Entscheidungsstichwort (Thema)

Anrechnung von Übergangsgeldzeiten auf die Höchstbezugsdauer für Krankengeld

 

Leitsatz (redaktionell)

Auf die Höchstbezugsdauer für Krankengeld (RVO § 183 Abs 2) sind Bezugszeiten, für die der Anspruch auf - ein rückwirkend gewährtes - vorgezogenes Übergangsgeld auf die Krankenkasse übergegangen ist, nicht anzurechnen, wenn die Krankenkasse aus dem Übergangsgeld voll entschädigt wird; eine Anrechnung ist jedoch dann vorzunehmen, wenn die Krankenkasse - wirtschaftlich gesehen - mit einem Teil des Krankengeldes endgültig belastet bleibt.

 

Normenkette

RVO § 183 Abs. 2

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 8. Dezember 1971 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die bei der Beklagten versicherte Klägerin begehrt von dieser Krankengeld ab 30. Mai 1968 für 180 Tage. Die beklagte DAK verweigert diese Leistung, weil sie die Zeit eines nachträglich von dem Rentenversicherungsträger gezahlten Übergangsgeldes auf die Bezugsdauer des Krankengeldes von 78 Wochen anrechnen will.

Die Klägerin war wegen der Folgen eines Unfalls vom 27. August 1966 bis 31. Oktober 1967 und erneut ab 27. November 1967 arbeitsunfähig krank. Die Beklagte gewährte ihr - nach Ende der Gehaltsfortzahlung - für die Zeit vom 8. Oktober 1966 bis 24. August 1967 und vom 28. November 1967 bis 29. Mai 1968 Krankengeld. Auf den Rentenantrag der Klägerin vom 22. Februar 1967 bewilligte der Rentenversicherungsträger ihr für die Zeit vom 25. August 1967 bis 31. Oktober 1967 ein Heilverfahren (einschließlich Schonzeit) und mit Bescheid vom 4. Oktober 1967 für die Zeit vom 26. Februar bis zum 24. August 1967 vorgezogenes Übergangsgeld in Höhe von DM 14,20 täglich. Die Beklagte leitete das vorgezogene Übergangsgeld in voller Höhe auf sich über; das im gleichen Zeitraum gezahlte Krankengeld hatte DM 17,25 täglich betragen. Mit eingeschriebenem Brief vom "7. Mai 1968", laut Einlieferungsschein am 30. April 1968 zur Post gegeben, teilte sie der Klägerin mit, daß ihr Anspruch auf Krankengeld innerhalb der Dreijahresfrist (27. August 1966 bis 27. August 1969) mit dem 29. Mai 1968 ende. Dabei hatte sie die Zeit vom 26. Februar 1967 bis zum 24. August 1967 als Zeit des Krankengeldbezuges angerechnet. Eine Rechtsbehelfsbelehrung war in dem Schreiben nicht enthalten. In ihrem Brief vom 4. Juli 1969, bei der Beklagten eingegangen am 8. Juli 1969, bat die Klägerin um Weiterzahlung des Krankengeldes über den 29. Mai 1968 hinaus für weitere 180 Tage. Mit Bescheid vom 14. Juli 1969 lehnte die Beklagte dies mit genauen datenmäßigen Angaben der zu beanspruchenden und der bereits bezogenen Leistungen ab. Den Widerspruch der Klägerin vom 23. Juli 1969 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. November 1969 zurück.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, über den 30. Mai 1968 hinaus Krankengeld für weitere 180 Tage zu zahlen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß Zeiten, in denen dem Versicherten vom Rentenversicherungsträger nachträglich Übergangsgeld nach § 1241 Abs. 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zugebilligt worden sei, auf die Bezugsdauer des Krankengeldes (§ 183 Abs. 2 RVO) dann anzurechnen seien, wenn das für den gleichen Zeitraum gezahlte Krankengeld höher sei als das Übergangsgeld und zu Lasten der Krankenkasse ein Krankengeldspitzenbetrag verbleibe.

Mit der zugelassenen Revision weist die Klägerin auf die Entscheidung des erkennenden Senats in SozR Nr. 35 zu § 183 RVO hin, wonach für den Ablauf der Frist des § 183 Abs. 2 RVO die Zeit nicht berücksichtigt werde, in der das Krankengeld wegen Bezugs von Übergangsgeld entfalle. Auch habe der erkennende Senat in der Entscheidung vom 25. April 1969 - 3 RK 85/67 - (WzS 1970, 18) ausgeführt, daß eine Zeit, während der Übergangsgeld bezogen werde, nicht auf die Leistungsdauer des Krankengeldes anzurechnen sei. Würde man die Tatsache, daß die Krankenkasse einen Spitzenbetrag ihres gezahlten Krankengeldes wegen der niedrigeren Höhe des Übergangsgeldes nicht ersetzt bekomme, zum Anlaß nehmen, die Bezugsdauer des Krankengeldes zu verkürzen, dann würden Versicherte mit sehr hohem, über der Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenversicherung liegenden Arbeitsentgelt außer höheren Leistungen an Verletzten- oder Übergangsgeld einen Anspruch auf längere Bezugsdauer des Krankengeldes haben als die geringer verdienenden Versicherten. Daß der sogenannte Spitzenbetrag auch rechtlich kein Kriterium bilden könne, ergebe sich aus § 183 Abs. 3 Satz 3 RVO. Danach müßten die Träger der Krankenversicherung die evtl. verbleibenden Spitzenbeträge "abschreiben". Damit seien alle Ersatzansprüche der Krankenkasse entfallen, so daß es nicht angehe, bei der Prüfung der Leistungsdauer erneut Rechte aus der Tatsache herzuleiten, daß die Krankenkasse den Spitzenbetrag habe tragen müssen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des LSG Hamburg vom 8. Dezember 1971 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Hamburg vom 20. Januar 1971 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision der Klägerin gegen das Urteil des LSG Hamburg vom 8. Dezember 1971 zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

II

Die Revision ist unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom "7. Mai 1968", in dem sie der Klägerin mitgeteilt hat, daß das Krankengeld nur noch bis zum 29. Mai 1968 gezahlt werde, ist bindend geworden (§ 77 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Der mittels eingeschriebenen Briefs zugestellte Bescheid ist laut Einlieferungsschein am 30. April 1968 zur Post abgegangen, gilt also gemäß § 4 Abs. 1 Verwaltungszustellungsgesetz vom 3. Juli 1952 mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, also mit dem 3. Mai 1968, als zugestellt. Da der Bescheid nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, hätte die Klägerin Widerspruch innerhalb eines Jahres seit Zustellung einlegen können (§ 66 Abs. 1 SGG). Diese Frist hat sie versäumt. Die Beklagte hat aber auf die schriftlichen Gegenvorstellungen der Klägerin vom 4. Juli 1969 hin sich nicht auf die Bindung ihres Verwaltungsaktes vom 7. Mai 1968 berufen, sondern mit einem neuen Bescheid vom 14. Juli 1969 die Weitergewährung von Krankengeld - unter eingehender Würdigung der neu von der Klägerin vorgetragenen Gründe - abgelehnt. Jedenfalls in einem Fall dieser Art ist der neue Bescheid auf Klage von den Gerichten in vollem Umfange nachzuprüfen (vgl. auch BSG 18, 22 zur Nachprüfung von "Zweitbescheiden" in der Kriegsopferversorgung).

Mit Recht ist das LSG zu dem Ergebnis gekommen, daß die Beklagte die Zeit der Zahlung des vorgezogenen Übergangsgeldes vom 26. Februar 1967 bis 24. August 1967 auf die Bezugsdauer des Krankengeldes anrechnen darf, die Klägerin mithin eine Weiterzahlung des Krankengeldes über den 29. Mai 1968 hinaus nicht beanspruchen kann.

Wie der erkennende Senat bereits in früheren Urteilen (SozR Nr. 65 zu § 183 RVO und BKK 1972, 307, 308) in Fortführung und Ergänzung seiner bisherigen Rechtsprechung (BSG 27, 66, 68; SozR Nr. 55 zu § 183 RVO) entschieden hat, sind auf die Bezugsdauer des Krankengeldes (§ 183 Abs. 2 RVO) auch solche Zeiten anzurechnen, für die der Krankenkasse das gezahlte Krankengeld aus einem rückwirkend bewilligten Übergangsgeld nur teilweise ersetzt worden ist, da das Übergangsgeld niedriger als das Krankengeld war. Sie hat deshalb die genannte Zeit mit Recht auf die Höchstbezugsdauer des Krankengeldes (78 Wochen innerhalb von 3 Jahren seit Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, § 183 Abs. 2 RVO) angerechnet.

Richtig ist allerdings, daß der Anspruch auf Krankengeld entfällt, solange von einem Träger der Rentenversicherung Übergangsgeld gewährt wird (§ 183 Abs. 6 RVO); diese Zeit ist dann grundsätzlich nicht auf die Bezugsdauer des Krankengeldes anzurechnen (vgl. BSG 28, 244 für die sechswöchige Bezugsdauer nach § 183 Abs. 4 RVO). Ob auch bei nachträglicher Gewährung von Übergangsgeld der Anspruch auf das - für die gleiche Zeit bereits gezahlte - Krankengeld rückwirkend entfällt, oder ob in einem solchen Fall das Krankengeld im Verhältnis zum Zahlungsempfänger weiterhin als rechtmäßig gezahlt gilt und nur eine Erstattungsregelung zwischen den beteiligten Versicherungsträgern Platz greift (vgl. Spitzenverbände der Krankenkassen in DOK 1970, 137), kann unentschieden bleiben. Selbst wenn ersteres anzunehmen wäre, der Krankengeldanspruch mithin bei nachträglicher Gewährung von Übergangsgeld rückwirkend entfiele, wäre die Zeit der ohne Rechtsgrund erfolgten Krankengeldzahlung nur dann nicht auf die Bezugsdauer des Krankengeldes anzurechnen, wenn die Krankenkasse aus dem Übergangsgeld voll entschädigt wird (BSG in SozR Nr. 55 zu § 183 RVO unter Hinweis auf BSG 31, 72, zum Zusammentreffen von Kranken- und Verletztengeld). Wird die Krankenkasse dagegen nur teilweise aus der Leistung des anderen Versicherungsträgers entschädigt, bleibt sie also, wirtschaftlich gesehen, mit einem Teil des Krankengeldes endgültig belastet, ist auch eine solche Zeit der Zahlung von Krankengeld auf dessen Bezugsdauer anzurechnen. Daher widersprechen die von der Klägerin in ihrer Revisionsbegründung angeführten Urteile des erkennenden Senats (SozR Nr. 35 zu § 183 RVO und WzS 1970, 18) nicht den hier gemachten Ausführungen. Denn in den diesen Urteilen zugrunde liegenden Sachverhalten blieb der Krankenversicherungsträger gerade nicht für die Zeit des Bezuges von Übergangsgeld teilweise wirtschaftlich belastet.

Das LSG hat insoweit mit Recht auf Entscheidungen des erkennenden Senats verwiesen, in denen ausgesprochen ist, daß sich bei rückwirkender Bewilligung von Erwerbsunfähigkeitsrente für eine Zeit des Bezuges von Krankengeld dessen Bezugsdauer nicht verlängert, wenn die Rente niedriger als das Krankengeld ist und die Krankenkasse deshalb aus der Rentennachzahlung keinen vollen Ersatz erhält (BSG 27, 66, 68; BKK 1969, 38, 188). Das gleiche muß für den hier gegebenen Fall gelten, daß nicht Erwerbsunfähigkeitsrente, sondern Übergangsgeld rückwirkend bewilligt worden ist. Auch dann geht nämlich - unter sinngemäßer Anwendung der für die Erwerbsunfähigkeitsrente getroffenen Regelung (§ 183 Abs. 3 Sätze 2 und 3 RVO) - einerseits der Anspruch auf das Übergangsgeld bis zur Höhe des gezahlten Krankengeldes auf die Krankenkasse über; andererseits kann diese, wenn das Krankengeld das Übergangsgeld übersteigt, den überschießenden Betrag vom Versicherten nicht zurückfordern (BSG 25, 6; 31, 168). In allen Fällen, in denen die Krankenkasse hiernach für das von ihr gezahlte Krankengeld nur teilweise Ersatz aus einer rückwirkend bewilligten Leistung eines anderen Versicherungsträgers (Rente, Übergangsgeld) erhält, ist die Zeit der Zahlung des Krankengeldes auf dessen Höchstbezugsdauer anzurechnen. Der in der Revisionsbegründung vorgetragenen Auffassung der Klägerin, daß die Beklagte den Spitzenbetrag des Krankengeldes gemäß § 183 Abs. 3 Satz 3 RVO abschreiben müsse, weitere Rechtsfolgen hinsichtlich der Bezugsdauer des Krankengeldes nicht entstünden, kann somit nicht gefolgt werden.

Auch kann ihr Einwand nicht überzeugen, durch die Rechtsprechung des Senats würden solche Versicherten ungerechtfertigt bevorzugt, die wegen eines über der Beitrags- und Leistungsbemessungsgrenze der Krankenversicherung liegenden Verdienstes ein hohes Übergangsgeld erhielten, aus welchem zwischenzeitliche Krankengeldzahlungen der Krankenkasse voll ersetzt werden könnten, so daß die betreffende Zeit dann nicht auf die Bezugsdauer des Krankengeldes anzurechnen sei, diese sich also entsprechend verlängere.

Hierbei wird übersehen, daß die genannte Versichertengruppe trotz Entrichtung von Beiträgen sowohl zur Kranken- wie zur Rentenversicherung für die Zeit des Zusammentreffens von Krankengeld und Übergangsgeld Leistungen nur in Höhe des Übergangsgeldes erhält, während anderen Versicherten, deren Übergangsgeld niedriger als das Krankengeld ist, bei rückwirkender Bewilligung von Übergangsgeld der überschießende Betrag des Krankengeldes verbleibt (§ 183 Abs. 3 Satz 3 RVO; BSG 25, 6). Für die zuletzt genannten Versicherten kann sich im übrigen auch nur unter besonderen Umständen ein Nachteil bei der Krankengeldgewährung ergeben, nämlich dann, wenn die Differenz zwischen Kranken- und Übergangsgeld und damit die den Versicherten verbleibende Krankengeldspitze relativ gering ist (was allerdings beim Zusammentreffen von Krankengeld und Übergangsgeld wegen der ähnlichen Bemessungsmaßstäbe eher geschehen kann als etwa beim Zusammentreffen von Krankengeld und Rente), wenn außerdem die nach Abschluß des Rehabilitationsverfahrens noch nicht ausgeschöpfte Krankengeldbezugszeit verhältnismäßig lang ist und wenn schließlich das Rehabilitationsverfahren erfolgreich beendet worden ist, so daß dem Versicherten für die Folgezeit kein - das Krankengeld verdrängender - Rentenanspruch mehr zusteht, gleichwohl aber seine Arbeitsunfähigkeit andauert. In allen sonstigen - zahlenmäßig wohl weit überwiegenden - Fällen, in denen auch nur eine der genannten Voraussetzungen fehlt, können einem Versicherten daraus, daß ihm neben dem rückwirkend bewilligten Übergangsgeld ein Teil des Krankengeldes verbleibt, nicht nur keine Nachteile entstehen; er wird vielmehr gegenüber anderen Versicherten, bei denen die Krankenkasse für das gezahlte Krankengeld vollen Ersatz aus dem (höheren) Übergangsgeld erhält, in der Regel begünstigt, weil ihm neben dem Übergangsgeld noch ein Teil des Krankengeldes verbleibt. Daß dieser Vorteil sich in Ausnahmefällen auch einmal in einen Nachteil für die Bezugsdauer des Krankengeldes verkehren kann, muß bei der gerade im Sozialrecht erforderlichen - und auch vom Bundesverfassungsgericht gebilligten (vgl. zuletzt SozR Nr. 63, 66, 71 und 90 zu Art. 3 Grundgesetz) - generellen Betrachtungsweise hingenommen werden, solange sich der Gesetzgeber nicht zu einer - auch diese Ausnahmefälle berücksichtigenden - Sonderregelung entschließt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650345

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge