertreten (Böhm, Der VersorgungsB 2/1988, S 14, Sträßer in Rohr/Sträßer, Bundesversorgungsrecht mit Verfahrensrecht, VFG/KOV-Komm, Ordner IV, Stand Dezember 1990, § 3 Anm 3, § 4 Erl K 1,2), daß die Beibehaltung der einmal begründeten Zuständigkeit eines Versorgungsamts trotz Verlegung des Wohnsitzes des Versorgungsberechtigten in den Bezirk eines anderen Versorgungsamtes nicht beabsichtigt gewesen sei und daß man – im Hinblick auf § 2 Abs 2 SGB X – ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers annehmen müsse. Für diese Auffassungen findet sich weder im Gesetzestext selbst noch in der Gesetzesgeschichte eine Stütze. Nach den Gesetzesmaterialien (vgl BT-Drucks 8/2034 S 30 und – hier wichtig – ebenda S 40) war „die Streichung von § 4 Abs 1 KOVVfG wegen § 2 Abs 2 SGB X erforderlich”. Zwar läßt diese Aussage nicht eindeutig erkennen, welche Vorstellungen der Gesetzgeber gehabt hat. Jedenfalls kann daraus nicht hergeleitet werden, daß auch im Versorgungsrecht die Verlegung des Wohnsitzes in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Versorgungsamts zu einem Wechsel der Zuständigkeit für ein schon vor der Verlegung des Wohnsitzes begonnenes Verwaltungsverfahren führen sollte. Gegen eine solche Annahme spricht auch der Wortlaut des Gesetzes. Mit der Streichung des § 4 Abs 1 KOVVfG hat der Gesetzgeber eindeutig zu erkennen gegeben, daß – im Gegensatz zum früheren Rechtszustand – der Wohnsitzwechsel auf die Zuständigkeit für ein laufendes Verwaltungsverfahren keinen Einfluß haben soll. Ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers kann demgegenüber nur angenommen werden, wenn der Wortlaut des Gesetzes offensichtlich im Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers steht, der Gesetzgeber also erkennbar etwas anderes gewollt hat, als das, was im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck gekommen ist (vgl BSGE 27, 139, 140 = SozR Nr 9 zu § 1268 RVO; BSGE 58, 180, 182 = SozR 1300 § 45 Nr 17; BSG SozR 3-4100 § 59c Nr 2; BFHE 31, 532, 533 unter Hinweis auf BFHE 17, 280, 282 sowie BVerwG, Buchholz, 310 § 40 VwGO Nr 75). Davon kann hier keine Rede sein.
Ein Zuständigkeitswechsel ist hier aber auch nicht dadurch eingetreten, daß sich an das Verwaltungsverfahren ein Rechtsstreit angeschlossen hat. Denn es entspricht den Grundsätzen der Verwaltungsökonomie, auch während eines Rechtsstreits die Behörde mit der Durchführung des Prozesses zu befassen, die bereits im Verwaltungsverfahren die streitige Angelegenheit bearbeitet hat. Abweichendes hat der Gesetzgeber hier nicht angeordnet.
Damit steht fest, daß das LSG den Beigeladenen zu 2) zu Unrecht zur Neubescheidung verpflichtet hat. Dieser ist nicht für die Entscheidung über den Antrag des Klägers zuständig, also nicht passiv legitimiert. Gleichwohl durfte das LSG das Land Mecklenburg-Vorpommern beiladen. Denn nach § 75 Abs 2 Alternative 2 SGG sind, wenn sich im Verfahren ergibt, daß bei der Ablehnung des Anspruchs ein anderer Versicherungsträger oder in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung ein Land als leistungspflichtig in Betracht kommt, diese beizuladen. Schon der Wortlaut „in Betracht kommt”) macht deutlich, daß die Zulässigkeit der Beiladung nicht davon abhängt, ob der Beizuladende tatsächlich für die Leistung zuständig ist, es genügt vielmehr die Möglichkeit. Hierfür sprechen auch der Sinn und Zweck der Regelung des § 75 Abs 2 Alternative 2 und Abs 5 SGG. Der Gesetzgeber wollte aus prozeßökonomischen Gründen den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit die Möglichkeit eröffnen, in Fällen, in denen der Kläger einen für die Leistung Unzuständigen verklagt hat, den in Wirklichkeit passiv Legitimierten zu verurteilen, um einen neuen Rechtsstreit und damit auch einander möglicherweise widersprechende Urteile verschieden besetzter Spruchkörper zu vermeiden (BSGE 9, 67, 69; 49, 143, 145; BSG, Urteil vom 31. Mai 1988 – 2 RU 67/87 – HV-INFO 1988, 1607, 1609). Stellt sich allerdings – wie hier – im Revisionsverfahren heraus, daß der verurteilte Beigeladene für die Leistung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zuständig ist, und muß der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen werden, so hat das LSG die Beiladung wieder aufzuheben, weil mit dem Revisionsurteil der Grund für die Beiladung entfallen ist (zur Aufhebung einer unzulässigen Beiladung vgl BSG SozR 3-1500 § 75 Nr 7).
2. Ob der Kläger Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung im Wege der Härteregelung nach §§ 82 Abs 2, 89 Abs 1 BVG hat, konnte der Senat nicht abschließend entscheiden, weil das angefochtene Urteil keine ausreichenden Feststellungen darüber enthält, ob der Kläger eine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat.
Sollte sich der Unfall des Klägers in dessen Freizeit ereignet haben, war er jedenfalls nicht durch wehrdiensteigentümliche Verhältnisse verursacht. Hat er sich hingegen auf einem Dienstweg des Klägers ereignet, kommt eine Versorgung nach dem BVG in Betracht. In rechtlicher Hinsicht wird das LSG insoweit folgendes zu beachten haben:
Nach § 82 Abs 2 BVG kann Versorgung nach diesem Gesetz an Vertriebene iS des § 1 Bundesvertriebenengesetz (BVFG), die deutsche oder deutsche Volksangehörige sind, gewährt werden, wenn sie nach dem 8. Mai 1945 in Erfüllung ihrer gesetzlichen Wehrpflicht nach den im Vertreibungsgebiet geltenden Vorschriften eine Schädigung iS des § 1 Abs 1 BVG erlitten haben. Der Kläger gehört nicht zu dem Personenkreis der Vertriebenen iS des § 1 BVFG. Allerdings hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) im Einzelfall Flüchtlingen aus der ehemaligen DDR Versorgung im Wege des Härteausgleichs nach § 89 BVG zuerkannt, wenn sie in Erfüllung ihrer gesetzlichen Wehrpflicht eine Schädigung erlitten und ihre Versorgungsansprüche wegen der Flucht verloren hatten (vgl Rundschreiben des BMA vom 6. Februar 1969 – V/3-5241-2773/68 – und vom 29. Oktober 1970 – V/3-5241-1208/70 – beide unveröffentlicht und vom 8. Oktober 1991 – VIa1/52056 –, BArbBl 1991, Nr 12 S 81; BSG, Urteil vom 25. Oktober 1989 – 2 RU 40/86 – in: HV-INFO 1990, 314 ff = SGb 1990, 465 ff; BSG SozR 3-8110 Kapitel XIX B III Nr 5, Nr 1; BSGE 78, 265, 267 = SozR 3-5050 § 5 Nr 2). Damit sollte dem rechtspolitischen Gedanken des § 82 Abs 2 BVG Rechnung getragen werden, der allen Deutschen und deutschen Volkszugehörigen Versorgungsschutz einräumen wollte, die in Erfüllung gesetzlicher Wehrpflicht außerhalb des Geltungsbereiches des BVG eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben und die ihren Wohnsitz im Geltungsbereich des BVG genommen hatten und die keinen zu verwirklichenden Anspruch aus der gleichen Ursache gegen das Land hatten, das die Dienstpflicht gefordert hatte. Nach Nr 1 des Rundschreibens des BMA vom 8. Oktober 1991 (vgl aaO) können Wehrpflichtige der NVA, die vor dem 19. Mai 1990 in die Bundesrepublik übergesiedelt sind, nach wie vor Versorgung nach § 82 Abs 2 iVm § 89 Abs 1 BVG erhalten. Zu diesem Personenkreis gehört der Kläger, weil er zwischen November 1980 und April 1982 Grundwehrdienst in der NVA der ehemaligen DDR leistete und bereits im Dezember 1989 in das Bundesgebiet nach Schleswig-Holstein übersiedelte.
Der Beklagte hätte Verwaltungsermessen (§ 39 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – ≪SGB I≫) entsprechend dem Zweck der Ermächtigung nach §§ 82 Abs 2, 89 Abs 1 BVG iVm dem Rundschreiben des BMA vom 8. Oktober 1991 jedoch nur dann ausüben müssen, wenn der Kläger eine Schädigung iS des § 1 Abs 1 BVG erlitten haben sollte. Nach dieser Vorschrift erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung, wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen Dienstes oder durch die dem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat (§ 1 Abs 1 BVG wie § 81 Abs 1 Soldatenversorgungsgesetz ≪SVG≫). Militär- bzw wehrdiensteigentümliche Verhältnisse haben den Unfall vom 20. Februar 1982 jedoch nicht verursacht oder mitverursacht (vgl BSG SozR 3200 § 81 Nr 31). Das gilt gleichermaßen für die vom LSG angeführten Gesichtspunkte der Kasernierung der NVA-Soldaten wegen des bevorstehenden Feldlagers und die damit verbundene Einschränkung, die Freizeit nicht in einer anderen Gaststätte verbringen zu können, wie auch für den Umstand, sich den Gefahren einer öffentlichen Straße aussetzen zu müssen, sowie für die Teilnahme des Klägers an dem Treffen in der Kaserne aus kameradschaftlichem Pflichtgefühl.
Militär- bzw wehrdiensteigentümlich sind Verhältnisse, die der Eigenart des Dienstes typischerweise entsprechen und zwangsläufig, jedenfalls im allgemeinen, eng mit dem Dienst verbunden sind (vgl bereits BSG SozR BVG § 1 Nr 80). Der Tatbestand des § 1 Abs 1 BVG erfaßt damit ebenso wie der des gleichlautenden § 81 Abs 1 SVG alle Einflüsse des Wehrdienstes, die aus der besonderen Rechtsnatur dieses Verhältnisses und der damit verbundenen Beschränkung der persönlichen Freiheit des Soldaten folgen. Wehrdiensteigentümliche Verhältnisse können sich daher auch außerhalb der Ausübung des Wehrdienstes in der Freizeit (Streit infolge Aggressionsstaus: BSG SozR BVG § 1 Nr 80 und SozR 3200 § 81 Nr 11; Besonderheiten des Kasernengebäudes: BSG SozR 3200 § 81 Nr 31; Verkehrsunfall in Bundeswehranlage: BSG SozR 3200 § 81 Nr 30; Zusammenleben auf engem Raum: BSG SozR 3200 § 81 Nr 21), während Dienstpausen und während privater Verrichtungen ergeben (BSG SozR 3200 § 81 Nr 31 mwN; BGH VersR 1993, 591, 592). Zu den wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen sind aber auch besondere Anforderungen an das Verhalten des Soldaten zu rechnen, wenn sie seine Eigenverantwortung einschränken und ihn zB zu einer bestimmten Gestaltung seiner Freiheit zwingen (Zwang zu kameradschaftlichem Verhalten: BSG SozR 3200 § 81 Nr 11 und Urteile vom 17. November 1981 – 9 RV 20/81 –; Breith 1982, 610 und vom 20. April 1983 – 9a RV 30/82 – HV-INFO 1986, 1029; Zwang zum Kasernenaufenthalt auch während der Freizeit: BSG SozR 3200 § 81 Nr 19; Verpflichtung des Soldaten, sich gesund zu erhalten: BSG SozR 3200 § 81 Nr 15).
Die Kasernierung der NVA-Soldaten und die damit einhergehende Beschränkung der Freizeitgestaltung können zwar als wehrdiensteigentümliche Verhältnisse angesehen werden (vgl BSG SozR 3200 § 81 Nrn 11, 19, 21 und 31). Diese Verhältnisse müßten jedoch eine mindestens gleichwertige Bedingung und damit eine wesentliche Mitursache des Unfalls im versorgungsrechtlichen Sinne gewesen sein (vgl BSGE 1, 268, 269 f; BSG SozR 3200 § 81 Nr 30, S 120/121 und Nr 31, S 126 ff). Dies ist hier nicht der Fall. Der Unfall des Klägers ist vielmehr wesentlich auf wehrdienstfremde Umstände zurückzuführen. Der Kläger ist am 20. Februar 1982 auf einer öffentlichen Fernverkehrsstraße als Fußgänger vom Pkw eines alkoholisierten Lenkers erfaßt und schwer verletzt worden. Damit wurde er Opfer des allgemeinen Straßenverkehrs, wie es auch einem Verkehrsteilnehmer im Zivilleben passieren kann.
Die Gefahr, im allgemeinen Straßenverkehr als Fußgänger angefahren und verletzt zu werden, erhielt auch nicht etwa dadurch ein wehrdiensteigentümliches Gepräge, daß das Kasernengelände, auf dem der Kläger Dienst verrichtete, durch eine öffentliche Straße durchschnitten wurde. Deren Benutzung durch die in der Kaserne stationierten Soldaten entsprach nicht typischerweise der Eigenart ihres Dienstes, denn sie mußten die öffentliche Straße immer nutzen, sei es aus dienstlichen oder privaten Gründen, wenn sie auf den jeweils anderen Teil des Kasernengeländes gelangen oder in der Freizeit das Kasernengelände verlassen wollten, um zB eine Heimfahrt anzutreten oder auch eine naheliegende Gaststätte zu besuchen. Bereits in seinem Urteil vom 25. Mai 1988 (SozR 3200 § 81 Nr 30) hat der Senat für einen Soldaten Versorgungsschutz verneint, der während seiner uneingeschränkten Freizeit auf der Straße in einer Bundeswehranlage durch einen Offizier angefahren wurde, weil sich der dortige Verkehr nicht wesentlich vom Werks- oder Behördenverkehr innerhalb einer geschlossenen zivilen Anlage unterscheidet. Der vom LSG angenommene gefahrenträchtige Zustand für die Soldaten ist insofern auch nicht vergleichbar mit sonstigen Gefahren, die von der Lage und Baulichkeiten einer Kaserne ausgehen können.
Im übrigen wäre der Kläger einem wehrdiensteigentümlichen Zwang zur Teilnahme an der Zusammenkunft in der Kantine nur unterlegen, hätte er sich dem berechtigten Vorwurf unkameradschaftlichen Verhaltens nicht entziehen können (vgl BSG, Urteil vom 25. Juni 1973 – 9 RV 689/72 – Breith 1974, 699, 700; BSG, Urteil vom 17. Dezember 1997 – 9 RV 19/96 –). Der Begriff „berechtigt” ist vom Standpunkt eines vernünftig denkenden Soldaten und unter Beachtung der dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse zu beurteilen (BSGE 33, 239, 244 ff = SozR SVG § 81 Nr 2; BSG, Urteil vom 17. November 1981 – 9 RV 20/81 – Breith 1982, 610; BSG, Urteil vom 17. Dezember 1997 – 9 RV 19/96 –). Sollte sich der Kläger aufgrund einer Verabredung mit drei Kameraden freiwillig in die Kantine begeben haben, dürfte es an den erforderlichen Voraussetzungen fehlen (vgl dazu BSG SozR 3-3200 § 81 Nr 14).
Eine dienstliche Veranstaltung am Abend des 20. Februar 1982 in der NVA-Kantine kommt nur in Betracht, wenn das LSG sowohl eine „materielle Dienstbezogenheit” als auch eine „formelle Organisation” durch den Dienstherrn oder einen von ihm Beauftragten feststellen sollte (vgl BSG SozR 3-3200 § 81 Nr 14, S 60, 61 sowie Senatsurteil vom 17. Dezember 1997 – 9 RV 19/96 unter Hinweis auf den Erlaß des Bundesministeriums für Verteidigung vom 15. Mai 1981 – VMBl 1981, 239 über „Dienstliche Veranstaltungen geselliger Art”).
Ob sich der Kläger am Unfalltag auf dem Weg zu einer dienstlichen Veranstaltung befand, kann das LSG durch Auswertung der bereits in der Berufungsinstanz im Wege der Rechtshilfe eingeholten Aussagen der Zeugen H …, S … und F … oder durch nochmalige Einvernahme dieser Zeugen feststellen. Sollte eine dienstliche Veranstaltung am Abend des 20. Februar 1982 stattgefunden haben, so hätte das LSG ferner zu klären, ob eine besondere Härte iS des § 89 Abs 1 BVG vorliegt, die sich im Einzelfall aus den Vorschriften des BVG und nicht aus einem Vergleich mit Ansprüchen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ergeben muß (vgl BSG, Urteil vom 25. Oktober 1989 – 2 RU 40/86 – in: HV-INFO 1990, 314 ff = SGb 1990, 465 ff).
Das LSG wird auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
SozR 3-3100 § 89, Nr. 4 |
SozSi 1998, 438 |
SozSi 1998, 439 |