Entscheidungsstichwort (Thema)
Beiladung. Dienstordnung. Krankenkasse
Orientierungssatz
1. Auch ein am Verfahren Beteiligter, der nach § 75 Abs 1 S 1 SGG beigeladen ist, kann Revision einlegen; er darf jedoch keine abweichenden Sachanträge stellen (§ 75 Abs 4 S 2 SGG).
2. Die Dienstordnung einer KK, die auf den Erlassen des RAM vom 27.9.1940 (AN 1940, 348) und vom 2.4.1942 (AN 1942, 244) beruht und im wesentlichen gleichlautend bei allen Versicherungsträgern des Reichsgebietes, für deren Bedienstete eine Dienstordnung erforderlich war, eingeführt wurde, ist als "sonstige Vorschrift" iS des § 162 Abs 2 SGG revisibel.
3. Weihnachtszuwendungen, die vom Vorstand einer KK nur für ein Jahr beschlossen werden, stellen keine "Besoldung" (vgl § 355 Abs 2 S 2 RVO) dar und brauchen nicht in den "Besoldungsplan" der Dienstordnung (§ 353 Abs 1 S 1 RVO) aufgenommen zu werden. Sie dürfen daher im Rahmen der von der Vertreterversammlung bereitgestellten Mittel gewährt werden, auch wenn sie in der Dienstordnung nicht vorgesehen sind (vgl BSG 1958-12-04 3 RK 7/58 = BSGE 8, 291).
Normenkette
SGG § 75 Abs. 1 S. 1, § 162 Abs. 2; RVO § 353 Abs. 1 S. 1; SGG § 75 Abs. 1 S. 4; RVO § 355 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 03.12.1957) |
SG Düsseldorf (Entscheidung vom 09.07.1956) |
Tenor
Die Revisionen des beklagten Versicherungsamts der Stadt Düsseldorf und des beigeladenen Arbeits- und Sozialministers des Landes Nordrhein-Westfalen gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. Dezember 1957 werden zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Die klagende Ortskrankenkasse hatte ihren Angestellten in den Jahren 1948 bis 1953 Weihnachtszuwendungen gewährt. Auch diejenigen Angestellten, für deren Dienstverhältnis die Dienstordnung der Klägerin - nach dem Muster der Erlasse des Reichsarbeitsministers vom 27. September 1940 (AN. 1940 S. II 348) und vom 2. April 1942 (AN. S. II 244) - galt (DO.-Angestellte), hatten diese Zuwendungen erhalten. In den fraglichen Jahren waren auch den unmittelbaren und mittelbaren Landesbeamten in Nordrhein-Westfalen Weihnachtszuwendungen gewährt worden.
Im Jahre 1954 waren Weihnachtszuwendungen für die Beamten des Landes Nordrhein-Westfalen nicht vorgesehen. Deshalb wies der Arbeits- und Sozialminister des Landes Nordrhein-Westfalen in einem Erlaß vom 22. November 1954 die landesunmittelbaren Sozialversicherungsträger, deren Verbände die Aufsichtsbehörden der Krankenkassen und das Oberversicherungsamt (OVA.) Nordrhein-Westfalen auf folgendes hin: Die der Landesaufsicht unterstehenden Körperschaften des öffentlichen Rechts müßten nach § 23 Landesbesoldungsgesetz (LBesG) vom 9. Juni 1954 (GVNW. S. 162) die "übrigen Geldbezüge" ihrer Beamten und damit auch die Weihnachtszuwendungen nach den für Landesbeamte geltenden Vorschriften regeln. Für die DO.-Angestellten ergebe sich die gleiche Rechtslage aus § 3 Muster-DO. Falls die Selbstverwaltungsorgane der Sozialversicherungsträger dies nicht beachteten, könnten sie zur Verantwortung gezogen werden. Der Erlaß gelte für die Versicherungsämter und für das OVA. als Weisung im Sinne des § 30. Reichsversicherungsordnung (RVO).
Diesen Erlaß schickte das beklagte Versicherungsamt (VA.) mit Verfügung vom 25. November 1954 zur Beachtung an die Klägerin, nachdem es schon mit Verfügung vom 23. November 1954 von sich aus den Beschluß des Vorstands der Klägerin vom 15. November 1954 über die Gewährung eines Weihnachtsgeldes insofern als rechtswidrig beanstandet hatte, als dieser Beschluß sich auf DO.-Angestellte bezog.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin beim Sozialgericht (SG.) Düsseldorf Anfechtungsklage erhoben. Das SG. hatte ursprünglich den Arbeits- und Sozialminister nach § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beigeladen, in der mündlichen Verhandlung aber den Beschluß gefaßt:
"Die Einbeziehung des bisher beigeladenen Arbeits- und Sozialministers des Landes Nordrhein-Westfalen in die Position des Mitbeklagten wird zugelassen."
Durch Urteil vom 9. Juli 1956 hat das SG. die Klage abgewiesen.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung beim Landessozialgericht (LSG.) Nordrhein-Westfalen eingelegt. In der mündlichen Verhandlung vor dem LSG. hat sie die Klage gegen den Arbeits- und Sozialminister des Landes Nordrhein-Westfalen zurückgenommen. Das LSG. erließ daraufhin folgenden Beschluß:
"Der Herr Arbeits- und Sozialminister des Landes Nordrhein-Westfalen wird zu diesem Rechtsstreit beigeladen."
Durch Urteil vom 3. Dezember 1957 hat das LSG. das Urteil des SG. und die angefochtene Aufsichtsanordnung aufgehoben; die Revision hat es zugelassen.
Gegen dieses Urteil haben das beklagte VA. und der beigeladene Arbeits- und Sozialminister des Landes Nordrhein-Westfalen Revision eingelegt mit dem Antrag,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Beide Revisionen wurden wie folgt begründet:
Der beigeladene Arbeits- und Sozialminister sei nur nach § 75 Abs. 1 SGG beigeladen, obwohl ein Fall der notwendigen Beiladung gegeben gewesen sei. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Aufsichtsanordnung des VA. greife unmittelbar in die Rechtssphäre des Beigeladenen ein, da das VA. nach § 30 Abs. 2 Satz 1 RVO gehalten gewesen sei, die zur Frage der Weihnachtszuwendungen ergangene Weisung des Beigeladenen durchzuführen. In sachlich-rechtlicher Beziehung habe das LSG. zu Unrecht die Klägerin für berechtigt gehalten, auf Grund der Verordnung über die Gewährung von Weihnachtszuwendungen im öffentlichen Dienst und an Soldaten der Wehrmacht vom 16. Dezember 1939 (RGBl. I S. 2425) - VO 1939 - Weihnachtszuwendungen an DO.-Angestellte zu gewähren. Die VO 1939 sei bevölkerungspolitische Maßnahme im Sinne des nationalsozialistischen Regimes und Lohnstopregelung gewesen und deshalb nach 1945 außer Kraft getreten, - abgesehen davon, daß sie für den Bereich des Angestelltenrechts durch die tarifliche Entwicklung und für den Bereich des Beamtenrechts durch die Gesetzgebung im Bunde und im Lande Nordrhein-Westfalen gegenstandslos geworden sei. Selbst wenn man aber die VO 1939 noch als gültig ansehe, so könne sie nicht als Grundlage für Weihnachtszuwendungen an DO.-Angestellte angesehen werden; denn für DO.-Angestellte könnten solche Zuwendungen nur dann gewährt werden, wenn sie in der Dienstordnung vorgesehen seien. Auch durch vorbehaltlose Gewährung von Weihnachtszuwendungen in früheren Jahren könne, wie § 357 Abs. 3 RVO zeige, ein Anspruch auf Weihnachtszuwendungen entgegen der Dienstordnung nicht begründet werden.
Die Klägerin hat beantragt,
die Revisionen des Beklagten und des Beigeladenen zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, daß die Beiladung des Arbeits- und Sozialministers für das Land Nordrhein-Westfalen nicht als notwendige Beiladung (§ 75 Abs. 2 SGG) zu beurteilen sei, da die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Aufsichtsanordnung zwar im Zusammenhang mit der vom beigeladenen Minister an die Versicherungsträger erteilten allgemeinen Weisung stünde, in diese Rechtsbeziehung zwischen Minister und VA. aber durch die Entscheidung über die Aufsichtsanordnung nicht eingegriffen würde. Die Klägerin hält daran fest, daß die angefochtene Aufsichtsanordnung rechtswidrig sei. Es sei nicht notwendig, daß die Dienstordnung die Dienstbezüge der DO.-Angestellten erschöpfend regele; das gelte nur für laufende Dienstbezüge. Einmalige Zuwendungen wie Weihnachtsgratifikationen, die in dem von der Vertretungsversammlung beschlossenen Voranschlag der Kasse bereitgestellt seien, könnten vom Vorstand der Kasse auch ohne Grundlage in der Dienstordnung bewilligt werden.
II
Beide Revisionen sind zulässig. Auch die Zulässigkeit der Revision des beigeladenen Arbeits- und Sozialministers des Landes Nordrhein-Westfalen (im folgenden mit "Arbeitsminister" bezeichnet) unterliegt keinen Bedenken. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob die Beiladung des Arbeitsministers notwendig war (§ 75 Abs. 2 SGG). Selbst wenn er nur als "einfach Beigeladener" im Sinne des § 75 Abs. 1 Satz 1 SGG am Verfahren beteiligt wäre, müßte seine Revision als zulässig angesehen werden. Wie der erkennende Senat in dem am gleichen Tage entschiedenen Rechtsstreit 3 RK 7/58 näher dargelegt hat, kann auch der einfach Beigeladene Rechtsmittel einlegen, allerdings unter Beachtung der eingeschränkten Vorschrift des § 75 Abs. 4 Satz 2 SGG, wonach er keine abweichenden Sachanträge stellen darf.
Die Revisionen sind jedoch nicht begründet. Wie in dem bereits angeführten Urteil des Senats vom gleichen Tage (3 RK 7/58) näher begründet ist, sind die Aufsichtsbefugnisse des beklagten VA. auf die Rechtskontrolle beschränkt. Zu Unrecht hat das beklagte VA. den Beschluß des Vorstands der Klägerin vom 15. November 1954 insofern beanstandet, als er die Gewährung von Weihnachtsgratifikationen an DO.-Angestellte vorsieht. Weder verstößt dieser Beschluß gegen die für Beamte von Körperschaften geltenden Angleichungsvorschriften der §§ 22, 23 LBesG; denn DO.-Angestellte sind keine Beamten. Noch verletzt der beanstandete Vorstandsbeschluß Satzungsrecht in Gestalt der Dienstordnung der Klägerin; die als revisibles Recht uneingeschränkt auf ihre Anwendung im vorliegenden Streitfall nachzuprüfen ist. Die Dienstordnung enthält zur Frage der Weihnachtsgratifikationen weder gebietende noch versagende Bestimmungen. Auch besteht kein Grundsatz, daß sich die Besoldung der DO.-Angestellten - im weitesten Sinn verstanden - schlechthin nach den Bezügen der vergleichbaren Beamtengruppen richtet. Vielmehr war die Klägerin nur gehalten, regelmäßig wiederkehrende Bezüge durch den "Besoldungsplan" - als Bestandteil der Dienstordnung (§ 353 Abs. 1 RVO) - zu regeln. Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch bei dem beanstandeten Beschluß des Kassenvorstands vom 15. November 1954 um eine einmalige, sich auch der Höhe nach im Rahmen des Üblichen haltende Gewährung von Weihnachtsgratifikationen aus Mitteln, die von der Vertreterversammlung einmalig für diesen Zweck bereitgestellt waren. Demnach war die klagende Krankenkasse nicht durch § 353 Abs. 1 RVO daran gehindert, diesen Beschluß auch ohne entsprechende Regelung in der Dienstordnung zu fassen. Der beanstandete Beschluß vom 15. November 1954 verstößt somit nicht gegen Gesetz und Satzung. Zutreffend hat daher das LSG. die angefochtene Aufsichtsanordnung des beklagten VA. als rechtswidrig aufgehoben. Die Revisionen sind daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Fundstellen